Baustelle Entsendung: Ausbeutung in der österreichischen Baubranche

Ein Bauarbeiter arbeitet an einem Holzgebäude. Symbolbild für die Ausbeutung in der österreichischen Baubranche.
Die österreichische Baubranche ist ein Herd für Ausbeutung. Was kann man dagegen tun? | © Adobe Stock/sculpies
Die Baubranche zeichnet sich durch einen hohen Migrationsanteil aus. Sprachbarrieren und mangelndes Informationsangebot machen Arbeiter:innen anfällig für Lohn- und Sozialdumping. Die Gewerkschaft Bau-Holz hält dagegen.

Ausbeutung scheint auf österreichischen Baustellen zum Alltag zu gehören, zumindest bekommt man den Eindruck, wenn man mit der Gewerkschaft Bau-Holz (GBH) über die Entsendung von Arbeiter:innen spricht. Eine Entsendung liegt vor, wenn eine Firma aus einem anderen EU-Land Arbeitnehmer:innen nach Österreich schickt, um hier Dienstleistungen zu erbringen.

Seit einigen Jahren berät die GBH Steiermark in Spielfeld an der Grenze zu Slowenien Arbeitnehmer:innen, die über slowenische Firmen nach Österreich zum Arbeiten am Bau entsendet werden. Wie es zu Unterentlohnung und anderen gravierenden Missständen kommt, erklären Landesgeschäftsführer Andreas Linke und Fachexpertin Manuela Rozin, die die Beratungen durchführt.

Arbeit&Wirtschaft: Sie haben 2017 die Projekte „Faire Arbeit“ und „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ gestartet, zwei Beratungsangebote für die Baubranche. Warum ist das notwendig?

Manuela Rozin: Ich war damals noch Betriebsratsvorsitzende bei der Firma Stabil. Dadurch, dass ich Deutsch und BKS (Bosnisch/Kroatisch/Serbisch) spreche, sind immer wieder Arbeiter:innen an mich herangetreten, um sich zu informieren – bekomme ich genug Lohn, wo kann ich mich bei Fragen und Problemen hinwenden? Es wurden mit der Zeit immer mehr, firmenintern und -extern, deshalb sind die ersten Gespräche mit der Gewerkschaft aufgekommen.

Andreas Linke: Die Idee, eine Anlaufstelle für slowenische Arbeitnehmer:innen einzurichten, die in Österreich arbeiten, ist schon 2015 entstanden, nachdem wir im südsteirischen Raum Missstände mitbekommen hatten. Es werden ja nicht nur Slowen:innen entsendet, sondern Menschen aus vielen EU- und Nicht-EU-Ländern, die slowenischen Firmen vermitteln nur. Nach zwei Jahren Projektentwicklung haben wir gestartet und die Beratungen anfangs in einer Garage bei einer Tankstelle in Spielfeld in unserer Freizeit angeboten. Kurz nach dem Start sind schon Leute mit dem Auto bis zur Grenze gestanden und wollten sich beraten lassen.

Frau Rozin, Sie sind bis heute regelmäßig auf Baustellen. Was für Fälle kommen Ihnen da unter?

Rozin: Ein negatives Highlight war ein 62-jähriger Fliesenleger, der über Jahre als Lehrling im ersten Lehrjahr eingestuft war. Unterentlohnung, keine Sonderzahlungen, keine Reisekostenerstattung, das sehen wir häufig, und an sich ist jeder Fall eine Katastrophe. Manchmal erhalten Arbeitnehmer:innen gar keinen Lohn, arbeiten monatelang durch und werden zurück in ihre Heimat geschickt. Meistens ist die KV-Einstufung der Arbeiter:innen nicht richtig oder sie sind gar nicht bei der Sozialversicherung angemeldet. Oder sie werden während der Arbeit abgemeldet. Das heißt, sie arbeiten hier, sind aber nicht krankenversichert.  Oft beobachten wir das auch bei privaten Häuslbauern, also nicht nur bei Baufirmen bzw. ihren Subunternehmen.

Die Arbeiter:innen sind oft zögerlich, mehr einzufordern.
Entsendebetriebe drohen dann auch,
dass sie nicht wieder beschäftigt werden.

Andreas Linke, Landesgeschäftsführer

Die Entsenderichtlinie der EU enthält den Grundsatz „Gleiches Entgelt für gleiche Arbeit am gleichen Ort“. Arbeitnehmer:innen aus anderen Ländern müssten in Österreich also nach Kollektivvertrag entlohnt werden?

Linke: Genau. In einem Land wie Bosnien würden sie rund  800,- Euro netto  im Monat am Bau verdienen, bei uns laut KV mit Zulagen rund 3700,- Euro netto. Wenn die Entsendefirma einen Lohn von 2500,- Euro netto bezahlt, ist das schon viel Geld. Die Arbeiter:innen sind oft zögerlich, mehr einzufordern. Entsendebetriebe drohen dann auch, dass sie nicht wieder beschäftigt werden. Für uns ist die Herausforderung, die Leute dazu zu motivieren, auf ihre Rechte zu bestehen. In vielen Fällen müssen wir wegkommen vom Durchfechten von Einzelfällen hin zu gesamtheitlichen politischen Lösungen. Die Prozesse dauern Jahre und sind belastend, das halten viele verständlicherweise nicht durch.

Betroffene sprechen nur ungern mit Medien, auch nicht anonym. Warum?

Rozin: Die meisten Baufirmen sind untereinander gut vernetzt und es kann gefährlich sein, arbeitsrechtliche Ansprüche geltend zu machen. Wir hatten Firmen, die den Arbeitnehmer:innen drohten, in die Richtung „Wir wissen, wo du wohnst“ oder „Wir wissen, wo dein Kind zur Schule geht“. Das ist eine andere Welt.

Linke: Das kann ich nur unterstreichen, das wird oft unterschätzt. Fakt ist: Die Leute, die zu uns kommen, werden sonst nirgends geschützt. Deshalb sind wir sehr vorsichtig. Teilweise haben auch wir selbst Drohungen erhalten. Wir bewegen uns auf dünnem Eis, da geht es wirklich um Familien.

Das klingt ja mafiös.

Linke: Also Tatsache ist, dass wenige Einzelpersonen den Markt dominieren, über den Entsendungen in die österreichische Baubranche stattfinden. Nur ein Beispiel: Wir hatten einmal einen Bauunternehmer, der über 250 Entsendefirmen in Slowenien betrieben hat. Insgesamt gab es im ganzen Land damals um die 1.500.

Wie reagieren Betroffene, wenn man erfolgreich Fälle ausverhandelt?

Rozin: Da ergeben sich wahnsinnig schöne Momente der Dankbarkeit, bis hin zu Tränen und Besuchen von ganzen Familien. Es ist der schönste Lohn, wenn man sieht, dass man jemandem so geholfen hat. Die Menschen schätzen das auch wirklich. Das treibt einen an, weiterzumachen.

Was wäre eine Lösung, die man national umsetzen könnte?

Linke: Das Ausländerbeschäftigungsgesetz besagt, dass Entsendete aus EWR-Staaten, sprich Bosnien, Serbien, etc., auch ohne vollständig ausgefüllte Unterlagen in Österreich ihre Arbeit aufnehmen können. Das AMS muss dann durch Nachfristen, die das Gesetz zulässt, teilweise längere Zeit warten, bevor es die Arbeitsbescheinigung prüfen und gegebenenfalls auch ablehnen kann. Hier verlieren wir viel Zeit, in der wir eben eine starke Unterentlohnung auf unseren Baustellen festgestellt haben.

Wenn österreichische Unternehmen eine:n Arbeitnehmer:in einen Tag zu spät anmelden, werden sie gestraft, aber wenn eine Entsendefirma eine:n Arbeitnehmer:in ohne Dokumente unterentlohnt beschäftigt, dann lässt das österreichische Gesetz das zur Zeit zu. Dieses Problem probieren wir seit ein paar Jahren zu lösen, damit  gleiches Recht für alle gilt.

Was wollen Sie Betriebsrät:innen in der Baubranche hinsichtlich Entsendungen mitgeben?

Rozin: Gerade auf Baustellen sollen sie genau hinhorchen. Die Menschen reden über das, was nicht passt oder ihnen nicht klar ist. Und sie können den Kolleg:innen sagen, dass sie sich bei uns melden und uns vertrauen können.

Linke: Meine Botschaft ist, Entsendearbeitnehmer:innen nicht als „Ausländer:innen“ zu betiteln. Wir leben in Europa, das sind europäische Arbeitnehmer:innen. Man muss hinschauen, und sie müssen gleich behandelt werden. Und am Schnellsten könnte man Sozialdumping in Österreich eindämmen, wenn österreichische Bauunternehmen Personal bei der eigenen Firma anmelden und in Österreich sozialversichern. Das ist meine Botschaft an die Wirtschaft.

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Über den/die Autor:in

Sarah Kleiner

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