Von wegen Missbrauch!

Entgegen allen Skandalrufen verzeichnet Österreich konstant niedrige Krankenstände. Kranke Beschäftigte, die aus Angst trotzdem arbeiten gehen, sind das Problem.
Schon seit Jahren wird versucht, kranke MitarbeiterInnen eines Missbrauchs zu bezichtigen, der sich nach genauerer Recherche als unrichtig erweist. Dabei zeigt die Entwicklung der krankheitsbedingten Fehlzeiten in Österreich einen rückläufigen Trend. Der alleinige Fokus auf die Krankenstandsstatistik ist aber mitunter trügerisch, weil er ein anderes Phänomen ausblendet: Viele Beschäftigte gehen krank zur Arbeit, auch Präsentismus genannt.

Kontinuierlicher Rückgang

Die ÖsterreicherInnen waren im Jahr 2016 etwas weniger im Krankenstand als im Jahr davor. Auch im langfristigen Vergleich sinken die Krankenstände in Österreich kontinuierlich. Diese Entwicklung ist in allen westeuropäischen Dienstleistungs- und Industrienationen beobachtbar. Im Durchschnitt bewegen sich die Arbeitsunfähigkeitstage der unselbstständig Beschäftigten schon seit Jahren auf konstant niedrigem Niveau. Im Jahr 2016 (aktuellste Daten) waren die unselbstständig Beschäftigten durchschnittlich 12,5 Kalendertage im Krankenstand. Umgerechnet und bereinigt um Wochenenden und Feiertage entspricht das 8,9 Arbeitstagen.
Ihren Höhepunkt hatten die krankheitsbedingten Fehlzeiten 1980, als pro unselbstständig Beschäftigtem/Beschäftigter 17,4 Krankenstandstage anfielen. In den 1990er-Jahren und den 2000er-Jahren waren die Beschäftigten 14,5 und 13 Tage im Krankenstand. Das kontinuierliche Sinken der Krankenstandszahlen im Zeitverlauf lässt sich nicht nur an einem Umstand erklären, sondern hat laut WIFO-Fehlzeitenreport 2017 vielfache Ursachen. Demnach wirkten sich die Reduktion der Arbeitsunfälle und die Verschiebung der Wirtschaftsstruktur in Richtung Dienstleistungen auf die Entwicklung der Fehlzeiten aus. Auch andere langfristige Entwicklungen wie die Erhöhung der Teilzeitbeschäftigung und die Zunahme von atypischen Beschäftigungsverhältnissen dürften die Krankenstandsquote gedämpft haben.

Die Entwicklung der Krankenstände ist ein wichtiger gesundheitspolitischer Indikator. Allerdings spiegelt dieser nicht automatisch das gesundheitliche Wohlbefinden der Beschäftigten wider. So können sich etwa die zunehmende Bereitschaft, krank arbeiten zu gehen, und frühzeitige Austritte aus dem Erwerbsleben von Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen vorteilhaft auf die Krankenstandsstatistik auswirken. Fraglich ist allerdings, ob dies eine positive Entwicklung ist. Der Fokus sollte auf die Präsentismus-Häufigkeit gelenkt werden. 34 Prozent der Beschäftigten in Österreich gehen krank zur Arbeit – meist aus Pflichtgefühl gegenüber dem Team (58 Prozent), weil es keine Vertretung gibt (35 Prozent) oder aus Angst vor Konsequenzen (18 Prozent) wie Kündigung, wenn sie nicht zur Arbeit kommen, so das Ergebnis des Arbeitsgesundheitsmonitors aus dem Jahr 2016.

Das Konstruieren von Krankenstandsmissbrauchsdebatten und die Kriminalisierung kranker ArbeitnehmerInnen ist nicht zielführend. Wichtiger wäre es, krank machende Faktoren wie Termin- und Zeitdruck, mangelnde Unterstützung der MitarbeiterInnen oder unzureichendes Führungsverhalten zu analysieren.

Maßnahmen entwickeln

Daraus ließen sich im Rahmen der Evaluierung psychischer Belastungen gezielt Maßnahmen entwickeln, die dann schrittweise in den Betrieben implementiert werden können. In Betrieben mit hohen Krankenständen herrschen meist schlechte Arbeitsbedingungen vor. Kranke MitarbeiterInnen sollten sich in Ruhe im Krankenstand auskurieren können und nicht um ihren Job bangen müssen.

Krank werden ist eine große Belastung. Noch schlimmer ist es, wenn während der Krankheit auch noch das Kündigungsschreiben nach Hause geschickt wird. Gehört man nicht zu einem besonders geschützten Personenkreis – Schwangere, Lehrlinge, begünstigte Behinderte –, kann man jederzeit auch im Krankenstand gekündigt werden. Können sich Betriebe einfach aus der Verantwortung stehlen und kündigen, ist der Anreiz gering, eine Präventionskultur zu etablieren. Hierfür braucht es einen Kündigungsschutz im Krankenstand.

Langfassung:
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Von
Reinhard Haider

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/18.

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