Coverstory: Ein gutes Leben für alle

Fotos (C) Michael Mazohl, Konzept & Produktion: Thomas Jarmer
Warum es weiterhin einen starken Sozialstaat braucht. Oder: Warum sich selbst der Nächste zu sein nicht immer dafür sorgt, dass es dem Einzelnen besser geht.
Ein gutes Leben: Wer wünscht sich das nicht? Was ein gutes Leben ausmacht, das wird jeder Einzelne unterschiedlich beantworten. Vergleicht man die Faktoren, die Menschen nennen, finden sich aber auch viele Überschneidungen, betont Armutsforscherin Michaela Moser vom Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung. Und rasch wird klar: Geld ist wichtig zur Existenzsicherung, aber Geld allein sorgt nicht für ein gutes Leben.

Langzeitarbeitslose leben nicht nur finanziell prekär. Sie leiden auch unter zunehmend schwindender Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

„Das gute Leben hat vielfältige Aspekte“, so Moser. Diese beginnen dabei, ein Dach über dem Kopf und ausreichend zu essen zu haben oder Kleidung. Sie gehen über eine gute Gesundheitsversorgung, den Zugang zu Bildung, Mobilität, Erholungsmöglichkeiten und Urlaub. Und sie reichen bis zu guten Beziehungen zu anderen Menschen sowie zur Natur. Auch gehören Werte wie Freiheit, Sicherheit, Geborgenheit und Zugehörigkeit dazu. Es geht also immer um materielle und immaterielle Aspekte, wobei das eine oft Auswirkungen auf das andere hat. Ein Beispiel nennt Simon Theurl, Arbeitsmarktexperte der AK Wien: Langzeitarbeitslose leben nicht nur finanziell prekär. Sie leiden auch unter zunehmend schwindender Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und treffen immer seltener FreundInnen. Das wiederum führt zu Vereinsamung und auch zunehmenden gesundheitlichen Problemen.

Indizien für das gute Leben

Aber wie misst man eigentlich ein gutes Leben? Man könnte das Bruttoinlandsprodukt heranziehen. Dieser ökonomische Indikator lässt zwar den Wohlstand von Ländern vergleichen, er sagt aber nichts über die Verteilung aus, gibt Armutsforscherin Moser zu bedenken. „Das gute Leben kommt dann möglicherweise nur einem kleinen Prozentsatz der Bevölkerung zu.“ Andere Indizes erfassen daher verschiedenste Aspekte von Einkommen, Wohnen und Bildung bis zur Work-Life-Balance und der Möglichkeit, sich in der Zivilgesellschaft zu engagieren.

Das gute Leben kommt dann möglicherweise nur einem kleinen Prozentsatz der Bevölkerung zu.

Michaela Moser, Armutsforscherin, Ilse Arlt Institut für Soziale Inklusionsforschung

Ein solcher Index ist der „Better Life Index“ der OECD. Die letzten verfügbaren Daten stammen aus dem Jahr 2017, damals schnitt Österreich bei der Bewertung im Vergleich zu anderen Ländern gut ab. In den Themenbereichen Einkommen und Vermögen, Gesundheit, Wohnen, Beschäftigung, subjektives Wohlbefinden, Sicherheit, soziale Beziehungen, Umwelt und Bildung lag Österreich über dem OECD-Schnitt. Unterdurchschnittlich positionierte sich das Land allerdings in den Bereichen Zivilengagement und Work-Life-Balance. Letztere dürfte sich für viele ÖsterreicherInnen durch die Einführung von 12-Stunden-Tag und 60-Stunden-Woche noch weiter verschlechtert haben.

„Langfristig haben Ängste, Depressionen und andere soziale Probleme mit wachsendem Wohlstand zugenommen.“ Wirtschaftshistoriker Richard Wilkinson und die Epidemiologin Kate Pickett in ihrem Buch „Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind“.

Klar wird durch solche Vergleichssysteme aber vor allem: Es geht auch immer um das Thema Verteilung. Vor genau zehn Jahren setzten der Wirtschaftshistoriker Richard Wilkinson und die Epidemiologin Kate Pickett bereits hier an. In ihrem Buch „Gleichheit ist Glück. Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind“ zeichnen sie nach, dass Gesellschaften mit niedriger Ungleichheit am besten geeignet sind, ein gutes Leben für alle zu gewährleisten. Ihr Fazit: Obwohl Menschen heute länger und komfortabler als je zuvor leben, leiden sie in hohem Ausmaß psychisch und emotional. „Langfristig haben Ängste, Depressionen und andere soziale Probleme mit wachsendem Wohlstand zugenommen“, so die beiden Wissenschafter.

Gleichheit ist besser

In Japan und den skandinavischen Ländern besitzen die reichsten 20 Prozent nur knapp viermal so viel wie die ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung.

Es gibt aber Länder, in denen dies weniger stark der Fall ist. Dort ist die Verteilung besser. In Japan und den skandinavischen Ländern besitzen die reichsten 20 Prozent nur knapp viermal so viel wie die ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung. Psychischer und sozialer Druck macht sich nämlich auch durch Ungleichheit breit. „Der Grad der Einkommensunterschiede hat einen großen Einfluss darauf, wie die Menschen miteinander umgehen“, so Wilkinson und Pickett. Und: Gewalt und Gesundheitsprobleme sind Phänomene in Gesellschaften mit deutlicher sozialer Ungleichheit. „Eine gleichere Einkommensverteilung geht beispielsweise mit höherem subjektivem Wohlbefinden, weniger gesundheitlichen Problemen, mehr Vertrauen in die Mitmenschen und mehr Geschlechtergerechtigkeit einher“, betont auch Franziska Disslbacher, Ökonomin in der AK Wien.

Eine gleichere Einkommensverteilung geht beispielsweise mit höherem subjektivem Wohlbefinden, weniger gesundheitlichen Problemen, mehr Vertrauen in die Mitmenschen und mehr Geschlechtergerechtigkeit einher.

Franziska Disslbacher, Ökonomin, AK Wien

Österreich ist von Verteilungsgerechtigkeit allerdings weit entfernt. Hier besitzt das oberste Prozent der Haushalte etwa 40 Prozent des Privatvermögens. Das sei „eine massive Konzentration in den Händen weniger“, so Disslbacher. Es geht aber nicht nur um Vermögen, sondern auch die Abgeltung von Arbeit. Hier sei Österreich im OECD-Vergleich wie die USA ein sehr ungleiches Land, sagt Michael Ertl, ebenfalls Ökonom in der AK Wien. Es gebe nämlich eine immer größer werdende Kluft zwischen ATX-ManagerInnengehältern und dem Medianeinkommen, also jenem Einkommen, bei dem 50 Prozent der arbeitenden Menschen weniger und 50 Prozent mehr verdienen. „Anfang 2000 verdienten ATX-ManagerInnen noch etwa das 20-Fache, mittlerweile ist es bereits das 65-Fache. Es bräuchte hier wieder eine angemessene Relation, um das Auseinanderdriften der Einkommen zu verhindern.“

„Der Sozialstaat ist die größte zivilisatorische Errungenschaft des 20. Jahrhunderts.“ Josef Wöss, AK-Sozialexperte

Ausgleich durch Sozialstaat

Andererseits ist es so, dass Österreich durch seinen Sozialstaat einiges wieder wettmacht, wenn man sich die Einkommen nach der Umverteilung ansieht. Dadurch zähle Österreich zu den egalitäreren Ländern und weise eine relativ breite Mitte auf, so Ertl. „Der Sozialstaat ist die größte zivilisatorische Errungenschaft des 20. Jahrhunderts“, zitiert AK-Sozialexperte Josef Wöss den früheren deutschen Bundeskanzler Helmut Schmidt. Heute gehe es darum, diese Errungenschaft zu bewahren, um so auch die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu bewältigen.

Es ist auch eine andere, eine düstere Variante des Internets möglich. Wir stehen derzeit an einem Scheideweg.

Ingrid Brodnig, Digital-Expertin

Und die Herausforderungen sind größer, als noch vor 20 Jahren angenommen. Die Digital-Expertin Ingrid Brodnig liefert in ihrem eben erschienenen Buch „Übermacht im Netz“ einen kritischen Befund. Mit dem Großwerden des Internets ging die Hoffnung einher, „dass die Digitalisierung ein zusätzlicher Motor hin zu einer gerechteren, aufgeklärteren Gesellschaft sein würde“, so Brodnig. „Diesen Optimismus habe ich verloren. Ich erkenne: Es ist auch eine andere, eine düstere Variante des Internets möglich. Wir stehen derzeit an einem Scheideweg.“

Das Netz brachte aber auch jede Menge prekäre Jobs in der Digitalwirtschaft sowie massive Steuerungerechtigkeiten. Wenn Staaten Millionen und Milliarden an Steuereinnahmen entgehen, kann allerdings weniger in das Gemeinwohl investiert werden.

Einerseits werde das Internet auf eine Weise eingesetzt, die Gefahren für die Demokratie berge. Inzwischen ist bekannt, wie durch das Auswerten von Daten auch die Stimmung zugunsten oder zuungunsten von politischen Parteien verändert werden kann. Das Netz brachte aber auch jede Menge prekäre Jobs in der Digitalwirtschaft sowie massive Steuerungerechtigkeiten. Wenn Staaten Millionen und Milliarden an Steuereinnahmen entgehen, kann allerdings weniger in das Gemeinwohl investiert werden. Und gerade das ist nötig, um mehr Gleichheit zu schaffen und so möglichst vielen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen.

Gutes System mit Schwächen

Wöss stellt dem Sozialstaat in Österreich ein gutes Zeugnis aus. „Alle Menschen durchlaufen Lebensphasen, in denen sie mehr oder weniger Unterstützung brauchen“, so Wöss. Der Sozialstaat organisiere diese Unterstützung, sodass möglichst alle Menschen erreicht werden und dass die Unterstützung da sei, wenn sie gebraucht werde. „Im Kern funktioniert das in Österreich recht gut. Wir dürfen uns das nicht schlechtreden lassen.“ Nicht zuletzt die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 zeigte, dass der Sozialstaat hier als „automatischer Stabilisator“ fungiert habe. „Und wo es Schwachstellen gibt, wie zum Beispiel bei den vielen sehr niedrigen Frauenpensionen, müssen wir gegensteuern und für mehr Gerechtigkeit sorgen.“

Gravierende Einschnitte

Die türkis-blaue Regierung unter Kanzler Sebastian Kurz versuchte allerdings, den Sozialstaat weiter zu beschneiden, anstatt ihn zu stärken und auszubauen. Kleinen Verbesserungen wie dem Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen oder der Einführung des Familienbonus stehen massive Rückschritte gegenüber. „Die gravierendsten Einschnitte der letzten Regierung waren der 12-Stunden-Tag, die Abschaffung der ‚Aktion 20.000‘ für ältere Arbeitslose, die Machtverschiebung zu den Arbeitgebern in der Sozialversicherung und die Senkung der Mindestsicherung vor allem für Kinder“, so der AK-Experte. Dazu komme, dass die Sozialpartner außen vor gelassen wurden. Dabei war die Einbindung der Sozialpartner traditionell eine zentrale Stärke des Sozialstaats in Österreich, gibt Wöss zu bedenken.

Die gravierendsten Einschnitte der letzten Regierung waren der 12-Stunden-Tag, die Abschaffung der ‚Aktion 20.000‘ für ältere Arbeitslose, die Machtverschiebung zu den Arbeitgebern in der Sozialversicherung und die Senkung der Mindestsicherung vor allem für Kinder.

Josef Wöss, AK-Sozialexperte

Und: Die Einschnitte lassen sich auch bereits in Zahlen gießen. Österreich gehört laut dem von der NGO Social Progress Imperative in Zusammenarbeit mit Deloitte seit 2013 herausge- gebenen Social Progress Index zwar zu den Ländern mit sehr hohem Standard. Das Land fällt aber im Vergleich zu anderen Ländern langsam zurück. Vor drei Jahren lag Österreich unter den 149 erfassten Staaten noch auf Platz 13, 2019 belegte es nur mehr den 20. Rang. Sehr gut liegt Österreich laut Bernhard Gröhs, CEO von Deloitte Österreich, bei der Verfügbarkeit leistbaren Wohnraums, Sicherheit oder dem Zugang zu Trinkwasser. Weniger stark entwickelte sich das Land aber in den Bereichen „Chancen und Möglichkeiten“ und „Grundlagen des Wohlbefindens“.

Leistungsfähiges Gesundheitssystem

Hier schließt auch der Befund von Wolfgang Panhölzl, AK-Experte für das Gesundheitssystem, an. Österreich habe ein gutes, leistungsfähiges Gesundheitssystem. Doch die Sozialversicherungs-Organisationsreform, von Türkis-Blau auf den Weg gebracht und derzeit in Umsetzung, gefährde das System und damit jeden einzelnen Versicherten. Dem Gesundheitssystem würden im Zuge der Zusammenlegung von Versicherungsträgern 2,1 Milliarden Euro entzogen. Darüber hinaus würden UnternehmervertreterInnen die Kontrolle übernehmen, das werde eher nicht zu Verbesserungen für die Versicherten führen. Fazit: Die Sozialversicherungsreform bringe Einsparungen bei den PatientInnen und nicht im System.

Weitere Verschärfungen

Die Arbeitszeitflexibilisierung war ein zweites Prestigeprojekt der Regierung Kurz. Sie steht für Arbeitsmarktexperten Theurl „im Zeichen der marktliberalen Reformdynamik, die seit den 1980er-Jahren die europäischen Wirtschafts- und Sozialräume erfasst hat und explizit darauf abzielt, den Druck zur Arbeitsaufnahme zu erhöhen“. Mit der Einführung des 12-Stunden-Tages und der 60-Stunden-Woche ging seitens der türkis-blauen Regierung auch eine Verschärfung der Bedingungen für den Erhalt von Sozialleistungen einher. Begründet wurde dies mit dem Ziel der rascheren Arbeitsaufnahme. Theurl konstatiert einen Wandel von „Welfare“ zu „Workfare“. Dieser „erhöht den Druck auf Erwerbslose und die Bereitschaft der Bevölkerung, auf flexibilisierten Arbeitsmärkten teilzunehmen und prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu akzeptieren“.

Die Aktion 20.000 gab älteren Langzeitarbeitslosen Hoffnung, doch noch einen Arbeitsplatz zu finden, und lief durchaus erfolgversprechend an, wie erste Evaluierungen zeigten.

Druck aufs Individuum

Besonders sauer stößt Theurl die Streichung der „Aktion 20.000“ auf. Sie gab älteren Langzeitarbeitslosen Hoffnung, doch noch einen Arbeitsplatz zu finden, und lief durchaus erfolgversprechend an, wie erste Evaluierungen zeigten. Das Kabinett Kurz beendete nicht nur diese wichtige Maßnahme, sondern strich auch Fördermittel für Asyl- und subsidiär Schutzberechtigte. Gleichzeitig wird die Verantwortung dafür, ob man Arbeit hat oder nicht, auf das Individuum geschoben. Dieser steigende Druck wiederum erhöhte die Bereitschaft, prekäre Arbeitsverhältnisse zu akzeptieren, „und verstärkt die disziplinierende Wirkung von Arbeitslosigkeit“, so der Arbeitsmarktexperte.

Dass es weit weniger offene Stellen als Arbeitssuchende gibt, scheint den politisch Verantwortlichen da gut zu passen. Auch so kann das Lohnniveau nach unten gesenkt werden. Kurz vor der Nationalratswahl Ende September wurde auf Initiative von SPÖ und FPÖ im Parlament immerhin eine Förderung für Langzeitsarbeitslose über 50 Jahren beschlossen. Für sie sollen nun bis zu 50 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Interessanterweise stimmte auch die ÖVP dieser Maßnahme zu – die Begründung: Es könnten dadurch mehr Jobs in der Privatwirtschaft gefördert werden.

Konflikte und Spaltung

Die Verschiebung von Interessen- zu Identitätspolitik spaltet.

Das Traurige: Sowohl die Umwandlung der Mindestsicherung in die Sozialhilfe, die vor allem zugewanderten Menschen Mittel kürzt, als auch Maßnahmen wie die Indexierung der Kinderbeihilfe, die die Höhe dieser Unterstützung nun nach den Lebenshaltungskosten des jeweiligen Wohnstaates bemisst, was zum Beispiel Kürzungen für eine rumänische Pflegekraft bedeutet, zeigen das Konstruieren politischer Konflikte entlang kulturell-nationalistischer Identitäten zwischen „Ausländern“ und „Österreichern“, wie es Theurl formuliert. Diese Verschiebung von Interessen- zu Identitätspolitik spaltet. Doch genau durch diesen Paradigmenwechsel erhält die Politik von ÖVP und FPÖ gesellschaftliche Akzeptanz.

Ob das jedoch im Interesse aller und damit auch der gesamten Gesellschaft ist? Zahlreiche ExpertInnen äußerten sich hier kritisch. Anders als über Jahrzehnte üblich brachte die Regierung Kurz wohl auch deshalb so manche Materie im Nationalrat per Initiativantrag ein und entzog das Vorhaben so einem öffentlichen Begutachtungsverfahren.

Dabei würde auch die Wirtschaft, der vermeintlich durch die Flexibilisierung des Arbeitsmarkts und durch die Beschneidung des Sozialstaats entgegengekommen wird, von mehr Verteilungsgerechtigkeit profitieren, ist Disslbacher überzeugt. Sie bringt hier auch die Steuerpolitik ins Spiel. Einerseits gelte es – Stichwort: quasi Monopolanbieter im Internet wie Amazon – für den Digitalbereich Lösungen zu finden. Disslbacher spricht sich zudem für Erbschafts- und Vermögenssteuern aus. Durch öffentliche Investitionen, etwa im Pflegebereich, würden wiederum Arbeitsplätze geschaffen.

„Wir wissen heute aus einer Vielzahl von Studien, dass eine gleichere Einkommensverteilung oder höhere Spitzensteuersätze dem Wachstum nicht schaden.“ Simon Theurl, AK-Arbeitsmarktexperte

Gut für Beschäftigung und Wachstum

Verteilungsgerechtigkeit, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung wurden und werden oft gegeneinander ausgespielt“, bedauert Disslbacher. „Aber wir wissen heute aus einer Vielzahl von Studien, dass eine gleichere Einkommensverteilung oder höhere Spitzensteuersätze dem Wachstum nicht schaden. Die wissenschaftliche Evidenz weist sogar in die andere Richtung: Eine gleichere Einkommensverteilung ist über die Stärkung der Nachfrage gut für Beschäftigung und Wachstum. Ganz abgesehen davon, dass Wirtschaftswachstum nie die alleinige Orientierungsgröße der Politik sein kann. Das zeigen auch die Debatten zur Klimakrise ganz deutlich.“

Eine gleichere Einkommensverteilung ist über die Stärkung der Nachfrage gut für Beschäftigung und Wachstum.

Franziska Disslbacher, Ökonomin in der AK Wien

Das merkten übrigens schon Wilkinson und Pickett vor zehn Jahren an – ihre Sorge galt damals aber der „Erderwärmung“, während man heute von Klimawandel oder eben Klimakrise spricht. Auch diese betrifft das Leben aller. Die neuen Fragen: Wer kann sich eine Klimaanlage leisten und wie wird der dafür nötige Strom produziert; Stichwort: nachhaltige Energien? Und so überrascht es nicht, dass laut Moser die auf mehreren Säulen ruhende Armutsbekämpfungspolitik (Sicherung eines Mindesteinkommens, eine gute In-frastruktur, die Möglichkeit zu arbeiten sowie soziale Beteiligung) inzwischen auch um die Frage ökologischer Aspekte zu erweitern ist. Weil ein gutes Leben für alle eben viele Facetten hat.

Von
Alexia Weiss

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/19.

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Über den/die Autor:in

Alexia Weiss

Alexia Weiss, geboren 1971 in Wien, Journalistin und Autorin. Germanistikstudium und Journalismusausbildung an der Universität Wien. Seit 1993 journalistisch tätig, u.a. als Redakteurin der Austria Presse Agentur. Ab 2007 freie Journalistin. Aktuell schreibt sie für das jüdische Magazin WINA sowie für gewerkschaftliche Medien wie die KOMPETENZ der GPA-djp oder die Gesunde Arbeit. 2022 erschien ihr bisher letztes Buch "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" (Verlag Kremayr & Scheriau).

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