Der holprige Weg der COVID-19-Gesetze – Martin Gruber-Risak im Interview

Martin Gruber-Risak kritisiert die Covid-19-Gesetzgebung und deren Kommunikation
Fotos (C) Markus Zahradnik
Es holpert bei den Gesetzen und Verordnungen der Regierung. Wenn Ministerien Briefe verschicken, deren Inhalt keiner Rechtsgrundlage entspricht, ist aber auf Jurist*innen Verlass. Eine besonders laute und kompetente dieser Stimmen, Martin Gruber-Risak, im Interview.
Mit extrem guter Laune tritt Martin Gruber-Risak, pünktlich auf die Minute, dem Skype-Call bei. Vor der obligatorischen Bücherwand – weder farblich noch erkennbar thematisch sortiert – vergewissert er sich, dass er gut im Webcam-Bild sitzt.

Der wortgewaltige Jurist drückt nicht nur in „ZiB“-Sendungen auf wunde Stellen eilig beschlossener Gesetze und Verordnungen, auch auf Twitter rückt er geduldig zurecht, was in Regierungsvorlagen in Schieflage gekommen ist. Und das immer mit einer sympathischen Portion Schmäh, die es leicht macht, seinen Ausführungen durch ABGB & Co. zu folgen. Das komplette Gespräch, von dem wir hier nur einen Teil abdrucken können, gibt es auf unserer Website als Video. Reinschauen lohnt sich!

Zur Person Martin Gruber-Risak
Als Jurist hat Martin Gruber-Risak, 51, die akademische Karriere eingeschlagen: 2007 habilitierte er an der Universität Wien für die Fächer Arbeitsrecht und Sozialrecht. Als Berater ist Gruber-Risak zudem für die EU-Kommission, Ministerien, Gewerkschaften, Kammern und die Hans-Böckler-Stiftung t.tig.

Arbeit&Wirtschaft: Blicken wir am Anfang zurück auf ein dreiviertel Jahr COVID-19-Gesetze und -Verordnungen. Es gab immer wieder Kritik daran, einiges wurde auch vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben. Für Laien erklärt: Was ist in dieser Zeit passiert?
Martin Gruber-Risak: Der politische Prozess war immer extrem schnell. Obwohl es Anzeichen gab, dass diese Pandemie kommen wird, war es am Anfang holprig, da haben wir sehr schnell reagiert. Da war oft die Kommunikation schneller als das, was gesetzlich da war. Sprich: Es wurde anders kommuniziert, als es gesetzlich oder in der Verordnung vorgesehen war.

Es kam ja auch zu Strafen, die eigentlich nicht rechtskonform waren.
Martin Gruber-Risak: Genau. Das ist jetzt konkreter geregelt. Aber es holpert natürlich weiterhin. Je konkreter etwas wird, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass man einen Fall nicht ausreichend berücksichtigt hat. Jetzt haben wir gerade die Diskussion mit dem geschlossenen Buchhandel und den geöffneten Waffengeschäften.

Hat sich die Legistik in den vergangenen Monaten verbessert?
Martin Gruber-Risak: Da ist einiges passiert. Daran sieht man auch, wie gut es ist, dass das ein breiterer Prozess mit einer dementsprechenden Begutachtung ist. Das hat ja einen Sinn, dass relevante Gruppen innerhalb einer Gesellschaft ihre Meinung zu einem so weitreichenden Gesetz abgeben können.

Was wir in diesen Monaten auch beobachtet haben: Die Krise hat nicht alle Gruppen gleich getroffen. Bei den Angestellten haben wir gesehen: Die wurden – wenn es erlaubt und möglich war – ins Homeoffice geschickt oder in Kurzarbeit. Die Arbeiter*innen wurden sehr schnell gekündigt. Was ist hier der rechtliche Hintergrund?
Martin Gruber-Risak: Es gibt eine Kultur innerhalb gewisser Branchen, wo man sehr schnell zu Kündigungen greift. Das sind Branchen mit einer sehr hohen Fluktuation, bei denen es gar keine Kultur gibt, in Kurzarbeit zu gehen. Die Industrie ist Kurzarbeitsmodelle gewissermaßen gewohnt. Das ist, man kann fast sagen, der Arbeiteradel: ein großes Unternehmen, betriebsrätliche Vertretung, starke Gewerkschaften, gute Kollektivverträge – zum Beispiel die Metallindustrie oder die chemische Industrie. Dann gibt es die Arbeiter*innen in der Gastronomie. Da wurde sehr schnell gekündigt, und da wissen wir auch, dass diese Branche so funktioniert.

Arbeiter*innen werden in diesen Branchen freigesetzt, bekommen damit nur 55 Prozent Arbeitslosengeld und nicht 80 Prozent des vorherigen Gehalts in der Kurzarbeit.

Martin Gruber-Risak

Oder in der Bauwirtschaft – da gibt es ja sogar die Praxis des AMS-Zwischenparkens.
Martin Gruber-Risak: In der Baubranche haben wir sehr kurze Kündigungsfristen, zum Ende jeder Arbeitswoche. Das ist eine Branche, die setzt Beschäftigte frei und nimmt sie wieder auf.

Aber Angestellte und Arbeiter*innen sollten doch gleichgestellt werden.
Martin Gruber-Risak: Genau, bis Anfang 2021. Das betrifft die Kündigungsfristen. Da gibt es nämlich einen massiven Unterschied: sechs Monate bei den Angestellten gegenüber zwei Wochen bei den Arbeiter*innen. Im Parlament wurde aber gerade die Sonderbetreuungszeit beschlossen, und darin gibt es einen Wermutstropfen: Diese Angleichung der Kündigungsfristen wird um sechs Monate hinausgeschoben. Der spürbare Unterschied ist auch: Arbeiter*innen werden in diesen Branchen freigesetzt, bekommen damit nur 55 Prozent Arbeitslosengeld und nicht 80 Prozent des vorherigen Gehalts in der Kurzarbeit.

Es gibt auch eine große Gruppe prekär Beschäftigter in Österreich, darunter besonders viele Frauen. Warum werden gerade die jetzt als Erste freigesetzt?
Martin Gruber-Risak: Es gibt in den Unternehmen oft unterschiedliche Schichten von Beschäftigten. Einen Teil, den man als Stammarbeitnehmer*innen bezeichnen kann, dazu unterschiedlichste Formen atypischer Beschäftigung: Teilzeit, Befristung, die Arbeitskräfteüberlassung gerade in der Industrie als Flexibilitätspolster, und dann gibt es noch eine Gruppe in der Grauzone der Scheinselbstständigkeit. Bei den Selbstständigen gibt es die größte Flexibilität – die bekommen einfach keine Aufträge mehr. Da gibt es nicht einmal eine Kündigungsfrist. Die können als Selbstständige zumeist auch kein Arbeitslosengeld beanspruchen. In der ersten Welle hatten es besonders die Soloselbstständigen schwer, Unterstützung vom Staat zu bekommen.

Martin Gruber-Risak diagnostiziert im Homeoffice ein Ruhezeitproblem, aber kein Arbeitszeitproblem.
Gruber-Risak: „Wenn man die Ruhezeit einhält, ist das arbeitszeitrechtlich okay. Dass es die Menschen ausbrennt und persönlich massiv belastet, steht auf einem anderen Blatt Papier.“

Heiß diskutiert wurde die Sonderbetreuungszeit. Was ist hier jetzt der Stand der Dinge, und welche Missverständnisse sind diesbezüglich entstanden?
Martin Gruber-Risak: Im Frühjahr wurde ein Anspruch auf ein Drittel Entgeltfortzahlungsersatz für Arbeitgeber beschlossen, wenn sie mit den Arbeitnehmer*innen vereinbaren, dass diese zu Hause bleiben, um Kinder zu betreuen. Das hat man damals eingeführt, weil es in den Schulen nur einen Notbetrieb gab – heute wird in den Schulen ja auch gelernt. Mit der derzeitigen Öffnung der Schulen hat man damit eines verunmöglicht: dass sich die Eltern auf einen Rechtsanspruch berufen. Wir haben eine gesetzliche Verpflichtung zur Obsorge der Kinder, darauf gibt es auch einen Rechtsanspruch unter voller Entgeltfortzahlung. Das gilt aber nur dann, wenn es keine zumutbaren Alternativen für die Kinderbetreuung gibt.

Die gibt es aber jetzt.
Martin Gruber-Risak: Die gab es auch im März und im April. Die Kinder waren auch nicht krank, darum gab es keine Pflegefreistellung. Deswegen hat man eben die Sonderbetreuungszeit eingeführt. Dann hat es geholpert, es wurde im Sommer gesagt: Wir führen die Sonderbetreuungszeit für die Ferien ein – für die Eltern, die in der ersten Phase des Lockdowns schon ihren Urlaub verbraucht haben und die niemanden haben, der im Sommer auf ihre Kinder schaut.

Dann kam der Herbst …
Martin Gruber-Risak: Da hat man die Sonderbetreuungszeit noch einmal ausgebaut, den Ersatz für die Arbeitgeber auf die Hälfte der Entgeltfortzahlung angehoben und die Regelung auch auf die Herbstferien ausgedehnt. Aber dann hat es richtig geholpert: Es gab einen Brief des Bildungsministers und der Arbeitsministerin, in dem stand: Wenn die Kinder zum Beispiel als K1-Kontaktpersonen abgesondert werden, dann gibt es die Sonderbetreuungszeit.

Wir haben also kein Arbeitszeitproblem, wir haben ein Ruhezeitproblem. Wenn man die Ruhezeit einhält, ist das arbeitszeitrechtlich okay. Dass es die Menschen ausbrennt und persönlich massiv belastet, steht auf einem anderen Blatt Papier.

Das hat aber nicht gestimmt. Denn in dem Fall besteht sowieso ein Rechtsanspruch aufgrund des Angestelltengesetzes und des ABGB mit voller Entgeltfortzahlung. Das hat für den Arbeitgeber aber einen Nachteil: Er hat keinen Anspruch auf eine Ersatzleistung des Bundes und bleibt auf den Kosten sitzen.

Und genau dieser Kostenersatz wird jetzt anders geregelt?
Martin Gruber-Risak: In der neuen Phase jetzt hat man ein Paket gebastelt mit einem Rechtsanspruch und voller Refundierung – der ist hauptsächlich gut für die Arbeitgeber. Er deckt Fälle ab, in denen es ohnehin schon einen Anspruch auf Freistellung gab. Damit bekommen die Arbeitgeber jetzt bis zu vier Wochen die Entgeltfortzahlung ersetzt. Was auch bedeutet, dass Arbeitgeber den Arbeitnehmer*innen mit der Sonderbetreuungszeit nicht so viele Probleme machen werden. Das ist eine grundvernünftige Regelung. Die passt aber nicht auf die Schulschließung!

… weil die Schulen jetzt halb offen sind.
Martin Gruber-Risak: Es gibt die Möglichkeit der Kinderbetreuung. Es steht außerdem im Gesetzesvorschlag und dann im Gesetz: Die Arbeitnehmer*innen haben alles Zumutbare zu tun, damit die Arbeitsleistung zustande kommt. Und das, was der Staat in den Schulen zur Verfügung stellt, das wird wohl zumutbar sein. Allerdings: Die Vereinbarung zur Sonderbetreuungszeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer*innen war eigentlich nicht mehr vorgesehen. Selbst wenn der Arbeitgeber gesagt hätte, dass eine Arbeitnehmerin zu Hause bleiben darf, hätte es für ihn den Ersatz der Entgeltfortzahlung nicht gegeben. Das wurde nun aber angepasst, nachdem es in den Medien hart diskutiert wurde. Und das ist gut so.

Kinder, die jetzt nicht in der Schule sind, wurden auf „Distance Learning“ umgestellt. Bei vielen Eltern führt das dazu, dass sie untertags mit Home-Schooling beschäftigt sind und dann am Abend die Arbeitszeit nachholen. Ist das eigentlich arbeitszeitrechtlich gedeckt?
Martin Gruber-Risak: Home-Schooling ist Freizeit, das ist klar. Wenn ich in der Früh das Home-Schooling erledige, und erst um 14 Uhr mit der Arbeit anfange, bis 22 oder 23 Uhr, ist das grundsätzlich unproblematisch, solange ich elf Stunden Ruhezeit einhalte. Wer also bis 23 Uhr zu Hause arbeitet, darf erst um 10 Uhr wieder zu arbeiten anfangen. Das ist das Problem bei diesen geteilten Arbeitszeiten zu Hause. Es wird in der Regel nicht das Volumen sein, das haben wir schon so ausgedehnt – wir dürfen bis zu zwölf Stunden am Tag arbeiten. Wir haben also kein Arbeitszeitproblem, wir haben ein Ruhezeitproblem. Wenn man die Ruhezeit einhält, ist das arbeitszeitrechtlich okay. Dass es die Menschen ausbrennt und persönlich massiv belastet, steht auf einem anderen Blatt Papier.

Über den/die Autor:in

Michael Mazohl

Michael Mazohl studierte Digitale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Im ÖGB-Verlag entwickelte er Kampagnen für die Arbeiterkammer, den ÖGB, die Gewerkschaften und andere Institutionen. Zudem arbeitete er als Journalist und Pressefotograf. Drei Jahre zeichnete er als Chefredakteur für das Magazin „Arbeit&Wirtschaft“ verantwortlich und führte das Medium in seine digitale Zukunft. Gemeinsam mit der Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl erscheint ihr Buch „Klassenkampf von oben“ im November 2022 im ÖGB-Verlag.

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