Coverstory: Wie funktioniert Populismus?

Foto (C) Michael Mazohl
Stellen PopulistInnen falsche Behauptungen auf oder erfinden neue ­Begriffe, wiederholen sie diese so oft, bis sie sich in den Köpfen der Leute festsetzen. Wurde ein Begriff oft genug wiederholt, brauchen PopulistInnen ihn nur zu nennen und er aktiviert im Kopf ­ein ganzes Begriffsfeld.

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In Österreich die FPÖ, in den USA Donald Trump, in Deutschland die AfD - in vielen Teilen der Welt sind populistische Parteien seit Jahren im Aufwind. Das ist kein Zufall. Hinter ihren Erfolgen stecken ausgeklügelte, zum Teil altbewährte Strategien. Nur wer diese kennt, kann den PopulistInnen den Wind aus den Segeln nehmen.
Was ist eigentlich dieser Populismus, über den alle reden? Der Begriff Populismus steht für eine bestimmte Art des politischen Handelns, der das Ziel verfolgt, Macht zu erwerben oder zu erhalten. Populismus zeichnet sich durch starke Vereinfachung und emotional aufgeladene Feindbilder aus, vor allem aber durch den konstruierten Gegensatz zwischen zwei klar voneinander abgrenzbaren, jeweils homogenen Menschengruppen. Hier stehen „Wir“, dort „die Anderen“. Während in dem demagogischen Weltbild, das dem Populismus zugrunde liegt, das „Wir“ dem „Volk“ entspricht, hängt die Definition „der Anderen“ vom jeweiligen Zusammenhang ab. So können, wie die Journalistin Nina Horaczek und der Kulturwissenschafter Walter Ötsch schreiben, „die da oben“ (die Elite, die „Systemparteien“ oder die EU) genauso die Rolle der „Anderen“ einnehmen, wie „die da draußen“ (die AusländerInnen, die Moslems, die „Asylanten“) oder „die da unten“ („Wirtschaftsflüchtlinge“, „Sozialschmarotzer“ etc.).

Der Wille des Volkes

Populismus funktioniere nicht ohne moralische Dimension, sagt der Politikwissenschafter Jan-Werner Müller. Und diese moralische Dimension ist „der Volkswille“. PopulistInnen tun so, als würden sie eigentlich nur passiv „den Volkswillen“ abbilden: „ER will, was WIR wollen“, formulierte dementsprechend die FPÖ über ihren Obmann Heinz-Christian Strache. In Wirklichkeit erschaffen PopulistInnen „das Volk“ selbst und ersetzen „die wirklichen Volkswillen“ durch „den wahren“ Volkswillen, den sie selbst auf autoritäre Weise bestimmen. „Wir und nur wir repräsentieren das wahre Volk“, lautet ihre Devise. So sagte Donald Trump in der Rede zu seiner Amtseinführung: „Heute ist die Macht ans Volk zurückgegeben worden.“ Das soll nichts anderes heißen als: Wenn Trump regiert, regiert das Volk. Für das „wahre Volk“ steht auch Nigel Farage von der UK Independence Party, der nach dem Brexit-Votum sagte: „A victory for real people.“ Die „echten“ Menschen haben gesiegt, jene 48 Prozent, die in der EU bleiben wollten, gehören nicht dazu.

„Wir“ und die „Anderen“

Für das „Wir“ erfinden PopulistInnen das ausschließlich mit positiven Eigenschaften ausgestattete „Volk“ – anständig, ehrlich, fleißig, gut. „Die Anderen“ sind hingegen ausschließlich kriminell, verlogen, faul – oder vereinfacht ausgedrückt: Sie sind böse. Widersprüche gibt es dabei keine: So können AusländerInnen gleichzeitig faul und arbeitsscheu sein und den InländerInnen Arbeits- und Wohnplätze wegnehmen. Wichtig ist vielmehr, dass „die Anderen“ völlig anders sind als „wir“. Nichts verbindet sie und uns. Jede positive Aussage über „die Anderen“ wird vermieden. Keiner von ihnen hat Respekt verdient, ihre Würde wird missachtet, ihre Motive werden ignoriert. Genauso wird jede negative Aussage über das „Wir“ vermieden, weder Absichten noch Handlungen werden hinterfragt. Das „Wir“ ist stets fehlerfrei und makellos.

Mit den „Anderen“ als Sündenböcken lässt sich alles ganz einfach erklären: Fehlt dem Staat Geld, verursachen Flüchtlinge zu hohe Kosten. Gibt es Gewaltverbrechen, liegt dies an „den Ausländern“ und der „viel zu liberalen Politik“. Fahren PopulistInnen bei Wahlen Misserfolge ein, ist dafür die „Lügenpresse“ verantwortlich. Kommen PopulistInnen unter Druck, konstruieren sie sich als von der „Jagdgesellschaft“ verfolgte Opfer. „Sie sind gegen IHN, weil ER für EUCH ist“, schrieb die FPÖ auf ihre Plakate – im Jahr 1994 war ER Jörg Haider, seit 2008 ist es Heinz-Christian Strache.

Einige Jahre später trieb Strache die Täter-Opfer-Umkehr mit seinem „Wir sind die neuen Juden“-Sager auf die vorläufige Spitze.

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„Wenn Strache einen normalen Bericht
von uns auf Facebook teilt, dann merken wir, das haut die Quote auf das 1,5-Fache hoch. Und umgekehrt kriegt er natürlich auch mehr Traffic, wenn wir ihn pushen“,
sagt Richard Schmitt, ­Chefredakteur von krone.at.

Das Spiel mit der Angst

PopulistInnen sprechen gezielt Ängste an, reden eine gefährliche Welt herbei und verstärken Vorurteile. Eine ihrer zentralen Botschaften lautet: Die „Anderen“ sind eine Gefahr für „uns“, sie bedrohen „uns“.

Dieses Spiel mit der Angst ist nicht neu. Vor mehr als hundert Jahren warnte der glühende Antisemit und einstige Wiener Bürgermeister Karl Lueger: „Groß-Wien darf nicht Groß-Jerusalem werden.“ Im Jahr 2005 plakatierte die FPÖ fast wortgleich, nur mit anderem Feindbild: „Wien darf nicht Istanbul werden.“ Im Jahr 1989, vor dem Fall des Eisernen Vorhangs, schürten PopulistInnen die Angst vor den Hunderttausenden RumänInnen, die das Land überfluten werden – heute sind es „die Moslems“ oder „die Flüchtlinge“, vor denen das „Volk“ sich fürchten soll. Marine Le Pen vom französischen Front National warnt vor „gigantischen Migrantenwellen, die hier ankommen“, Alexander Gauland von der deutschen AfD vor „menschlicher Überflutung“. Und der Niederländer Geert Wilders schreit zu seinen Anhängern: „Wir befinden uns tatsächlich im Krieg.“

„Ganz so, als ob es sich um eine Armee handelte, um Soldaten, die uns arme Ohnmächtige niederringen wollten“, sagt die Linguistin Ruth Wodak treffend. Und weil wir uns vor den „Anderen“ fürchten müssen, weil die „Anderen“ uns bedrohen, ist es „unser gutes Recht“, uns zu wehren – gegen „die Ausländer“ genauso wie gegen „die Volksverräter“ und „die Gutmenschen“.

Die Sprache des Hasses

Die Sprache der PopulistInnen ist eine Sprache des Hasses. Sie diskreditieren Schutzsuchende, beleidigen politische GegnerInnen und rufen zu Gewalt auf.

Ein bekanntes Beispiel dafür ist jene öffentliche Ansprache des hochrangigen FPÖ-Politikers und Wiener Vizebürgermeisters Johann Gudenus, in der er sagte: „Dann heißt es bei Bedarf auch ‚Knüppel aus dem Sack‘ für alle Asylbetrüger, Verbrecher, illegale Ausländer, kriminelle Islamisten und linke Schreier.“ Und Gudenus’ Parteikollege Christian Höbart schreibt auf Facebook ähnlich drastisch: „Irgendwelche kulturfernen und ungebildeten Höhlenmenschen und Ziegenhirten (zugespitzt formuliert, aber Ihr wisst, was und wen ich damit meine!) plündern in Wahrheit unsere sozialen Sicherheitssysteme.“

Wie mit politischen GegnerInnen umgegangen wird, konnte man im Wahlkampf zur Bundespräsidentenwahl 2016 beobachten. Der spätere Verlierer Norbert Hofer beschimpfte Alexander Van der Bellen nicht nur als „Systemvertreter“ und „Befehlsempfänger aus Brüssel“, der „zu viel Kaffee getrunken“ habe, sondern er versuchte ihn auch mehrfach als „vergesslich“ bzw. dement darzustellen.

Stellen PopulistInnen falsche Behauptungen auf oder erfinden neue Begriffe, wiederholen sie diese so oft, bis sie sich in den Köpfen der Leute festsetzen. Wurde ein Begriff oft genug wiederholt, brauchen PopulistInnen ihn nur zu nennen und er aktiviert im Kopf ein ganzes Begriffsfeld: Sagt ein Populist „Medien“, hören seine Anhänger „Lügenpresse“. Sagt er „Linke“, hören sie „Gutmenschen“ oder „Willkommensklatscher“. Sagt er „Asylanten“, tauchen in ihren Köpfen die Begriffe „Sozialschmarotzer“, „Vergewaltiger“ oder „Terroristen“ auf.

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Über den/die Autor:in

Dietmar Meister

Dietmar Meister ist Chef vom Dienst in der Kommunikationsabteilung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes. Der gebürtige Südtiroler lebt seit 15 Jahren in Wien, wo er Journalismus und Politikwissenschaft studiert und mehrere Jahre als freier Journalist und Redakteur gearbeitet hat.

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