Wir können’s besser!

Foto (C) ÖGB-Verlag/Michael Mazohl
Das österreichische System, in dem Mindestlöhne sozialpartnerschaftlich ausverhandelt werden, war in den ­vergangenen Jahrzehnten erfolgreich. Ein gesetzlicher Mindestlohn wäre völlig kontraproduktiv.

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Die Regierung stellt einen gesetzlichen Mindestlohn in den Raum. Warum dies keine Unterstützung, sondern vielmehr eine Drohung ist.
Ein Mindestlohn, der deutlich über der Armutsschwelle liegt, hat zahlreiche positive Wirkungen – gesellschaftlich wie wirtschaftlich. Da kann man ja durchaus die Frage stellen, ob sich nicht die Regierung dessen annehmen sollte, immerhin kann diese Gesetze auf den Weg bringen, die für alle BürgerInnen gelten.

Ein verlockender Gedanke

Es ist zweifellos ein verlockender Gedanke, Mindestlöhne per Gesetz zu regeln. Viele andere europäische und außereuropäische Länder tun das auch, und zweifellos ist die Allgemeingültigkeit dieses Mindestlohns ein großer Vorteil. Auch bringt die allgemeine Bekanntheit dieses Mindeststandards einen gewissen Nutzen mit sich. Warum sind wir dann nicht schon viel früher auf diesen Gedanken gekommen? Nun, ein wesentlicher Grund dafür ist, dass das österreichische System der Lohnfindung über sozialpartnerschaftliche Verhandlungen in den vergangenen Jahrzehnten durchaus erfolgreich war. In Österreich sind etwa 98 Prozent der Dienstverhältnisse von kollektivvertraglichen oder ähnlichen Regelungen erfasst. Diese hohe Tarifbindung kommt unter anderem dadurch zustande, dass es sich die meisten Arbeitgeber nicht aussuchen können, ob sie einem Kollektivvertrag angehören. Durch die Pflichtmitgliedschaft zur Wirtschaftskammer gelten für sie automatisch die von ihrer Fachorganisation abgeschlossenen Kollektivverträge. In anderen Ländern gibt es ein solches System nicht.

Auch muss die Frage gestellt werden, welche Höhe ein gesetzlicher Mindestlohn, der für alle Branchen gleichermaßen gelten würde, realistischerweise hätte. Es scheint dann doch ein wenig ambitioniert zu hoffen, dass die Regierung einen gesetzlichen Mindestlohn in einer Höhe ansetzen würde, die die Gewerkschaften selbst nicht erreichen konnten. Realistisch ist also eine maximale Höhe, wie sie auch in direkten Sozialpartnerverhandlungen zu erreichen wäre. Da erscheint die Frage berechtigt: „Wofür dann der Umweg?“

Zu Zuschauern degradiert

Eine weitere Frage, die sich bei gesetzlichen Lohnregelungen aufdrängt, ist natürlich die Rolle der Gewerkschaften. Es gibt unterschiedliche Systeme der Festsetzung gesetzlicher Mindestlöhne. Es beginnt bei einer, an bestimmte Kennzahlen gebundenen Indexierung, die die Mindestlöhne regelmäßig um diesen Prozentsatz anhebt. Auch Systeme einseitiger Entscheidungen von Regierung oder Parlament kommen in einigen Ländern vor. Bei diesen Systemen sind die Gewerkschaften im Grunde nur Zuschauerinnen. Sie können zu Demonstrationen aufrufen, Petitionen einreichen, Parteien die Gefolgschaft verweigern. Viel mehr aber können sie hier nicht tun.

Es gibt auch Systeme, bei denen die Gewerkschaften in die Festsetzung der Mindestlöhne mit eingebunden sind. In manchen Fällen verhandeln sie gemeinsam mit Arbeitgeberverbänden, in anderen Fällen sind sie Teil einer ExpertInnengruppe, die einen Vorschlag zu erarbeiten hat. Doch auch hier sind die Druckmittel der Gewerkschaften begrenzt. Letztlich bleibt die Entscheidung über die Höhe der Mindestlöhne eine politische. Dem gegenüber steht das österreichische System der Kollektivverträge. Hier verhandeln Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften direkt miteinander. Es gibt keine Vermittlung, es gibt keine Schlichtung von außen.

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