Budget 2023: Sozial sicher in die Zukunft?

Eine Akrobatin ist in einem Sicherheitsgeschirr auf einem Auffangnetz. Symbolbild für das Budget 2023.
Budget 2023: Spinnen- oder Sicherheitsnetz? | © AdobeStock/MelissaMN
Das Budget in der Expert:innen-Analyse: Während Finanzminister Magnus Brunner von der Bevölkerung weniger Vollkaskomentalität einfordert, vermissen Volkswirt:innen klare Aussagen hinsichtlich der Einnahmen – etwa in Hinblick auf eine Übergewinnsteuer.
Mehr Eigenverantwortung, weg von Anspruchsdenken und Vollkaskomentalität. Das fordert Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) von den Österreicher:innen. „Wir müssen wirklich schauen, dass wir von diesem Nanny-Staat wegkommen“, sagte er im Zusammenhang mit der Präsentation seines Budgetentwurfs im Interview mit NEWS. Also weg vom Kindermädchen-Staat. Die Erwartungshaltung gegenüber dem Staat sei seit Corona gewaltig gewachsen, sei schlichtweg zu hoch. „Der hat gut reden“, meint eine Mindestpensionistin. Brunners erste Budgetrede trug dann den Titel „Aus Verantwortung für morgen – sicher in die Zukunft“. Darin versuchte er einerseits, Sicherheit zu vermitteln, und sprach zugleich wiederholt von Transformation. Was steckt in Brunners Haushaltsentwurf nun wirklich drin? Wie viel Sicherheit bringt das Budget 2023 tatsächlich und vor allem wem? Und was sagt dieser über den Kurs der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Bundesregierung aus? Arbeit&Wirtschaft hörte sich unter führenden Ökonom:innen um.

Schlechte Großwetterlage für das Budget 2023

Grundsätzlich schauen Österreichs Ökonom:innen ernüchtert ins kommende Jahr. Die Wirtschaft wird 2023 kaum noch wachsen, es droht gar die Stagflation. Also eine Phase mit niedrigem Wirtschaftswachstum sowie hoher Inflation und steigenden Zinsen. Stagflation geht üblicherweise mit niedrigerem Beschäftigungswachstum und steigender Arbeitslosigkeit einher. An so etwas können sich heute nur noch Pensionist:innen erinnern, denn das gab es in Österreich seit den 70er-Jahren nicht mehr. „Die Budgetpläne bringen deutlich mehr Geld für innere und äußere Sicherheit, lassen jedoch eine ähnliche Investitionsoffensive in die soziale Sicherheit hingegen vermissen. Doch für viele Menschen bedeutet die Energie- und Teuerungskrise eine konkrete und unmittelbare Bedrohung. Die zielgerichtete Verbesserung des Sozialstaates ist das Gebot der Stunde“, betont AK-Chefökonom Markus Marterbauer in einer Aussendung.

Portraitbild von Markus Marterbauer, Chefökonom der Arbeiterkammer. Er analysiert das Budget 2023.
Markus Marterbauer vermisst im Budgetentwurf eine ähnliche Investitionsoffensive in die soziale Sicherheit, wie in innere und äußere Sicherheit. | © Markus Zahradnik

Margit Schratzenstaller-Altzinger, Budgetexpertin und Senior Economist des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), sieht das Budget 2023 mit „Inflation, steigender Schuldenlast, steigenden Zinsen, dem Anstieg der Energiepreise sowie dem demografischen Wandel herausfordernd“. Sie kann Brunners Budgetplan „durchaus soziale Komponenten abgewinnen“ – die Anpassung der Pensionen zum Beispiel, die sie „für angemessen“ hält. Dafür sind im kommenden Jahr 2,7 Milliarden Euro mehr budgetiert. Damit will man die Teuerung vor allem bei den Bezieher:innen niedriger Pensionen abfedern (siehe Grafik).

Familien- und Sozialleistungen an Inflation angepasst

Für die WIFO-Expertin ist zudem die Indexierung der Familien- und Sozialleistungen, die künftig automatisch an die Inflation angepasst werden, „ein Fortschritt“. Die automatische Valorisierung der Sozialleistungen macht im kommenden Jahr 363 Millionen Euro aus, bis 2026 sind es 1,3 Mrd. Euro. Eine ordentliche Aufstockung bekommt der Budgetposten „soziale Dienste“ für 2023: Es wurden 774,6 Millionen Euro mehr budgetiert, die vor allem in die Pflege fließen sollen. Das Gesamtbudget für diesen Bereich liegt damit bei 5,04 Milliarden Euro. Das sei ein Anfang, „eine umfassende Pflegereform steht allerdings noch aus“, so Schratzenstaller-Altzinger gegenüber Arbeit&Wirtschaft.

Christoph Badelt, Präsident des Fiskalrats, kritisiert die mangelnde Nachhaltigkeit von Brunners Budgetentwurf. Die Nettoneuverschuldung sehe mit 2,7 Prozent „auf dem Papier zwar nicht schlecht“ aus, wie er im Interview mit Ö1 betont. Jedoch sei dieser vergleichsweise niedrige Wert „ein Effekt, der durch die Inflation entsteht, weil mit ihr zunächst auch die Einnahmen für den Fiskus sprudeln“. Die Inflation wirke sich über den Anstieg der Steuern und Abgaben heuer und nächstes Jahr positiv auf das Budget aus. Allerdings werde sich dieser Effekt in den Folgejahren umkehren und dann Schwierigkeiten bei der Erstellung kommender Budgets machen, also den Österreicher:innen auf den Kopf fallen. In Wahrheit sei die Neuverschuldung, so Badelt, „eine Scheinwahrheit, mit der wir nicht zufrieden sein können“.

Im Budget 2023 fehlt die soziale Handschrift

Über Jahrzehnte kritisiert und diskutiert, kommt jetzt das Aus für die kalte Progression. Als Ablaufdatum für diese schleichende Steuererhöhung ist der 1. Jänner 2023 festgelegt, die Österreicher:innen ersparen sich bis 2026 in Summe mehr als 20 Milliarden Euro. „Die Abschaffung der kalten Progression entlastet primär mittlere Einkommen“, so Schratzenstaller. Ob gerade jetzt mitten in der Turboinflation der geeignete Zeitpunkt ist, dieses Steuerprojekt umzusetzen? Die eine Seite argumentiert, dass die Menschen gerade jetzt jede Ersparnis brauchen können, und dazu zählt, dass vom Bruttogehalt netto mehr übrig bleibt. Zugleich geht dem Bundeshaushalt dadurch eine Menge Geld verloren, das etwa für höhere Sozialausgaben zur Abfederung der Teuerung verwendet werden könnte. „Die budgetäre Einschränkung durch die Abschaffung der kalten Progression ist eindeutig“, so Schratzenstaller. Deren Treffsicherheit kann aber bezweifelt werden.

Durch die Abschaffung der kalten Progression klaffe eine Lücke, die zu finanzieren sei, betont auch Badelt. Es werde einnahmen- wie auch ausgabenseitig zu Maßnahmen kommen müssen. Kündigt sich da am Ende bereits ein künftiges Sparpaket an?

Schwächen im Budget 2023

Vor allem in zwei Bereichen hat WIFO-Ökonomin Schratzenstaller Schwächen im Budgetplan entdeckt. Der eine ist der Bildungsbereich, wo zwar zusätzliche Budgetmittel vorgesehen sind, diese jedoch im Wesentlichen die Inflationskosten ausgleichen. Für Qualitatives bleibt da kein Geld übrig. Initiativen zur Steigerung der Bildungsmobilität – dass also Kinder aus bildungsschwachen Familien und/oder mit Migrationshintergrund höhere Abschlüsse machen – fehlen.

Portrait von Margit Schratzenstaller-Altzinger vom Wifo. Ein Interview zum Budget 2023.
Das Problem der gerechten Verteilung liege nicht zuletzt darin, dass hierzu eine entsprechende Datengrundlage geschaffen werden müsse. „Das hat sich bereits bei den Corona-Hilfspaketen gezeigt“, so Margit Schratzenstaller-Altzinger. | © Markus Zahradnik

Generell hat Österreich großen Nachholbedarf bei der Integration. „Hier muss die Republik einfach mehr Geld in die Hand nehmen“, sagt Schratzenstaller. Und auch bei der Digitalisierung ortet sie Nachbesserungsbedarf.

Krisen-Gießkanne

Kritisch sieht die WIFO-Expertin, dass die bisherigen Entlastungspakete mit der Gießkanne über alle Einkommensschichten verteilt wurden. Hier könnte mit höherer sozialer Zielsicherheit mehr erreicht werden. Auch Badelt kritisiert die Krisen-Gießkanne: Wenn es darum geht, Menschen vor wirtschaftlicher Not zu bewahren, „müssen und sollen wir uns das leisten, auch wenn es zulasten der Verschuldung geht“, wie Badelt im ORF-Interview sagt. Das wirkliche Problem sei, dass teure Maßnahmen wie die Strompreisbremse oder der Teuerungsbonus an alle Einwohner:innen ausgeschüttet werden und nicht nur an jene, die dies dringend benötigen.

Das Problem der gerechten Verteilung liege nicht zuletzt darin, dass hierzu eine entsprechende Datengrundlage geschaffen werden müsse, um künftig zielsicherer zu entlasten. „Das hat sich bereits bei den Corona-Hilfspaketen gezeigt. Das muss angegangen werden, es müssen hier die institutionellen Voraussetzungen geschaffen werden“, fordert Schratzenstaller-Altzinger. Es gäbe Datensätze, die intelligent verknüpft eine bessere Grundlage für die Verteilung schaffen könnten. „Selbstverständlich muss der Datenschutz gewährleistet werden, und man wird sich vorab Gedanken über die konkrete Umsetzung machen müssen“, wie sie betont.

Fachkräfte ausbilden

Der zweite große Bereich, in dem weitere längerfristige Akzente gesetzt werden sollten, ist der Arbeitsmarkt – „konkret Maßnahmen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels. Wir benötigen grüne und digitale Fachkräfte“, sagt Schratzenstaller-Altzinger. Sie macht das am Beispiel des Heizungstauschs im Zuge der Dekarbonisierung fest: Dafür braucht es genug Fachkräfte, die das können. In diesen Berufen müsste auch die Lehrlingsausbildung attraktiver werden. Finanzminister Brunner sprach in seiner Budgetrede wiederholt von Transformation, doch woher die dafür nötigen Budgetmittel kommen sollen, bleibt weitgehend offen.

Die Politik muss bei der Profit-Preis-
Spirale ansetzen. Und es braucht einen
Strukturwandel, der bei der Eindämmung
von Übergewinnen starten muss. 

Elisabeth Springler, Volkswirtin bfi Wien

Die Volkswirtin Elisabeth Springler hat hingegen eine klare Idee, wie die Budgetlücke zu schließen sei. Die Professorin an der Fachhochschule des bfi Wien sagt, dass die Gründe für die Inflation „steigende Energiekosten und steigende Profite der Unternehmen sind.“ Daher müsse die Politik bei dieser Profit-Preis-Spirale ansetzen. Und es brauche einen Strukturwandel, der, wie sie sagt, „bei der Eindämmung von Übergewinnen starten muss“.

Budget 2023: Steuerlücke muss geschlossen werden

Zum Thema Übergewinnsteuer betont WIFO-Expertin Schratzenstaller, dass die EU-Beschlüsse dazu so rasch wie möglich umzusetzen seien: „Das Geld wird man gut gebrauchen können.“ Auch die für 2023 und 2024 geplante schrittweise Senkung der Körperschaftsteuer hat aus ihrer wie auch aus Marterbauers Sicht nicht oberste Priorität. Denn auch dadurch gehen dem Bundeshaushalt Einkünfte verloren. Effizienter seien gezielte Entlastungen, wie der neue Investitionsfreibetrag mit Ökologisierungskomponente.

AK-Ökonom Marterbauer vermisst außerdem die Besteuerung von großen Vermögen und Erbschaften genauso wie ein Maßnahmenprogramm gegen die klaffende Steuerlücke: „Die Regierung lässt hier erneut eine große Chance verstreichen, unser Steuersystem gerechter zu machen. Mit dem unverständlichen Festhalten an der Senkung der Körperschaftsteuer und dem Fehlen einer Übergewinnsteuer profitieren Konzerne doppelt.“ Marterbauer appelliert abschließend, dass am Ende „nicht wieder die Arbeitnehmer:innen für die diversen Budgetgeschenke bezahlen“ sollen.

Der Budgetplan für 2023 im Überblick

Familie und Jugend:

Anstieg der Ausgaben um 38,1 Millionen Euro. Die Auszahlungen sind für 2023 mit 8,12 Milliarden Euro veranschlagt. Die Mittel werden vor allem für Familienleistungen wie Familienbeihilfe oder Kinderbetreuungsgeld verwendet.

Pensionen:

13,95 Milliarden Euro sind veranschlagt. Die Steigerung wird vor allem mit wachsenden Pensionsaufwendungen begründet. Das Geld soll primär zur Finanzierung der Bundesbeiträge zur Pensionsversicherung sowie der Ausgleichszulagen verwendet werden.
Die rund 2,5 Millionen ausbezahlten Pensionen sind folgendermaßen gestaffelt:

  • Für rund 200.000 Pensionist:innen mit einer Monatspension von etwas mehr als 1.000 Euro, die daher eine Ausgleichszulage beziehen, werden die Pensionen 2023 um 10,2 Prozent erhöht.
  • Für 1,2 Millionen oder 53 Prozent der Pensionist:innen, die eine Pension bis 1.700 Euro beziehen, wird die Pension um 8,2 Prozent erhöht.
  • Für rund 400.000 Menschen, die zwischen 1.700 und 2.360 Euro beziehen, wird die Pension je nach Höhe um 5,8 bis 8,2 Prozent angehoben.
  • Bei weiteren 400.000 Pensionist:innen mit 2.360 bis 5.670 Euro steigt die Pension um 5,8 Prozent.
Gesundheit:

Die Ausgaben sinken um 1,74 Milliarden Euro. Grund dafür sind erwartete geringere Ausgaben für die Corona-Pandemie. Insgesamt sind für 2023 die Auszahlungen im Gesundheitsbereich mit 2,86 Milliarden Euro veranschlagt.

Bildung:

Die Ausgaben steigen für 2023 auf 11,254 Milliarden Euro an. 82 Prozent davon sind für Personalkosten reserviert. Wichtige Faktoren für die Steigerung sind laut Budgetbericht mehr Schüler:innen und höhere Lehrer:innengehälter.

Hochschulen:

Die Universitäten erhalten im neuen Budget in den kommenden vier Jahren jeweils 250 Millionen Euro zur Teuerungsabgeltung.

Umwelt und Mobilität:

3,2 Milliarden Euro Budgetaufstockung. Erhöhungen gibt es im Bereich der Mobilitäts- und Forschungsausgaben. Der Schwerpunkt der Budgetplanung bis 2026 liege darin, Unabhängigkeit von Erdgas, insbesondere aus Russland, zu erreichen, so das Ministerium.

Soziales und Konsumentenschutz:

Anstieg durch die Pflegereform um 774,6 Millionen Euro. Damit beträgt das Budget für 2023 in diesem Bereich 5,04 Milliarden Euro. Die Mittel werden in erster Linie zur Finanzierung der Bundesausgaben im Pflegebereich verwendet.

Sport:

Gesamtbudget 2023 bei 231,5 Millionen Euro. Dies ist eine Erhöhung um 48,5 Prozent und die größte in der Geschichte des Sportministeriums.

Kunst- und Kultur:

Das Budget steigt auf 620,2 Millionen Euro an. Ein Teil davon ist als Inflationsausgleich vorgesehen. Davon bekommen die Bundesmuseen und -theater je 11 Millionen Euro dazu, und 15,5 Millionen Euro gehen in die zusätzliche Förderung der übrigen Kulturszene.

Bundesheer:

Im kommenden Jahr sind es 680 Millionen Euro zusätzlich, damit entspricht das Budget des Bundesheers 2023 insgesamt 3,32 Milliarden Euro.

Inneres:

Das Ressort für innere Sicherheit sieht eine Erhöhung des Finanzrahmens um 78,7 Millionen Euro auf insgesamt 3,25 Milliarden Euro vor – so viel wie noch nie in der Zweiten Republik.

Justiz:

Die Justiz bekommt rund 220 Millionen Euro mehr, damit sollen unter anderem 120 zusätzliche Planstellen für Staatsanwälte, Richter :innen und IT-Expert:innen im Bereich Cyberkriminalität finanziert werden. Die Mittel für den Rechnungshof steigen auf 42,2 Millionen Euro.

Außenministerium:

Das Budget für das kommende Jahr wurde mit 635,5 Millionen Euro veranschlagt. Der Auslandskatastrophenfonds wird um 20 Millionen Euro aufgestockt, für die Entwicklungszusammenarbeit soll es zwölf Millionen Euro mehr geben.

Sie brauchen einen Perspektivenwechsel?

Dann melden Sie sich hier an und erhalten einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.

Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.