Coverstory: Den Kampf niemals aufgeben

Inhalt

  1. Seite 1 - Ursprünge der Mitbestimmung
  2. Seite 2 - Selbstermächtigung der ArbeitnehmerInnen
  3. Seite 3 - Das österreichische Modell verteidigen
  4. Seite 4 - Von der Demokratie in die Postdemokratie?
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Für demokratische Strukturen in Staat und Gesellschaft wurde lange gekämpft. Doch das Erreichte darf nicht als selbstverständlich angesehen werden: Man muss es stets verteidigen und sich weiter dafür einsetzen. Das gilt auch für die Mitbestimmung von ArbeitnehmerInnen in der Wirtschaft allgemein und in den einzelnen Betrieben im Besonderen. Noch ist Österreich hier ein Best-Practice-Beispiel. Doch die aktuellen Herausforderungen sind groß.

„Um die in Österreich errungene betriebliche Mitbestimmung wird gekämpft werden müssen,
um das Modell auch in Zukunft aufrechtzuerhalten. Die Globalisierung stellt uns hier vor
zunehmende Herausforderungen.“
Heinz Leitsmüller, Abteilung Betriebswirtschaft der AK Wien

Erst durch Arbeit entsteht ein Produkt

Allerdings stellt sich die Frage: Ist es fair, wenn nur diejenigen bestimmen, die das Kapital, die Maschinen, die Produktionsmittel zur Verfügung stellen? Schließlich sind es die Beschäftigten, „die gemeinsam mit dem Kapital den Mehrwert schaffen“, so Leitsmüller. Es sei daher nur adäquat, die MitarbeiterInnen auch in Entscheidungen miteinzubeziehen, die das Unternehmen betreffen.

Das frühere Betriebsratsgesetz, nun das Arbeitsverfassungsgesetz, ist das Wertvollste, das wir haben, in dem Wirtschaftsdemokratie zum Ausdruck gebracht wird.

Heinz Leitsmüller, Leiter der Abteilung Betriebswirtschaft in der AK Wien

ÖGB-Experte Müller illustriert das Bedürfnis nach Demokratie auch im Arbeitsleben mit einer Analogie: In Zeiten der Monarchie habe es auch Fürsten gegeben, die gut für ihre Untertanen gesorgt haben, denen es zum Beispiel wichtig war, dass auch Kinder aus sozial armen Familien regelmäßig in die Schule gehen. „Und dennoch sind die Leute aufgestanden und haben gesagt: Wir wollen keine Monarchie mehr, wir wollen eine Demokratie. Wir wollen nicht vom Wohlwollen von jemandem abhängig sein.“ Seit 100 Jahren sorgen Betriebsräte in heimischen Unternehmen dafür, dass auch die Interessen der Beschäftigten gewahrt werden. Ihre Arbeit könnte man als das Herzstück heimischer Wirtschaftsdemokratie bezeichnen. „Das frühere Betriebsratsgesetz, nun das Arbeitsverfassungsgesetz, ist das Wertvollste, das wir haben, in dem Wirtschaftsdemokratie zum Ausdruck gebracht wird“, betont Leitsmüller. Hier wird die repräsentative Mitbestimmung verankert.

Die Rolle der Betriebsräte

Die Betriebsräte sind „Ausdruck der Selbstermächtigung der ArbeitnehmerInnen“, sagt Martin Müller. Österreichweit gibt es heute mehr als 7.800 Betriebsräte mit über 36.000 Betriebsratsmitgliedern. Großunternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten haben nahezu zu 100 Prozent einen Betriebsrat, Betriebe mit mehr als 500 MitarbeiterInnen zu mehr als 90 Prozent. Die hierzulande stark vertretenen Klein- und Mittelbetriebe haben oft keine ArbeitnehmerInnenvertretung. Von Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten haben aber bereits drei Viertel einen Betriebsrat.

Betriebsräte sind Ausdruck der Selbstermächtigung der ArbeitnehmerInnen.

Martin Müller, Arbeitsrechtsexperte ÖGB

Diesem Organ, das die Interessen der ArbeitnehmerInnen vertritt, stehen Informationsrechte zu, und zwar immer dann, wenn das Unternehmen wichtige Entscheidungen trifft, wie etwa Umstrukturierungen oder die Schließung von Standorten. Der Betriebsrat muss in solchen Fällen rechtzeitig, also noch vor Inkrafttreten oder Umsetzung, informiert werden. Der Betriebsrat darf dann seine Meinung abgeben sowie „Maßnahmen vorschlagen, welche die Auswirkungen auf die Beschäftigten mildern“, erklärt Leitsmüller. Letzteres münde dann eben in einen Sozialplan.

Andere Passagen im Arbeitsverfassungsgesetz heben auch die wirtschaftliche Mitbestimmung hervor. Demnach muss der Betriebsrat laufend über wirtschaftliche Daten informiert werden – es ist der Jahresabschluss vorzulegen, und die MitarbeiterInnenvertretung muss über größere Investitionen oder Rationalisierungsmaßnahmen informiert werden. Besonders heben Müller und Leitsmüller hier zudem hervor, dass der Betriebsrat auch im Aufsichtsrat von großen Unternehmen vertreten ist. Er stellt darin zwar nur ein Drittel der Mitglieder. Der Aufsichtsrat ist aber das Gremium, das die Arbeit des Vorstands überwacht. Hier muss etwa der Aufnahme von großen Krediten oder der Tätigung von höheren Investitionen (die betreffenden Summen werden jeweils individuell im Unternehmen festgelegt, hier gibt es keine allgemein gültigen gesetzlichen Vorgaben) zugestimmt werden.

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  1. Seite 1 - Ursprünge der Mitbestimmung
  2. Seite 2 - Selbstermächtigung der ArbeitnehmerInnen
  3. Seite 3 - Das österreichische Modell verteidigen
  4. Seite 4 - Von der Demokratie in die Postdemokratie?
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Über den/die Autor:in

Alexia Weiss

Alexia Weiss, geboren 1971 in Wien, Journalistin und Autorin. Germanistikstudium und Journalismusausbildung an der Universität Wien. Seit 1993 journalistisch tätig, u.a. als Redakteurin der Austria Presse Agentur. Ab 2007 freie Journalistin. Aktuell schreibt sie für das jüdische Magazin WINA sowie für gewerkschaftliche Medien wie die KOMPETENZ der GPA-djp oder die Gesunde Arbeit. 2022 erschien ihr bisher letztes Buch "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" (Verlag Kremayr & Scheriau).

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