Vom Wissen als Feind

Nicht erst seit Fake News und der Leugnung wissenschaftlicher Erkenntnisse durch einen US-Präsidenten gibt es das Phänomen der Wissenschaftsfeindlichkeit.
Er sei „die Verkörperung der individuellen Utopie, berühmt, reich und geliebt zu werden“. Diese Wunschvorstellung scheine im globalisierten Kapitalismus die „große Utopie einer gerechten Gesellschaft abgelöst zu haben“. An seiner Person zeige sich außerdem „ein Diskurs um Nicht-Wissen und Wissen, um Intellektualität und Nicht-Intellektualismus, um die Rolle von Wissen und von Intellektuellen“. Er entlaste vom „Bildungsdruck, vom Druck, (vermeintlich) Überflüssiges zu wissen, Dinge zu wissen, die zwar der Bildungsbürger weiß, aber die große Mehrheit der Bevölkerung nicht“ – und diese, so der entsprechende Diskurs, „auch nicht zu wissen braucht“.

Wille zum Nicht-Wissen

Es sind fast 20 Jahre vergangen, seitdem Birgit Sauer diese Zeilen schrieb. Die Politikwissenschafterin bezieht sich darin auf einen Star der Fernsehshow Big Brother, Zlatko Trpovski. Man könnte den Namen gut und gerne durch jenen von US-Präsident Donald Trump ersetzen – die Analyse würde nur wenig an ihrer Treffsicherheit einbüßen. Sauer macht in ihrem Text „Der Wille zum Nicht-Wissen“ aus dem Jahr 2000 einige Elemente aus, die auch für die heutige Analyse der Wissenschaftsfeindlichkeit relevant erscheinen.

Der Anti-Intellektualismus ist spätestens mit dem Begriff Fake News wieder zum Thema der öffentlichen Debatte geworden. In den USA reihte sich nach dem Wahlerfolg von Donald Trump noch eine weitere Sorge hinzu: Jene um den Wert von Wissenschaft in einer Regierung, deren Präsident ganz offen wissenschaftliche Erkenntnisse leugnet.

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Marsch für Wissenschaft

Dies war im Frühling Anlass für den „March for Science“, mit dem man in Washington ein Zeichen gegen Wissenschaftsfeindlichkeit und Einschränkungen der akademischen Freiheit setzen wollte. Die Idee breitete sich rasch aus, am 22. April gingen unter anderem in Wien 3.000 Menschen auf die Straße. Insgesamt wurde in mehr als 500 Städten weltweit demonstriert.

Was Birgit Sauer im Jahr 2000 bezogen auf das Phänomen Zlatko schrieb, lässt sich auch auf die Inszenierung Donald Trumps umlegen: „Die spezifische Form des populistischen Klassenkampfs ist ins Reality-TV verschoben und spielt sich als Schattenkampf zwischen ‚der‘ Bevölkerung und ‚den‘ von ihnen abgehobenen Intellektuellen ab.“ US-Präsident Trump wiederum inszenierte sich gegen das „Establishment“, ob in Politik oder Wissenschaft. Sauer führt weiter aus: „Die ‚alten‘ Intellektuellen seien kopflastig, von der Bevölkerung entfernt und unverständlich. Zlatko sagt demgegenüber in einem leicht verständlichen Satz, worüber die klassischen Intellektuellen tagelang diskutieren müssen.“ Man ersetze den Begriff Intellektuelle durch jenen der PolitikerInnen.

Birgit Sauer bringt noch einen weiteren Aspekt ein: die „neo-liberale Hegemonie“. Diese schaffe „ihre eigenen ‚working class heroes‘, die gegen das bildungsbürgerliche Wissen aufbegehren und mit praktischer Intelligenz ausgestattet sind“. Wissen und Ausbildung werde als „belastendes Gepäck“ betrachtet, so Sauer. Denn „offenbar sind andere Skills notwendig, als das in der Schule vermittelte Bildungsgut, das doch nur in die Erwerbslosigkeit führt“.

Neue Aufklärung

Skepsis gegenüber Wissen bis zu dessen Herabwürdigung als unnötiger Ballast, das Leugnen wissenschaftlicher Erkenntnisse: All das ist also (leider) nicht neu. Wissenschaftsforscherin Helga Nowotny, früher Präsidentin des Europäischen Forschungsrats (ERC), sagte anlässlich des March for Science: „Ich glaube, wir brauchen eine Aufklärung in einer neuen Form. Die europäische Aufklärung vor 200 Jahren ging von einigen wenigen Wissenschaftern und Intellektuellen aus und wurde zu einer breiten Bewegung. Ihr Ziel, dass allen Menschen vernünftige Argumente zumutbar sind und dass man aufgrund von Argumenten zu einem Konsens kommen kann, das ist es, was wir auch heute wieder brauchen.“

Von
Sonja Fercher
Chefredakteurin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 10/17.

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Über den/die Autor:in

Sonja Fercher

Sonja Fercher ist freie Journalistin und Moderatorin. Für ihre Coverstory im A&W Printmagazin zum Thema Start-ups erhielt sie im Juni 2018 den Journalistenpreis von Techno-Z. Sie hat in zahlreichen Medien publiziert, unter anderem in Die Zeit, Die Presse und Der Standard. Von 2002 bis 2008 war sie Politik-Redakteurin bei derStandard.at. Für ihren Blog über die französische Präsidentschaftswahl wurde sie im Jahr 2008 mit dem CNN Journalist Award - Europe ausgezeichnet.

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