Bis zur höchsten Instanz

Foto (C) ÖGB-Verlag/Michael Mazohl
Die AK kämpft dafür, dass ArbeitnehmerInnen zu ihrem Recht kommen. Manchmal geht sie bis zum OGH. Davon profitieren nicht nur die klagenden Personen, sondern indirekt auch andere ArbeitnehmerInnen.

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  1. Seite 1 - Zug um Zug Recht erkämpfen
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Manche Fälle aus dem Arbeitsrecht haben eine besondere Wirkung: Nicht nur Betroffene, sondern auch andere ArbeitnehmerInnen profitieren von Erfolgen.
Wenn die JuristInnen der Arbeiterkammer ihre tägliche Arbeit machen und im Idealfall ArbeitnehmerInnen zu ihrem Recht verhelfen, bekommt die Öffentlichkeit meist wenig davon mit. Doch manchmal schlagen Fälle höhere Wellen und sorgen für eine breitere Wirkung, sodass nicht nur die klagenden Personen davon profitieren, sondern indirekt auch andere ArbeitnehmerInnen. Das ist etwa dann der Fall, wenn ein Verfahren bis zum Obersten Gerichtshof (OGH) geführt wird: Wird es dort gewonnen, können sich künftige KlägerInnen, deren Fälle ähnlich liegen, darauf berufen. „Arbeit&Wirtschaft“ hat in der Rechtsabteilung der Arbeiterkammer nach solchen besonderen Arbeitsrechtsfällen aus den vergangenen Jahren gefragt und stellt drei davon vor.

Zug um Zug Recht erkämpfen

Ein solcher besonderer Fall mit Breitenwirkung war für Julia Vazny-König, Juristin in der Rechtsschutzabteilung der AK, „Henry am Zug“. Vazny-König vertrat – und vertritt teilweise immer noch – einige ehemalige MitarbeiterInnen dieses zu Do&Co gehörigen Zug-Catering-Anbieters. Henry am Zug war bis 2017 für die Bordverpflegung in ÖBB-Zügen zuständig. In jenem Fall, in dem die ArbeitnehmerInnen mit Unterstützung der Arbeiterkammer bis vor den OGH gezogen sind und dort Recht bekommen haben, ging es um Pausen. So war es den MitarbeiterInnen, die im Bordrestaurant der ÖBB-Railjet-Züge arbeiteten, nicht möglich, ihre Pausen einzuhalten. Nach sechs Stunden Arbeit hätte ihnen eine halbe Stunde Pause zugestanden. Doch den MitarbeiterInnen wurde nicht nur die halbe Stunde vom Lohn abgezogen, sondern sie hatten zudem keinen Ort, an dem sie ungestört ihre Pausen halten konnten. Vazny-König: „Der Arbeitgeber war der Meinung, dass die MitarbeiterInnen ihre Pausen auf einem Klappsessel in der Bordküche einhalten konnten. Doch die Kunden konnten sie dort sehen und wollten natürlich bedient werden.“ Und dazu kam noch: Weil der Platz zu eng war, musste jede/r, die/der gerade Pause auf dem Klappsessel machte, aufstehen, wenn eine andere Kollegin bzw. ein anderer Kollege Kaffee zubereiten musste.

Weinendes Personal

Julia Vazny-König ging dieser Fall besonders nahe. An extremen Tagen mussten MitarbeiterInnen bis zu 17 Stunden durchgehend arbeiten. Die gesetzlichen Ruhezeiten wurden dabei nicht eingehalten. Statt der vorgeschriebenen zehn Stunden hatten sie manchmal nur fünf Stunden zur Verfügung. In diesem Zeitraum mussten sie aber oft noch in ihre Unterkunft fahren. Als Bahnreisende spürte Vazny-König sogar persönlich, wie sehr das Personal unter Stress stand. „Eine Mitarbeiterin des Bordrestaurants ist vor Erschöpfung in Tränen ausgebrochen“, erzählt die Juristin. Ein anderer Henry-Mitarbeiter verursachte nach einem langen Dienst, der gegen die Vorschriften verstieß, einen Unfall. Er übersah eine rote Ampel, weil er übermüdet war. „Das sind Dinge, die mir unter die Haut gehen“, sagt Vazny-König.

Dieser Fall hatte mehrere weitreichende Folgen: Zum einen löste Henry am Zug 2017 den Vertrag mit den ÖBB auf. Zum anderen erreichte die Gewerkschaft, dass mittlerweile für die MitarbeiterInnen der Bordverpflegung nicht mehr der Gastgewerbe-, sondern der bessere Eisenbahner-Kollektivvertrag gilt. Und nicht zu vergessen sind die positiven Folgen des OGH-Urteils für ähnliche Arbeitsrechtsfälle. Vazny-König: „Wir haben immer auch die zukünftige Arbeitnehmerschaft im Fokus, deren Situation erträglicher wird.“

Doch die Auseinandersetzung mit Henry am Zug ist noch nicht ganz beendet. Es gibt ein weiteres Verfahren, das derzeit beim OGH liegt, weil die ArbeitnehmerInnen hier in erster und zweiter Instanz nicht Recht bekommen haben. Denn laut Kollektivvertrag muss eine Ruhezeitverletzung binnen zehn Tagen ausgeglichen werden. Wenn dies nicht geschieht, haben die ArbeitnehmerInnen Anspruch auf Entgelt. Die Arbeiterkammer ist aber der Auffassung, dass sofort Entgelt-Ansprüche anfallen müssten, sobald die Ruhezeit weniger als zehn Stunden beträgt. Jetzt wird auf den OGH-Entscheid gewartet.

Scheinkonstrukte im Baugewerbe

Auch im Baugewerbe gibt es Fälle mit rechtspolitischer Auswirkung. Weil ihre Löhne nicht ordnungsgemäß ausbezahlt wurden, wandten sich 21 Arbeiter an die AK Wien. Sie waren auf einer Großbaustelle beschäftigt. Zwar arbeiteten sie in der Arbeitskleidung einer Fassadenbaufirma, waren aber in Wirklichkeit bei einem Subunternehmen angemeldet. Dieses Subunternehmen ging in In­solvenz. Dies erschien der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft allzu verdächtig. Sie ermittelte wegen schweren Betrugs, und in weiterer Folge wurde das Subunternehmen als Scheinfirma qualifiziert.

Auftraggeberhaftung

Die auch auf Druck der Arbeiterkammer eingeführte Auftraggeberhaftung zeigte nun Wirkung. Weil sie die Auftraggeberin der Subfirma war, musste die Fassadenbaufirma die offenen Ansprüche der Arbeiter auszahlen. Immerhin machte das mit Zinsen und Verfahrenskosten einen Betrag in Höhe von insgesamt 60.000 Euro aus.

AK-Arbeitsrechtsexpertin Karmen Riedl: „Es ist schon lange ein Ziel der Arbeiterkammer, Sozialbetrug in der Bauwirtschaft zu bekämpfen.“ Sie betont, dass Fälle wie dieser, die auch medial vielfach aufgegriffen werden, dazu führen, dass Unternehmen abgeschreckt werden, ähnliche Konstruktionen zu bilden. Erfolge wie dieser würden außerdem andere ArbeiterInnen ermutigen, sich für ihr Recht einzusetzen. Denn es kostet in der Regel viel Zeit und Nerven, sich einem Arbeitsrechtsverfahren zu stellen. Doch leider gibt es noch viel zu viele Unternehmen am Bau, die ArbeitnehmerInnen nicht korrekt bezahlen. Um das Recht der BauarbeiterInnen leichter durchsetzen zu können, wäre aus Sicht der Arbeiterkammer eine Änderung der Gesetze notwendig. Denn eine Generalunternehmerhaftung, wie es sie in Deutschland bereits gibt, würde auch die oft unüberschaubare Zahl der Subunternehmerketten beschränken.

Der dritte Fall ist besonders bemerkenswert, denn hier zeigte eine junge Mutter mit Unterstützung der Arbeiterkammer besonders viel Durchhaltevermögen: Sie führte mit der Arbeiterkammer über zwei Jahre lang insgesamt fünf Verfahren und ging sogar bis zum Obersten Gerichtshof, wo ihr schließlich Recht gegeben wurde. Die junge Frau war bei einem Wiener Unternehmen als Schichtarbeiterin beschäftigt. Nach ihrer Karenz kehrte sie in die Firma zurück. Um Familie und Beruf besser vereinbaren zu können, beantragte sie Elternteilzeit, in der sie nur die Frühschichten von 6 bis 14 Uhr übernehmen musste. Der Arbeitgeber akzeptierte das mit Zähneknirschen, versetzte aber die Mitarbeiterin von Wien in ein Werk im Burgenland. Allein die Anfahrtszeit betrug nun eine Stunde und 40 Minuten.

Diskriminierung

Die Frau trat ihren Dienst im Burgenland unter Protest an. Die AK brachte für sie eine Feststellungsklage auf Unwirksamkeit der Versetzung und Schadenersatz wegen Diskriminierung ein. Sie gewann dieses Verfahren in erster Instanz und fuhr nicht mehr ins Werk im Burgenland. Darauf wurde sie vom Arbeitgeber fristlos entlassen.

Nach längerem Rechtsstreit wurde die Sache vom OGH zugunsten der Arbeitnehmerin rechtskräftig entschieden. Parallel dazu hatte der Arbeitgeber inzwischen eine Zustimmungsklage zu seiner fristlosen Entlassung bei Gericht eingebracht. Die Arbeiterkammer vertrat die Arbeitnehmerin auch in diesem Entlassungsverfahren. Erst nach dem OGH-Entscheid war der Arbeitgeber nun bereit, alle Ansprüche – auch jene aus den anderen laufenden Verfahren – zu bezahlen und das Dienstverhältnis als aufrecht zu akzeptieren. Die Arbeitnehmerin erhielt alle ausstehenden Löhne ausbezahlt sowie einen immateriellen Schadenersatz für die Diskriminierung.

Karmen Riedl sagt, dass es immer wieder Arbeitgeber gebe, die versuchen, Frauen, die ihre Schwangerschaft bekanntgeben, unter fadenscheinigen Begründungen loszuwerden: „Viele Arbeitsverhältnisse von jungen Frauen enden dann mit einer einvernehmlichen Trennung und mit Abschlagszahlungen.“ In diesem konkreten Fall ließ sich die Arbeitnehmerin nicht unterkriegen und bewies einen langen Atem. Und was diesen Fall so überaus besonders macht: „Wir konnten ihr Dienstverhältnis retten.“ Die junge Frau ist nach wie vor bei diesem Arbeitgeber angestellt, was nach einem solchen Verhandlungsmarathon wirklich selten ist.

Von
Alexandra Rotter

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/18.

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Über den/die Autor:in

Alexandra Rotter

Alexandra Rotter hat Kunstgeschichte in Wien und Lausanne studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin in Wien und schreibt vor allem über Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie und Zukunft.

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