Coverstory: Vorwärts und nicht vergessen

Foto (C) Christian Fischer

Inhalt

  1. Seite 1 - Spuren der ArbeiterInnenbewegung lassen sich in Favoriten weiterhin finden
  2. Seite 2 - Erfolge der ArbeitnehmerInnenbewegung: faire Löhne, menschenwürdige Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten
  3. Seite 3 - Auf dem Weg zu fairer Arbeit sind noch viele Herausforderungen zu bewältigen
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In Favoriten nahm die österreichische ArbeiterInnenbewegung ihren Ausgang. Ihre Spuren findet man bis heute. Sie legen davon Zeugnis ab, wie viel Menschen erreichen können, wenn sie sich zusammenschließen, um für ihre Rechte zu kämpfen. Ein Spaziergang durch Geschichte und Gegenwart.
Wer aus dem Süden in die Hauptstadt pendelt, kommt an ihnen vorbei. Tagein, tagaus stehen sie an Werktagen Gehsteig der Triester Straße und bieten ihre Arbeitskraft an. Sie kommen aus anderen Ländern und sind nach Österreich in der Hoffnung auf ein besseres Leben gewandert. Gelandet sind sie am sogenannten Arbeiterstrich, von wo aus sie wiederum auf Baustellen gekarrt werden, um dort ihre Arbeit zu verrichten.

Es ist fast wie ein Treppenwitz der Geschichte, dass diese modernen Tagelöhner ausgerechnet in dieser Gegend stehen, nicht unweit des Wienerbergs, wo sich schon im 19. Jahrhundert die damaligen ArbeiterInnen verdingten und vor allem ausgebeutet wurden – und wo zugleich die ArbeiterInnenbewegung ihre Ursprünge hat. Jene ArbeiterInnenbewegung, deren größte Errungenschaft der moderne Sozialstaat ist.

130 Jahre ist es her, dass der Arzt Victor Adler in der Zeitschrift „Gleichheit“ seine Reportage über die menschenunwürdigen Bedingungen der „Ziegelböhmen“ veröffentlichte, genauer gesagt am 1. Dezember 1888. Sein Bericht ist grundlegend für die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung, denn damit wurde einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, unter welchen harschen Bedingungen jene Menschen arbeiteten und lebten, welche die Rohstoffe für jene Häuser herstellten, in denen andere lebten. Und gebaut werden musste auch damals in großem Stil, denn es zog immer mehr Menschen in die Hauptstadt, sodass der Bedarf an Wohnungen massiv gewachsen war. Dies brachte vielen ArbeiterInnen Beschäftigung auf dem Wienerberg. Zugleich ließ es den Reichtum der Unternehmer wachsen, die man auch Ziegelbarone nannte. Die steigende Kluft zwischen den verarmten ArbeiterInnen und den Ziegelunternehmern: Sie sorgte für Unmut. Dabei hatten die Unternehmer anfangs sogar Wohnraum für ihre ArbeiterInnen geschaffen. Rund 100 ArbeiterInnenwohnhäuser ließen sie Mitte des 19. Jahrhunderts errichten.

Neben dem großen Zuzug nach Wien sorgte ein weiteres Ereignis dafür, dass sich die Wohnsituation massiv verschlechterte: Die Ziegelwerke gingen an die Börse. „Was Victor Adler vorfand, war unvorstellbares Massenelend. Kaputte, eingeschüchterte Menschen, die wie Sklaven behandelt wurden“, schreibt etwa Wolfgang Slapansky in dem neu erschienen Buch „Reise in die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung in Wien“. In den Unterkünften fand Adler menschenunwürdige Bedingungen vor: „In großen Schlafsälen waren bis zu 70 Personen zusammengepfercht: Männer, Frauen, Kinder ohne Privatsphäre und Intimität.

Organisation trotz Repression

Schmutz, Gestank und Lärm begleiteten die Arbeit und die restliche Zeit. Adlers Schilderungen sorgten zwar für Empörung, doch statt sich an eine Verbesserung der Bedingungen zu machen, ging man gegen Adler und angebliche Rädelsführer vor. Einschüchtern aber ließen sich die ArbeiterInnen nicht mehr. Vielmehr begannen sie sich zu organisieren – obwohl dies, wie Slapansky betont, „zumindest im Ziegelwerk“ verboten war. Im Jahr 1890 gründeten tschechische ArbeiterInnen in Inzersdorf einen Bildungsverein für ArbeiterInnen. Vertrauensleute formulierten Forderungen für bessere Arbeitsbedingungen.

Foto (C) Christian Fischer
Im Arbeiterheim Favoriten fand die junge ArbeiterInnenbewegung eine Heimstätte. ArbeiterInnen konnten sich dort nicht nur bilden, sondern auch günstig einkaufen oder aber ihre Freizeit verbringen. Ein Ort, an dem man sich austauschen und organisieren konnte, war ein großer Fortschritt. Heute sind die Bedingungen wieder schwieriger, was auch dem Wandel der Arbeitswelt geschuldet ist.

Trauriges Symbol

Heute ist von all dem am Wienerberg nichts mehr zu spüren. Hochhäuser überragen das Gelände, auf dem inzwischen auch ein Naherholungsgebiet entstanden ist. Die Spuren der ArbeiterInnenbewegung lassen sich in Favoriten aber weiterhin finden. So steht das Gebäude des Arbeiterbetriebsrates nach wie vor, inzwischen wird es vom örtlichen Kleingartenverein genutzt. An den früheren Verwendungszweck erinnert eine Büste von Victor Adler an der Hausmauer. Auch das Gasthaus, in dem sich die ZiegelarbeiterInnen oft zu Versammlungen getroffen haben, gibt es noch – inzwischen ist es ein schickes Lokal. Einen traurigen Anblick gibt das Haus in der Favoritenstraße ab, das einst ein Vorzeigebau der Arbeiterschaft war: das frühere Arbeiterheim Favoriten, auch Rotes Haus genannt. Man ist versucht zu sagen, dass dieses Haus geradezu symbolisch für die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung steht. Denn das Jugendstilhaus wirkt heruntergekommen, lange Zeit war es ein Hotel, dann eine Flüchtlingsunterkunft, inzwischen steht es leer.

Der Gedanke liegt nahe, dass es so auch ein Symbol dafür ist, wie es um den mühsam errungenen Einfluss der ArbeitnehmerInnen heute steht. Einst jedenfalls war es ein Zentrum der ArbeiterInnen. Es war das erste Volksheim Wiens. Es gab darin nicht nur einen großen Versammlungssaal, in dem auch Victor Adler einst Reden schwang. Auch war es einst Unterkunft verschiedener Organisationen, es gab eine Bibliothek, eine Filiale der Konsumgenossenschaft und die Zahlstelle der Allgemeinen Arbeiterkrankenkasse war darin ebenso untergebracht. Über die Bedeutung des Hauses schreibt Slapansky: „Das Arbeiterheim Favoriten war ein deutliches Signal einer selbstbewussten Arbeiterschaft, die nun erstmals eine eigene Heimstätte hatte.“ Auch Unterhaltung wurde den ArbeiterInnen geboten, von Orchester über Theater bis hin zum Kino.

Inhalt

  1. Seite 1 - Spuren der ArbeiterInnenbewegung lassen sich in Favoriten weiterhin finden
  2. Seite 2 - Erfolge der ArbeitnehmerInnenbewegung: faire Löhne, menschenwürdige Arbeitsbedingungen und Arbeitszeiten
  3. Seite 3 - Auf dem Weg zu fairer Arbeit sind noch viele Herausforderungen zu bewältigen
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Über den/die Autor:in

Sonja Fercher

Sonja Fercher ist freie Journalistin und Moderatorin. Für ihre Coverstory im A&W Printmagazin zum Thema Start-ups erhielt sie im Juni 2018 den Journalistenpreis von Techno-Z. Sie hat in zahlreichen Medien publiziert, unter anderem in Die Zeit, Die Presse und Der Standard. Von 2002 bis 2008 war sie Politik-Redakteurin bei derStandard.at. Für ihren Blog über die französische Präsidentschaftswahl wurde sie im Jahr 2008 mit dem CNN Journalist Award - Europe ausgezeichnet.

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