Coverstory: Den Kampf niemals aufgeben

Illustratives Bild
(C) Foto: Markus Zahradnik, Konzept & Produktion: Thomas Jarmer

Inhalt

  1. Seite 1 - Ursprünge der Mitbestimmung
  2. Seite 2 - Selbstermächtigung der ArbeitnehmerInnen
  3. Seite 3 - Das österreichische Modell verteidigen
  4. Seite 4 - Von der Demokratie in die Postdemokratie?
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Für demokratische Strukturen in Staat und Gesellschaft wurde lange gekämpft. Doch das Erreichte darf nicht als selbstverständlich angesehen werden: Man muss es stets verteidigen und sich weiter dafür einsetzen. Das gilt auch für die Mitbestimmung von ArbeitnehmerInnen in der Wirtschaft allgemein und in den einzelnen Betrieben im Besonderen. Noch ist Österreich hier ein Best-Practice-Beispiel. Doch die aktuellen Herausforderungen sind groß.
Ein großes Unternehmen muss einen Produktionsstandort schließen: Das ist nicht nur für den Betrieb einschneidend. Das verändert auch die individuellen Leben der dort Beschäftigten. Von der Schließung erfahren die MitarbeiterInnen heute jedoch nicht mehr erst, wenn es bereits so weit ist. Über eine solche Entscheidung muss die Geschäftsführung den Betriebsrat zeitgerecht informieren. Und auch wenn dieser am Ende vielleicht nicht verhindern wird können, dass Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren: Er kann doch durch das Einbringen seiner Expertise in Gesprächen mit der Unternehmensleitung dafür sorgen, dass manche der Betroffenen zum Beispiel an einem anderen Standort eingesetzt werden und dass es für die, deren Jobs nicht mehr zu retten sind, einen Sozialplan gibt. Für Rechte wie dieses wurde lange gekämpft, auch wenn es manchem heute so scheint, als wäre das immer schon so gewesen. Das Betriebsrätegesetz wurde vor genau 100 Jahren geschaffen, heute ist es Teil des Arbeitsverfassungsgesetzes, erläutert der Jurist Martin Müller vom ÖGB.

Die Politologin Ursula Filipič, Referentin für Sozialpolitik in der Arbeiterkammer Wien, geht in der Geschichte noch einen Schritt weiter zurück. Nach dem Verständnis des britischen Industrial-Relations-Experten Richard Hyman, der in Großbritannien eine marxistisch orientierte Theorie- und Forschungsperspektive der industriellen Beziehungen begründete, „ist Demokratie ein wesentlicher Bestandteil der Entwicklung kapitalistischer Gesellschaften“, erläutert sie. Bürgerrechte seien dabei in drei Stufen durchgesetzt worden.

Die (Lohn-)Arbeitenden im Bereich der Erwerbsarbeit sind – im Unterschied zur öffentlichen Sphäre, wo individuelle Freiheits-, politische und soziale Rechte verankert sind – nicht frei, sondern abhängig vom Willen der ArbeitgeberInnen.

Ursula Filipič, Referentin für Sozialpolitik in der Arbeiterkammer Wien

Zivile Bürgerrechte im 18. und 19. Jahrhundert beinhalteten grundlegende individuelle Freiheiten, etwa die Freiheit der Person, die Rede- und Glaubensfreiheit oder die Freiheit, Verträge abschließen zu können. Diese Rechte konnten rund 100 Jahre später um politische Bürgerrechte, wie etwa das Wahlrecht, erweitert werden. Im Lauf des 20. Jahrhunderts konnten schließlich – vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg – wesentliche soziale Bürgerrechte errungen werden. Dazu zählt zum Beispiel ein gut ausgebauter Sozialstaat. Es entwickelten sich aber eben auch Institutionen wie die Gewerkschaften, die sich für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen. Kollektivverträge, aber auch das Streikrecht sind hier zwei der Werkzeuge, die dazu entwickelt wurden. Dennoch wurde die Demokratie nicht eins zu eins auf das Arbeitsleben ausgeweitet.

Hier setzt die Idee der Wirtschaftsdemokratie an. Sie rekurriert auf einen Widerspruch, erläutert Filipič, nämlich „dass die (Lohn-)Arbeitenden im Bereich der Erwerbsarbeit – im Unterschied zur öffentlichen Sphäre, wo individuelle Freiheits-, politische und soziale Rechte verankert sind – nicht frei, sondern abhängig vom Willen der ArbeitgeberInnen sind“.

Dazu erklärt Heinz Leitsmüller, Leiter der Abteilung Betriebswirtschaft in der AK Wien: „Unternehmen sind in der Marktwirtschaft so aufgebaut, dass es nur eine Gruppe gibt, die das Sagen darüber hat, was im Betrieb zu geschehen hat und welche Strategien eingeschlagen werden: Das sind die EigentümerInnen, also diejenigen, die das Unternehmen oder Anteile des Unternehmens besitzen.“ Das spiegle sich auch im Aktienrecht und im GesmbH-Recht klar wider: Über die wichtigsten Veränderungen in einem Betrieb, wie etwa über Umgründungen, entscheidet immer ein Gremium, in dem die EigentümerInnen den Ton angeben, wie etwa die Hauptversammlung oder die Generalversammlung.

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  1. Seite 1 - Ursprünge der Mitbestimmung
  2. Seite 2 - Selbstermächtigung der ArbeitnehmerInnen
  3. Seite 3 - Das österreichische Modell verteidigen
  4. Seite 4 - Von der Demokratie in die Postdemokratie?
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Über den/die Autor:in

Alexia Weiss

Alexia Weiss, geboren 1971 in Wien, Journalistin und Autorin. Germanistikstudium und Journalismusausbildung an der Universität Wien. Seit 1993 journalistisch tätig, u.a. als Redakteurin der Austria Presse Agentur. Ab 2007 freie Journalistin. Aktuell schreibt sie für das jüdische Magazin WINA sowie für gewerkschaftliche Medien wie die KOMPETENZ der GPA-djp oder die Gesunde Arbeit. 2022 erschien ihr bisher letztes Buch "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" (Verlag Kremayr & Scheriau).

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