Autonomie bei der Arbeitszeit

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Ein aktuelles Reizwort ist Arbeitzeitflexibilisierung. Für ArbeitnehmerInnen wäre eine weitgehende Autonomie bei der Einteilung ihrer Arbeitszeit wichtig.

Lohnausgleich nötig

Wie sollte nun über das Thema Arbeitszeit diskutiert werden? Geht es hier nur um eine Art Zahlenspiel, also darum, ob die gesetzliche Regelarbeitszeit pro Woche auf 37,5 Stunden oder 35 oder noch niedriger angesetzt werden sollte?

Eine Holzschnitt-Lösung entspricht in Zeiten wie diesen kaum den Anforderungen des Arbeitsmarktes. Schlimmstenfalls würde eine solche Reduktion die ArbeitnehmerInnen sogar noch mehr belasten – konkret etwa dann, wenn ihr Arbeitspensum gleich bliebe, sie dafür aber weniger Zeit hätten.

Zudem weisen ÖGB-ExpertInnen auf die Notwendigkeit des Lohnausgleichs hin, denn: Würde die Arbeitszeit reduziert und würden dadurch gleichzeitig die Gehälter ohne Ersatz sinken, hätte das etwa langfristig negative Folgen auf die Pensionen, von den negativen Konsequenzen für die Wirtschaft ganz zu schweigen.

Von einer „innovativen Arbeitszeitverkürzung“ spricht Arbeiterkammer-Präsident Rudi Kaske – und zwar als eine von mehreren Maßnahmen im Rahmen eines Dreistufenplans, der dafür sorgen soll, dass es in vier Jahren 100.000 Arbeitslose weniger gibt. Susanne Haslinger, Juristin in der Rechtsabteilung der PRO-GE und zuständig für Sozialpolitik, kann diesem Gedanken etwas abgewinnen. Schließlich sind die Lebenssituationen der Menschen sehr individuell und hängen auch von aktuellen Lebensumständen, der familiären Situation, persönlichen Zielen etc. ab. So sind auch die Bedürfnisse nach Freizeit laut Haslinger „kunterbunt“. Daher plädiert sie vor allem für Autonomie in der Gestaltung der Arbeitszeit. Das bedeutet zum Beispiel, „dass ArbeitnehmerInnen selbst bestimmen können, wann und wie sie ihr erworbenes Zeitbudget einsetzen und zum Beispiel zusätzliche Urlaubstage nehmen oder sich für Erledigungen stundenweise frei nehmen können“.

Kürzere Arbeitszeiten könnten sich aber auch in mehr Urlaub äußern, also aufs Jahr gerechnet weniger zu arbeiten. Eine solche Regelung hat bereits die Elektro- und Elektronikindustrie seit 2013: Mittels Betriebsvereinbarung können Unternehmen ihren MitarbeiterInnen ermöglichen, zwischen einer kollektivvertraglichen Lohnerhöhung oder mehr Freizeit zu wählen. Dieses Beispiel zeigt, dass auch schon unter den jetzigen Rahmenbedingungen ein hohes Maß an Flexibilität möglich ist. Auch für den Bedarf nach oben hin gibt es Regelungen: Bei erhöhtem Arbeitsbedarf dürfen ArbeitnehmerInnen über einen begrenzten Zeitraum hinweg auch jetzt schon 12 Stunden am Tag und 60 Stunden pro Woche arbeiten.

Arbeitszeitreduktion weitergedacht

Aus Sicht des ÖGB sind bei der Debatte um die Arbeitszeitflexibilisierung drei Punkte entscheidend. Erstens: Zeitsouveränität bzw. -autonomie. Darunter fallen etwa auch Gleitzeitregelungen. „Überall, wo es möglich ist, soll den Beschäftigten Gleitzeit ermöglicht werden“, sagt Martin Müller. Souveräner und autonomer arbeiten zu können halte Menschen gesünder und länger arbeitsfähig, führe zu weniger Krankenständen und weniger Reha-Aufenthalten. Zweitens: Planbarkeit. Dieser Punkt ist besonders für Menschen mit Betreuungspflichten entscheidend, aber auch für das allgemeine Wohlbefinden und die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen spielt Planbarkeit eine wichtige Rolle. Die Arbeitszeitverkürzung ist der dritte Punkt. Sie kann – weitergedacht – auch das Thema Altersteilzeit, Bildungskarenz und Bildungsteilzeit betreffen. Diese Dinge sind zwar schon jetzt möglich, aber nur mit der Zustimmung des Arbeitgebers. Der ÖGB fordert, das zu ändern und diese Möglichkeiten in Zukunft mit einem Rechtsanspruch zu versehen.

Veränderungspotenzial

Das Thema Arbeitszeit führt übrigens auch in eine der derzeit größten gesellschaftlichen Debatten, nämlich jene der Verteilung. Susanne Haslinger: „Arbeitszeit ist ganz massiv eine Verteilungsfrage, und zwar nicht nur unter den Köpfen: Wer hat Arbeit, wer hat keine? Sondern auch: Wer bezahlt eigentlich die Produktivitätssteigerung, zum Beispiel mit körperlichem Verschleiß? Und wer schöpft daraus die Gewinne ab?“ Eine Arbeitszeitreduktion schaffe zwar per se noch keinen gesellschaftlichen Wandel, aber im „Schaffen von Tatsachen“ steckt aus ihrer Sicht viel Potenzial für Veränderung.

Von
Alexandra Rotter
Freie Journalistin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 7/17.

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Über den/die Autor:in

Alexandra Rotter

Alexandra Rotter hat Kunstgeschichte in Wien und Lausanne studiert. Sie arbeitet als freie Journalistin in Wien und schreibt vor allem über Wirtschaft, Gesellschaft, Technologie und Zukunft.

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