Wohin steuert die Arbeiterkammer?

Foto (C) Lisi Specht
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Inhalt

  1. Seite 1 - Zukunftsprogramm 2019–2023
  2. Seite 2 - Digitalisierungsoffensive
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Das Zukunftsprogramm der AK steht. Statt einer Beitragskürzung soll es für die Mitglieder noch mehr Angebote geben - fürs gleiche Geld
Die Formulierung ist etwas sperrig, aber in ihr steckt ein Angriff auf die Vertretung der ArbeitnehmerInnen in Österreich. Auf Seite 128 des türkis-blauen Regierungsprogramms ist Folgendes zu lesen: „Die Bundesregierung bekennt sich zu einem schlanken und effizienten Staat. Dementsprechend erwartet sie sich von den gesetzlichen Interessensvertretungen ebenso effiziente Strukturen. Eine zukünftige Leistungserbringung soll daher zu einem erhöhten Nutzen bei gleichzeitiger finanzieller Entlastung der Mitglieder führen.“ Bis zum 30. Juni 2018 sollten die gesetzlichen Interessenvertretungen Reformprogramme vorlegen. Diese sollten „konkrete Effizienzsteigerungen und finanzielle Entlastungsmaßnahmen für die jeweiligen Mitglieder“ beinhalten.

Verbunden war dies mit einer Drohung: Sollten die vorgeschlagenen Maßnahmen „zu wenig weitgehend bzw. nicht ausreichend zielorientiert“ erscheinen, behalte sich die Bundesregierung vor, „gesetzliche Maßnahmen dem Nationalrat zur Beschlussfassung vorzulegen“. Dies galt vor allem einer Adressatin: der Arbeiterkammer. Wenngleich Institutionen wie die Wirtschafts-, die Landwirtschafts- oder die Ärztekammer ebenfalls zu den gesetzlichen Interessenvertretungen zählen, war es die Arbeiterkammer, deren Pflichtmitgliedschaft die jetzige Regierungspartei FPÖ noch im Wahlkampf abschaffen und deren Umlage sie kürzen wollte.

Die Arbeiterkammer reagierte rasch auf die Aufforderung der Regierung. Warum diese Reaktion nicht in der Kürzung der Mitgliedsbeiträge bestand, erklärt AK-Direktor Christoph Klein: „Es steht im Regierungsprogramm, dass wir effizienter werden sollen und die Mitglieder finanziell entlasten sollen. Doch die Menschen hätten wenig davon, wenn man zum Beispiel den Arbeiterkammerbeitrag von 0,5 Prozent auf 0,4 Prozent kürzen würde. Dann hieße das: 20 Prozent weniger Möglichkeiten für uns, 20 Prozent weniger Interessenvertretung und Service für die Mitglieder.“ Das durchschnittliche Mitglied hätte davon nur 1,40 Euro netto im Monat.

Intelligenterer Ansatz

„Also haben wir gesagt, das ist kein intelligenter Ansatz. Ein intelligenter Ansatz muss sein, den Mitgliedern geldwerte Leistungen zu bieten, unter Nutzung aller Effizienzpotenziale und unter bestmöglichem Mitteleinsatz“, so der AK-Direktor. Anstatt die Mitgliedsbeiträge zu kürzen, setzte sich die Arbeiterkammer deshalb zum Ziel, den Mitgliedern mehr fürs gleiche Geld bieten zu können.

Um herauszufinden, welche Leistungen für die Mitglieder am wichtigsten sind, startete die Arbeiterkammer gemeinsam mit dem ÖGB unter dem Titel „Wie soll Arbeit?“ die größte Dialoginitiative über die Zukunft der Arbeitswelt, die es in Österreich je gegeben hat. Klein erzählt: „Wir haben gesagt: Eine derartige Aufforderung durch die Regierung ist schön und gut. Aber verpflichtet ist man als Selbstverwaltungskörper, wie es die Kammer einer ist, denen, die in diesem Selbstverwaltungskörper zusammengefasst sind. Und das sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in diesem Land. Darum sollte das, was wir der Regierung antworten, vom Willen der Mitglieder getragen sein.“

Hohe Zufriedenheit

Es folgten Betriebsbesuche, Aktionstage und Großveranstaltungen. Mehr als eine Million Menschen haben sich zwischen Anfang März und Ende Mai am Dialog mit der AK beteiligt. „Der Dialog mit den Mitgliedern hat ergeben, dass es eine sehr, sehr hohe Zustimmung zu unseren jetzigen Service-Leistungen gibt, aber durchaus auch Interesse an neuen“, fasst AK-Direktor Klein zusammen. Die Zustimmungsrate lag in allen Bereichen bei mehr als 70 Prozent. Die Ergebnisse der Dialoginitiative wurden in das „Zukunftsprogramm 2019–2023“ gegossen und als solches noch vor dem 30. Juni der Regierung übergeben.

Das Herzstück des Zukunftsprogramms bildet eine Digitalisierungsoffensive. In den nächsten fünf Jahren will die Arbeiterkammer dafür 150 Millionen Euro in die Hand nehmen. Das Geld aufzutreiben werde eine große Kraftanstrengung erfordern, sagt Christoph Klein, die AK wolle aber „das mit der finanziellen Entlastung der Mitglieder so weit wörtlich nehmen, dass wir wirklich auch bares Geld zugunsten der Mitglieder zur Verfügung stellen“. Finanziert werden soll das Ganze durch die Auflösung und Umwidmung von Rücklagen sowie durch Kreditaufnahmen und die Nutzung aller Effizienzpotenziale. Das Geld soll in zwei Fonds fließen: den Qualifizierungsfonds zur Unterstützung von Beschäftigten und den Projektfonds Arbeit 4.0, der darauf abzielt, die Digitalisierung im Interesse der ArbeitnehmerInnen zu gestalten.

„Wir wollen den Beschäftigten Sicherheit geben, dass sie in der Digitalisierung nicht unter die Räder kommen, sondern fit sind für die Herausforderungen des digitalen Wandels“, sagt Klein. Aus dem Fonds Arbeit 4.0 sollen Adaptierungen sowie Forschungs- und Entwicklungsvorhaben finanziert werden, die Verbesserungen in der Arbeitswelt bringen. Ein Beispiel sind Software-Anpassungen für ältere ArbeitnehmerInnen.

Auch die AK selbst will die Digitalisierung noch weiter ausbauen. So sollen die Möglichkeiten der digitalen Kommunikation verstärkt genutzt werden, um möglichst effizient und ressourcenschonend mit den Mitgliedern in Dialog treten zu können – zum Beispiel über Social-Media-Fragestunden oder Beratungsdienste via Skype. Auch der Rechtsverkehr mit den Gerichten soll nur noch elektronisch ablaufen.

Pflege, Bildung, Wohnen

Weil das Thema Pflege angesichts der alternden Bevölkerung immer wichtiger wird, setzt die AK hier gleich auf mehreren Ebenen an: „Etwas, das wir seit Anfang Juli ganz energisch angehen, ist die Registrierung der Menschen, die in den Gesundheitsberufen arbeiten – zur Qualitätssicherung, zur höheren Anerkennung und zur Aufwertung dieser Berufe“, sagt Christoph Klein. Berufsausweise werden von der AK kostenlos ausgestellt.

Man wolle aber auch „schauen, was die Leute brauchen“, um Ausbildungsangebote zu schaffen, die das Berufsleben erleichtern – etwa zu den Themen Stress, Gewalt am Arbeitsplatz oder auch Berufsrecht. Daneben wird die AK in Zukunft österreichweit Pflegegeldeinstufungen überprüfen und bei Bedarf auch für ihre Mitglieder vor Gericht ziehen.

Darüber hinaus soll die AK zur führenden Bildungslotsin in Österreich werden, etwa wenn es um Entscheidungen zwischen Lehre und weiterführender Schule bzw. Studium und Berufseinstieg geht. „In manchen Bundesländern geht es für uns eher darum, den jungen Menschen und ihren Eltern durch den Dschungel an Beratungsangeboten zu helfen. In anderen Bundesländern gibt es kaum Beratungsangebote, da werden die Arbeiterkammern selbst einspringen“, sagt Klein.

Ausweitung

Zudem soll das in einigen Bundesländern bereits existierende Programm „Du kannst was!“ – eine unbürokratische und kostengünstige Möglichkeit, zum Lehrabschluss zu kommen – österreichweit ausgerollt werden. Der Leistungsschwerpunkt Wohnen umfasst vor allem die flächendeckende, aber regionalen Erfordernissen angepasste Wohnrechtsberatung, wie Klein erklärt: „In manchen Bundesländern leben die Menschen typischerweise im Eigenheim oder im renovierten Bauernhaus. Dort hat man natürlich andere Beratungsbedürfnisse als etwa in Wien, wo es primär um die Mietrechtsberatung geht.“

Die Arbeiterkammer will zügig an die Umsetzung des Zukunftsprogramms gehen. Die neuen Leistungen sollen den Mitgliedern spätestens mit 1. Jänner 2019 zur Verfügung stehen. Ob die Drohung der Regierung, gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen, damit vom Tisch ist? „Wir hoffen, dass die Regierung unsere Bemühungen, den Mitgliedern maximalen Wert für ihr Geld zu bieten, ernst nimmt und versteht, dass das mehr bringt als eine Kürzung der Umlage“, sagt Klein.

Die Ergebnisse der Dialoginitiative

Von
Dietmar Meister
ÖGB-Kommunikation

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 7/18.

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Über den/die Autor:in

Dietmar Meister

Dietmar Meister ist Chef vom Dienst in der Kommunikationsabteilung des Österreichischen Gewerkschaftsbundes. Der gebürtige Südtiroler lebt seit 15 Jahren in Wien, wo er Journalismus und Politikwissenschaft studiert und mehrere Jahre als freier Journalist und Redakteur gearbeitet hat.

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