Ungleichheit mit System

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Im europäischen Online-Handel gibt es zahlreiche Schlagbäume. Die EU-Kommission reagiert nur zögerlich.

Wesentlicher Schwachpunkt

Der wesentliche Schwachpunkt des momentanen EU-Vorschlags lässt sich am besten an einem Beispiel illustrieren. So greifen viele Anbieter auf Re-Routing zurück. Das bedeutet beispielsweise, dass man zwar auf die estnische Seite eines Anbieters gehen kann, von dort aus aber automatisch auf die österreichische Seite umgeleitet wird, auf der das Produkt eventuell teurer ist. Die KundInnen erfahren davon nichts, weil sie von einem österreichischen Internetanschluss aus keinen Zugang zur estnischen Seite haben. Die EU-Kommission schlägt nun vor, dass die NutzerInnen in Zukunft auch Zugang zur estnischen Seite mit den dortigen Preisen haben sollen. Von Vorteil ist dies für sie aber nicht, sondern vermutlich vielmehr Anlass zum Ärgern: Die KundInnen können nun zwar die Preise vergleichen, aber sie haben kein Recht, ein Produkt auch in jenem Land zu kaufen, wo es am günstigsten angeboten wird. Im Fachjargon ausgedrückt: Der Vorschlag sieht keinen Vertragsabschlusszwang vor.

Eingeschränkte gleiche Bedingungen

Ein weiterer Schwachpunkt: Wegen der Staatsangehörigkeit bzw. des Wohnsitzes dürfen zwar vordergründig keine unterschiedlichen Kaufbedingungen gelten, allerdings gilt dieser Grundsatz nur für vier Situationen:

  • Anbieter bieten Lieferungen in das betreffende Land an.
  • KundInnen holen die Bestellung selbst ab.
  • Es werden elektronische Dienste genutzt (an denen allerdings keine UrheberInnenrechte bestehen dürfen).
  • KundInnen möchten Dienste vor Ort nutzen wie beispielsweise Skilifte oder Vergnügungsparks.

Abgesehen vom eingeschränkten Anwendungsbereich dürfen die Anbieter also weiterhin „gezielte Angebote“ zu unterschiedlichen Preisen und Bedingungen an Zielgruppen richten. Sie müssen die Einschränkungen ihres Angebots allerdings auf behauptete Marketingstrategien stützen – und nicht auf die Nationalität der KundInnen oder deren Wohnsitz. Nachweisschwierigkeiten sind vorprogrammiert – und eine Durchsetzung der Ansprüche rückt erneut in weite Ferne. Schließlich darf ein Einhalten der Verordnung keinesfalls als Anzeichen gewertet werden, dass der Anbieter seine Aktivitäten auf alle Mitgliedstaaten ausrichtet. Er kann sich die Länder weiterhin aussuchen, in die er freiwillig liefert. Fazit: Es gibt mehr offene Fragen denn je …

Noch komplizierter wird es, wenn es um die Gewährleistungen geht, die über die Ländergrenzen hinweg schwer durchzusetzen sind. Deshalb will die EU-Kommission auch diese Rechte sowie andere vertragliche Aspekte wie Vertragsänderungen oder Vertragsbeendigungen für den Kauf digitaler Güter regeln. Mit anderen Worten: Es soll eigene Spielregeln für Software, Apps, Audio-, Video- und Bilddateien geben. Der Anwendungsbereich, so KritikerInnen unisono, wäre aber schon im Verhandlungszeitpunkt nicht mehr zukunftstauglich. „Smart Goods“, also die Kaffeemaschine mit eingebetteter Software und Internetanbindung, die in die Kategorie des „Internets der Dinge“ fallen, werden damit nur unzureichend erfasst.

Transparenz Lichtjahre entfernt

Viel Beifall gab es hingegen dafür, dass der Vorschlag nicht nur den Kauf digitaler Inhalte gegen Geld erfasst, sondern auch den Kauf gegen die Preisgabe persönlicher Daten. Diese originelle wie zeitgemäße Bedachtnahme auf nur vordergründig „kostenlose“ Dienste führt zu erheblichen Ungereimtheiten und Widersprüchen zur ab 2018 geltenden EU-Datenschutz-Grundverordnung. So ist völlig unklar, welche vertragsrechtlichen Folgen ein datenschutzrechtlicher Widerruf zur Verwendung der persönlichen Daten auslöst. Dazu müsste jeder Anbieter offenlegen, welche Daten für die Vertragserfüllung benötigt werden und welche Datenarten der „Bezahlung“ dienen. Von dieser Transparenz ist das Internet aber noch Lichtjahre entfernt. Im ungünstigsten Fall droht außerdem eine völlige Rechtszersplitterung durch verschiedenste Gewährleistungsregeln für den Online- und Offlinehandel sowie für physische und digitale Waren.

Video- und Musikportale oder Streamingdienste schätzen KonsumentInnen nicht nur als Freizeitbeschäftigung daheim. Ob PendlerInnen, Erasmus-Studierende, UrlauberInnen oder Geschäftsreisende – alle sollen bei vorübergehenden Auslandsaufenthalten künftig Zugriff auf ihre abonnierten Online-Inhalte von Spotify, Netflix, Amazon Video und Co haben. Wurde dafür nicht in Euro bezahlt, sondern in den neuen Währungen „persönliche Daten“ oder „zielgerichtete Werbung“, wird es den Anspruch auf grenzüberschreitenden Zugang der Inhalte nur geben, wenn der Anbieter den Wohnsitzstaat des Abonnenten oder der Abonnentin überprüft.

Das ist zwar begrüßenswert, bloß braucht es im Gegenzug klare Spielregeln und einen stärkeren Datenschutz. Für KonsumentInnen muss etwa nachvollziehbar sein, wann ein temporärer zu einem dauerhaften Auslandsaufenthalt wird. Die dafür erforderliche Verhaltens- und Standortüberwachung durch die Online-Anbieter muss aus Gründen des Datenschutzes minimiert werden. Vor allem ein Tracking von IP-Adressen versetzt DatenschützerInnen in Unruhe, da die Daten auch zweckwidrig weitergenutzt werden könnten. Das EU-Parlament bevorzugt keine zeitliche Begrenzung für die Portabilität, dafür aber eine fixe Liste, welche Überwachungsformen zulässig sind. Man wird sehen, ob InternetnutzerInnen zusätzliche Binnenmarktfreiheiten mit weniger Datenschutz bezahlen müssen.

Von
Daniela Zimmer
Abteilung Konsumentenpolitik der AK Wien

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/17.

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