Angriff auf die Arbeitsrechte

Foto (C) Thomas Jarmer, Quelle: IGB-Rechtsindex
Foto (C) Thomas Jarmer, Quelle: IGB-Rechtsindex

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  1. Seite 1 - Erfolgreiche Abkehr von Sparpolitik
  2. Seite 2 - Angriff auf Gewerkschaftsrechte
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Ein Blick über die Grenzen zeigt: Regierungen in ganz Europa versuchen immer massiver, die Rechte der ArbeitnehmerInnen zu beschneiden.
Gewerkschaften stehen europaweit unter Druck. Mit rigiden Gesetzen will man die Rechte der ArbeitnehmerInnen immer weiter aushebeln. Ungesicherte Arbeitsverhältnisse, Prekarisierung, drohende Arbeitsplatzverlagerung und Angst vor Entlassungen charakterisieren den modernen Arbeitsmarkt. Die Verstöße reichen von Untergrabung der Tarifverhandlungen bis zur Einschränkung des Streikrechts, die unter dem Deckmantel der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt wird. Weitere Maßnahmen sind eine Ausweitung der Arbeitszeit, die Herabsetzung der Mindestlöhne sowie die Einschränkung der Kollektivverträge.

Verletztes Recht

Diese Entwicklung ist keineswegs ein Phänomen, das nur außerhalb Europas stattfindet. Wirft man einen Blick in den globalen Rechtsindex des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB), so lautet die düstere Nachricht: In 58 Prozent aller europäischen Länder wurde das Recht auf Tarifverhandlungen verletzt. In drei Viertel aller europäischen Länder wurde das Streikrecht angegriffen. Besonders dramatische Auswirkungen hatten dabei die Troika-Diktate, die Gewerkschaften in Griechenland, Spanien, Portugal und auch Irland schwer zusetzten.

Unter den von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) verordneten Sparmaßnahmen leidet die südeuropäische Bevölkerung bis heute. „Das war ein Rundumschlag, der die Senkung gesetzlicher Mindestlöhne, Einschränkungen der Pensionsrechte, die Einschränkung bis zur de facto Abschaffung von Kollektivverträgen beinhaltete“, analysiert der Leiter des ÖGB-Europabüros in Brüssel Oliver Röpke im A&W-Gespräch.

Ziel der Troika war es, die Kollektivvertragssysteme zu zerstören, betont Röpke. Die Anzahl der Beschäftigten, für die Kollektivverträge gelten, ist im Jahr 2010 allein in Portugal von 1,2 Millionen auf nur mehr 300.000 Personen gesunken. Die Armut ist explodiert. Auf dem Tiefpunkt belief sich der Mindestlohn in Portugal 2014 auf 485 Euro pro Monat – im Vergleich zu monatlich 753 Euro in Spanien. Auf Veranlassung der Troika wurde Anfang 2012 der Mindestlohn in Griechenland gar um 22 Prozent gekürzt.

Am Beispiel Portugals zeige sich aber auch, dass eine Trendwende möglich ist, so Röpke: Nach Jahren der sozialen und wirtschaftlichen Krise verzeichnet das Land unter der sozialistischen Minderheitsregierung, die seit 2015 im Amt ist, wieder einen langsamen wirtschaftlichen Aufschwung. Nach der neoliberalen Austeritätspolitik sei wieder Platz für Wachstum, Beschäftigung und sozialen Zusammenhalt, bestätigen portugiesische Gewerkschaften.

Erfolgreiche Abkehr von Sparpolitik

Die positive Entwicklung lässt sich an konkreten Zahlen ablesen: Der Mindestlohn wurde auf 557 Euro angehoben. Die Arbeitslosigkeit wird weiter sinken und heuer bei knapp neun Prozent liegen. Längst sind sich SozialökonomInnen einig: „Die Troika-Politik in Südeuropa hat das Gegenteil von dem erreicht, was ursprünglich Ziel des Wachstums- und Stabilitätspakts war, und hatte wie erwartet negative Auswirkungen auf soziale Systeme und Arbeitslosigkeit.“

Angriff auf Gewerkschaftsrechte

Ein zentraler Angriff auf Gewerkschaften besteht in der Einschränkung des Streikrechts, Beispiele dafür sind Großbritannien, Spanien und Belgien. Britische Gewerkschaftsbünde stiegen gegen die Pläne ihrer Regierung, sowohl das Streikrecht als auch die Kollektivverträge auszuhöhlen, vergeblich auf die Barrikaden. Im Stile der Thatcher-Ära schränkte die konservative britische Regierung seit 2015 Streikrechte umfassend ein und veranlasste zahlreiche schikanöse Regelungen zulasten der Gewerkschaften. So wurden Schwellenwerte bei Urabstimmungen über Arbeitskampfmaßnahmen zum Teil drastisch erhöht. ArbeitnehmerInnen sollen ihren Arbeitgebern ihre Streikpläne zwei Wochen im Voraus mitteilen. Sogar ihre Facebook-Einträge über einen Streik müssen sie der Firma melden: „Damit wird das Streikrecht grundlegend ausgehöhlt“, kritisiert der führende britische Gewerkschaftsbund.

Der Umgang mit Streikwilligen in Spanien war ein Mitgrund für die Herabsetzung des Landes im Ranking des aktuellen IGB-Rechtsindex. Dort hat die Regierung eine noch aus der Franco-Ära stammende gesetzliche Bestimmung geltend gemacht, um Streiks zu kriminalisieren und Gewerkschaftsmitglieder gerichtlich zu belangen. So sollten Proteste unterbunden werden. In Belgien wiederum haben Unternehmen unter Anrufung der Gerichte einseitig die Befugnis zur Streikbeendigung. „Die Urteile nehmen teilweise die Form einer allgemeinen Polizeiverfügung an, die nicht in den Zuständigkeitsbereich der Gerichtsbarkeit fällt. Die EU-Institutionen blieben jedoch bei diesen Rechtsverletzungen untätig“, kritisiert der ÖGB. Daher wird gemeinsam mit anderen europäischen Gewerkschaftsbünden seit Jahren ein soziales Fortschrittsprotokoll für die EU gefordert. Dadurch sollen soziale Grundrechte endlich gestärkt und nicht länger wirtschaftlichen Freiheiten untergeordnet werden.

Öffentliche Sicherheit als Deckmantel

Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) belegt in einer ihrer aktuellen Studien den Trend vieler Regierungen, Eingriffe in das Streikrecht unter dem Deckmantel der öffentlichen Sicherheit zu rechtfertigen. Auch Finnland steht am Pranger: Die rechts-gerichtete Regierung griff ArbeitnehmerInnenrechte stark an. Zuschläge für Sonntagsarbeit wurden um 25 Prozent gekürzt. Im öffentlichen Dienst wurde der Urlaubsanspruch von 38 auf 30 Tage reduziert. Zusätzlich wurden die Gewerkschaften und ihre Tarifverträge geschwächt. Die Durchsetzung besserer Regelungen beim Urlaubsanspruch oder bei der Lohnfortzahlung wurde mit allen Mitteln verhindert. Der finnische Gewerkschaftsbund kritisierte die Verletzung der Tarifautonomie, scheiterte jedoch mit rechtlichen Schritten gegen die Maßnahmen.

Schwierig ist die Lage vor allem in Ost- und Südosteuropa. Der Globale Rechtsindex des IGB 2018 erwähnt dabei Polen und wirft dessen Regierung vor, bei der Arbeitsmarktreform Gewerkschaften nicht ernsthaft konsultiert zu haben. Bei Verhandlungen wurde häufig die falsche Rechtsgrundlage herangezogen, es wurden bewusst kurze Fristen für Antworten festgelegt, die erforderlichen Unterlagen nicht ausgehändigt und rechtswidrige Klauseln eingefügt. Man ging automatisch von der Zustimmung der Gewerkschaften zum Gesetz aus, falls von ihnen keine Antwort vorliegt.

In Kroatien wurden wiederholt Beschäftigte an der Gründung einer Gewerkschaft gehindert. Man versuchte, sie einzuschüchtern und drohte, ihre befristeten Verträge, die 90 Prozent aller Arbeitsverträge ausmachen, nicht weiter zu verlängern. Gewerkschaftsmitglieder auf der größten kroatischen Werft, die für ihre aggressive Gewerkschaftsfeindlichkeit berüchtigt ist, wurden unter Druck gesetzt, aus der Organisation auszutreten.

Sozialdumping in Frankreich

Mit der Einführung eines 12-Stunden-Arbeitstages, wie er nun in Österreich Realität ist, musste sich Frankreich schon 2016 herumschlagen. Damals wurde das umstrittene „El-Khomri“-Gesetz zur Reform des Arbeitsrechts verabschiedet. Kern der Reform war die Einführung flexibler Arbeitszeiten, die zwischen Beschäftigten und Unternehmen beschlossen werden. Betriebsvereinbarungen haben seitdem Vorrang vor Branchentarifverträgen. Die kontroverse Verordnung hat Sozialdumping, vor dem die Gewerkschaften eindringlich warnten, Tür und Tor geöffnet.

In Italien hat die Regierung der ultrarechten Lega und der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung wider Erwarten einen anderen Weg eingeschlagen und führt derzeit einen Kampf gegen Sonntagsarbeit. Sie will die starke Liberalisierung bei den Ladenöffnungszeiten rückgängig machen. Damit wird ein Gesetz der Regierung von Premier Mario Monti (2012) aufgehoben, das eine europaweit beispiellose Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten vorsah. Geschäfte, Supermärkte und Einkaufszentren durften 24 Stunden am Tag, sieben Tage pro Woche inklusive Feiertage geöffnet sein. Gewerkschaften begrüßen die Pläne der Regierung: „Die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten hat weder zum Wachstum der Beschäftigung noch der Wirtschaft beigetragen. Im Gegenteil, die Arbeitsbedingungen haben sich verschlechtert.“

Von
Irene Mayer-Kilani
Freie Journalistin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/18.

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