Fringe Benefit unbegrenzter Urlaub? So machen Extras Sinn

Bitpanda
Unbegrenzter Urlaub bei Bitpanda - kann das funktionieren? (c) Adobe, Postmodern Studio
Das Wiener Krypto-Unternehmen Bitpanda fiel vor Monaten mit der Ansage auf, die Mitarbeiter:innen hätten unbegrenzt Urlaub zur Verfügung. Nicht viel mehr als eine PR-Aktion, wie Arbeit & Wirtschaft recherchiert. Doch diese Goodies können auch funktionieren.
Fringe Benefits – das ist ein Schlagwort, das sich Unternehmen gerne an die Fahne heften. Man möchte sich selbst vermarkten, um für (mögliche) Arbeitnehmern:innen attraktiv zu sein und bietet diese Zusatzleistungen (= Fringe Benefits) an. Etwa: Eine Woche Urlaub mehr; garantierte Home-Office-Tage; eine 4-Tage-Woche, gratis Obstkörbe und, und, und. Das Ziel: Bessere und glücklichere Angestellte. Nichts Verwerfliches auf der grundsätzlichen Ebene, aber dennoch mit einigen Abers ausgestattet.

Eine Firma, die damit zuletzt besonders auffiel, war das Wiener Krypto-Start-Up Bitpanda. „Unbegrenzter Urlaub“, hieß es dort. Eine Person (Name der Redaktion bekannt), die bei Bitpanda arbeitet(e), erzählt gegenüber Arbeit & Wirtschaft, wie das wirklich aussah. „Das Ganze ist mehr eine PR-Aktion nach außen. Nach innen hat man sich keine Illusionen gemacht“, meint die Person. Immerhin hat das Unternehmen 2021 schon eine zusätzliche Woche Urlaub ermöglicht. Damit waren die Mitarbeiter:innen „sehr happy. Als das Thema Unlimited öffentlich wurde, hat es uns eigentlich alle eher gestört, denn uns war klar, dass das nicht geht. Irgendwer muss die Arbeit machen.“ Und schon widersprechen sich Ankündigung und Arbeitsrecht.

Die Praxis bei Bitpanda

„Man kann sich schon mehr Urlaub nehmen, aber den muss man sich auch genehmigen lassen“, gibt es einen Einblick in die Praxis. Weiters müsse sichergestellt sein, dass es eine Vertretung gibt. Das, so das Gesetz, muss eigentlich der Arbeitgeber machen. Und: „Ich kann mir keine Umstände vorstellen, dass jemand drei Monate Urlaub genehmigt.“ Von einem Ausreizen von „Unlimited“ wäre nichts bekannt, zum Zeitpunkt des Interviews hätten die meisten der Person bekannten Kolleg:innen überhaupt noch zu viel Urlaubsanspruch gehabt.

Weiters nahm die Arbeit sowieso Überhand. „Es fühlt sich nicht so an, als ob wir mehr Urlaub nehmen können bzw. denke ich nicht, dass diese Regelung für uns Vorteile bringt. Dem Ganzen soll ein fair-use Gedanke unterliegen. Aber wer entscheidet, was fair ist?“ Gute Frage – die Antwort: Das Arbeitsrecht, Betriebsrät:innen, die Gewerkschaft sowie der Dialog mit den Arbeitgebern.

Das sagt das Recht

„Grundsätzlich unterliegen alle Fragen rund um das Thema Urlaub, Urlaubsausmaß, Anrechnung von Vordienstzeiten, Anspruch auf 6. Urlaubswoche, Verjährung etc. dem Urlaubsgesetz“, weiß Philipp Brokes, Abteilungsleiter-Stv. in der AK Wien – Abteilung Sozialpolitik. Jede:r Arbeitnehmer:in hat pro Jahr Anspruch auf fünf Wochen Urlaub. Ab 25 Dienstjahren gebührt überdies eine zusätzliche, sechste Urlaubswoche. Wie kommt es also zu mehr Urlaub, über die fünf Wochen hinausgehen, bedenkend, dass Bitpanda noch gar nicht so alt ist?

Sollte jemand in einem Jahr mehr als seinen gesetzlichen Urlaubsanspruch verbrauchen wollen, werden in der Praxis üblicherweise sogenannte „Urlaubsvorgriffe“ vereinbart: „Gleichzeitig sehen diese Vereinbarungen oft vor, dass ich etwa dann, wenn ich mein Arbeitsverhältnis in der Zwischenzeit auflöse und auf meinem Urlaubskonto ein Minus verbleibt, einem Geldabzug oder einer Gegenrechnung mit allfälligen Mehr- und Überstundenansprüchen zustimme.“ Kurzum: In der Praxis wird das Urlaubskonto wie jedes andere Konto auch geführt. Wird das Urlaubskonto überzogen, gibt es in der Regel Vereinbarungen auf betrieblicher Ebene, was das für die Betroffenen bedeutet. Wurde mehr als der gesetzliche Urlaubsanspruch verbraucht, wünschen etwa viele Unternehmen einen Ausgleich, der zumeist in Geld erfolgt.

Mann der an einem Schreibtisch in einen Kalender schreibt. Symbolbild zum Thema Mitarbeiterbenefits und Bitpanda
Mitarbeiter-Goodies: Ankündigung und Praxis müssen zusammenpassen. (c) Adobe A-Stockphoto-scaled

Nur Überschriften?

Bei Bitpanda funktionierte diese Praxis aber wie erwähnt nicht. Ankündigung und Praxis passen nicht zusammen. Michael Gogola, Jurist in der Grundlagenabteilung sowie der Abteilung Arbeit & Technik der Gewerkschaft GPA, hat sich das Modell schon im April angesehen. Sein Fazit damals: Man darf sich nicht nur an den Interessen des Unternehmens orientieren. Angesprochen auf die Realität sagt er nun: „Die Geschäftsführung hat sich Modelle überlegt, wie man das Unternehmen nach außen gut darstellen kann, die Realität sieht offenbar anders aus.“ Es sei auch nicht die Aufgabe der Mitarbeiter:innen, sich um die Vertretung zu kümmern, jedes Unternehmen habe Fürsorgepflichten, sich um die Beschäftigten zu kümmern. Ob das in einer Zeit der Schlagworte insgesamt mit der Realität zusammenpasst?

„Fringe Benefits sind häufig Buzzwords, da werde ich hellhörig“, meint Gogola, „man muss hinter die Fassade blicken, wie es wirklich ist. Wenn die Arbeitgeber einseitig Benefits gewähren und jederzeit zurückziehen können, ist das problematisch.“ Manchmal sei es etwas Gutes, manchmal aber auch Überschriften und nicht mehr. Ich halte es jedoch für gut, wenn sich Unternehmen überlegen, wie sie attraktive Arbeitgeber sein können.“

Aufweichung

Ein laxer Umgang mit Fringe Benefits ist aber eben nichts, was einen Arbeitgeber attraktiv macht. „Von dem erwähnten Grundprinzip des Urlaubskontos wurde im Fall von Bitpanda insofern abgewichen, als sinngemäß kommuniziert wurde, man könne sich jedes Jahr unlimitiert Urlaub nehmen, solange laufende Arbeiten erledigt werden und direkte Vorgesetzte dem Urlaubsantrag zustimmen. Man hat also die arbeitsrechtliche Praxis noch weiter aufgeweicht, indem Urlaubsvorgriffe unlimitiert zugelassen wurden, ohne, dass der Arbeitgeber den Beschäftigten eine „Rückzahlungsverpflichtung“ umhängen wollte“, stellt Brokes klar. Hört sich zunächst gut an, steht aber auf arbeitsrechtlich tönernen Beinen.

Probleme wurden ihm übrigens nicht gemeldet, was wenig überraschend ist, da in der Praxis offenbar sowieso niemand zu viel Urlaub nahm. Die AK und Gewerkschaften fordern aber auch ohne derartigen Ankündigungen eine 6. Urlaubswoche, weil: „Es ist zweifellos im Interesse von Arbeitgebern und Arbeitnehmer:innen, ausreichend lange Arbeitspausen zur psychischen und physischen Regeneration sicherzustellen, zumal sich solche unbestritten in einer höheren Arbeitszufriedenheit, Produktivität und einer besseren Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben widerspiegeln“.

So geht der Fringe Benefit

Diese Aussage ist nachvollziehbar. Um aber mehr Urlaub oder weniger Arbeitstage wirklich im Unternehmen zu verankern, braucht es vor allem eines: arbeitsrechtliche Sicherheit. Was kann man also tun, wenn die Firma dieses oder jenes anbietet? „Man sollte Kontakt mit Betriebsrät:innen suchen und betriebliche Vereinbarungen abschließen“, führt Jurist Gogola aus, „Wir versuchen Modelle zu entwickeln, die für beide Seiten passen, etwa die Viertagewoche.“ Es gebe eben rechtliche Möglichkeiten, wie man die Arbeitszeit auf vier Arbeitstage umverteilen, es braucht aber eine Betriebsvereinbarung, wie bei allen anderen Goodies, die Arbeitgeber anbieten. Ganz wichtig erscheint in dem Zusammenhang: „Es gibt viele Unternehmen, die machen tolle Sachen – aber reden gar nicht großartig drüber.“

Bitpanda hat groß darüber geredet und übrig blieb wenig. Zudem ist fraglich, was aus all dem nicht konsumierten Urlaub wird. Denn mittlerweile wurden viele Mitarbeiter:innen gekündigt, noch dazu ziemlich ohne Vorankündigung. „Bis zu den Kündigungen wurde nie kommuniziert, dass die Marktlage unmittelbare Probleme für uns bringt. Es wurde eher beschwichtigt“, lautet die Innensicht. Die Kündigungen kamen dann sehr überraschend. Allerdings: Dass die Kryptobranche volatil ist, muss auch klar sein, etwa im Vergleich zu etablierten ’normalen‘ Banken. Insofern haben Arbeitnehmer:innen auch eine Verantwortung, wo bzw. in welcher Branche sie tätig sind.

Rechtssicherheit für alle

Und genau deshalb ist es so wichtig, rechtliche Sicherheit zu haben, im Betrieb und darüber hinaus. Mehr Urlaub, bitte, aber für alle, wie Philipp Brokes abschließend erklärt: „Kaum jemand in Österreich bleibt heutzutage derart lange bei ein und demselben Unternehmen tätig, dass er/sie am Ende noch die 6. Urlaubswoche erreicht. Die Anrechnungsbestimmungen des Urlaubsgesetzes sind auf einen wesentlich weniger mobilen Arbeitsmarkt ausgelegt, den wir heute nicht mehr vorfinden.“ Das ist wichtig. Denn offenbar sind manche Aussagen aus Unternehmen zu schön, um wahr zu sein.

 

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