Coverstory: Das Wackelhaus

Inhalt

  1. Seite 1 - Angebot und Problem Befristung
  2. Seite 2 - Schleichende Privatisierung
  3. Seite 3 - Kluge Raumordnung
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Massive Preisanstiege, MaklerInnengebühren, Befristungen und intransparente Zuschläge: Wohnungssuchende kämpfen mit vielen Schwierigkeiten. Wie schaffen wir es, dass städtisches Wohnen wieder leistbar wird?


Schleichende Privatisierung

Ein anderes Problem ist, dass die sogenannte verpflichtende Eigentumsoption im gemeinnützigen Wohnbau eine „schleichende individuelle Privatisierung möglich machte“, erklärt Martin Ortner, Obmann der EBG, einer gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaft. Er führt dies näher aus: Gemeinnützige Wohnbauvereinigungen seien „in vielen Fällen verpflichtet, den MieterInnen eine Eigentumsoption anzubieten; sprich, sie können die Wohnung nach zehn Jahren privat kaufen. Dieses Angebot sei für den Einzelnen oder die Einzelne meist lukrativ. Denn die Bauträger dürfen nicht heute übliche Preise verlangen, sondern nur einen bestimmten Betrag auf den Preis draufschlagen, den die Wohnung vor zehn Jahren gekostet hätte. Langfristig schmälert diese Angebotspflicht allerdings den gemeinnützigen Wohnungsbestand.“ Denn eine neuerliche Vermietung unterliegt dann keinerlei Preis- bzw. Gewinnbeschränkung mehr, wie Ortner betont: „Wenn der bisherige Mieter oder die bisherige Mieterin die Wohnung kauft und dann vermietet, kann er oder sie dies zu einem freien Mietzins tun. Damit fallen diese Wohnungen aus dem mietengeschützten, sozial gebundenen Bestand heraus.“ Ortner weist auf die Absurdität dieser Vorgangsweise hin: „Man wendet viel Geld aus der Wohnbauförderung und sonstige Ressourcen wie Grundstücke und Know-how auf, um günstige, qualitativ hochwertige Wohnungen zu bauen, die über kurz oder lang als Spekulationsobjekte enden.“ Er fragt sich daher, was aus dem Grundsatz „Gemeinnützig errichtet – immer gemeinnützig“ wurde.

Was wurde aus dem Grundsatz „Gemeinnützig errichtet – immer gemeinnützig“?

Betrachtet man den Wiener Wohnungsmarkt, schneidet dieser im internationalen Vergleich immer noch sehr gut ab. Das ist vor allem den Investitionen der Stadt Wien zu verdanken. „Mit mehreren Wohnbauprogrammen wurden insgesamt 220.000 Gemeindewohnungen errichtet“, erklärt Sina Lipp, die sich als Sozialwissenschafterin mit Stadt- und Wohnbauforschung beschäftigt und nunmehr bei der NGO „neunerhaus“ arbeitet, die Obdachlose unterstützt. Aktuell sind in Wien 25 Prozent der Bevölkerung in einer Gemeindewohnung untergebracht. Die Zahl jener Personen, die Angebote des sozialen Wohnbaus nutzen, steigt auf 60 Prozent, wenn zusätzlich noch die Genossenschaften eingerechnet werden.

Wachsende Städte

Das klingt zunächst recht positiv. Doch durch den städtischen Wandel haben sich die Rahmenbedingungen verändert. So ist die EinwohnerInnenzahl Wiens in den letzten 30 Jahren von 1,5 Millionen auf 1,9 Millionen angewachsen. Daraus ergaben sich einige Problematiken, was den Anspruch auf Gemeindewohnungen betrifft. Lipp beobachtet vor allem „strengere Rahmenbedingungen für ein ohnehin knapper werdendes Angebot und die Begünstigung von ÖsterreicherInnen bzw. lange in Wien ansässigen Personen, die in konventionellen Haushaltsformen leben“. Benachteiligt werden alternative Formen des Zusammenlebens, wie beispielsweise Wohngemeinschaften oder moderne Familienmodelle, aber auch Wohnungssuchende aus den Bundesländern. Dass sich die Bevölkerungsstruktur verändert und damit neue Lebenskonzepte entstehen, wird bei der Vergabe von Gemeindewohnungen nicht berücksichtigt.

Dass sich die Bevölkerungsstruktur verändert und damit neue Lebenskonzepte entstehen, wird bei der Vergabe von Gemeindewohnungen nicht berücksichtigt.

InteressentInnen von Gemeindewohnungen müssen einen durchgehenden Hauptwohnsitz in Wien über mindestens zwei Jahre an derselben Adresse nachweisen (dies gilt übrigens auch für alle Mitglieder der Kernfamilie, die in diese Wohnung ziehen möchten). Wer bereits länger als fünf Jahre in Wien hauptgemeldet ist, rückt im Vergabesystem weiter nach vorne. Zudem muss ein „begründeter Wohnbedarf“ vorliegen, Lipp nennt diesbezüglich beispielsweise einen „Überbelag von etwa vier Personen in einer Zweizimmerwohnung“.

Vielfältige Stadt

Aber was ist dann zum Beispiel mit einem Niederösterreicher, der sich beruflich weiterentwickeln und daher den Lebensmittelpunkt nach Wien verlegen möchte? Oder mit einer jungen Wienerin, die vom Studentenwohnheim in eine WG wechselte und sich dann nach einer Gemeindewohnung umsehen will? Oder mit einem Alleinstehenden, der arbeitslos wurde und sich seine Wohnung nun nicht mehr leisten kann? Keiner von ihnen erfüllt die Voraussetzungen für den Bezug einer Gemeindewohnung: Der Niederösterreicher kann keinen Hauptwohnsitz in Wien nachweisen; die junge Wienerin war zwar in Wien gemeldet, allerdings an unterschiedlichen Adressen; und der Alleinstehende scheitert am „begründeten Wohnbedarf“, da er in seiner Einzimmerwohnung keinen Überbelag vorweisen kann.

Der private Wohnungsmarkt ist stark überteuert.

„Können die Grundvoraussetzungen nicht erfüllt werden, landen die Wohnungssuchenden meist wieder dort, wo sie herkommen: am privaten Wohnungsmarkt“, fasst Lipp die Situation zusammen. Und dieser ist – wie die AK-Mietumfrage ergab – stark überteuert.

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Über den/die Autor:in

Beatrix Mittermann

Beatrix Mittermann hat internationale Betriebswirtschaft an der WU Wien, in Thailand, Montenegro und Frankreich studiert. Sie ist Autorin, Schreibcoach sowie freie Redakteurin für diverse Magazine und Blogs.

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