Demokratie auf dem Prüfstand: Das sind die Themen für die Europa-Wahl

Grafik zur EU-Wahl die Themen für die Europa-Wahl symbolisiert.
Die Kosten für Wohnen und Essen aufbringen, bei Krankheit medizinisch gut versorgt sein, einen sicheren Arbeitsplatz haben, soziale Anerkennung spüren, das Klima schützen und die Demokratie bewahren – das sind die treibenden Themen für die Europa-Wahl im Juni dieses Jahres.
Das Jahr 2024 ist für die Demokratie ein entscheidendes Jahr. Das Europäische Parlament wird neu zusammengesetzt, Regierungswechsel in EU-Staaten bahnen sich an. In Österreich werden zwei Landtage (Steiermark, Vorarlberg) und der Nationalrat gewählt. Die Arbeiterkammer-Wahlen finden im Frühjahr statt. AK-Mitglieder können dabei den Kurs ihrer Interessenvertretung für die nächsten fünf Jahre bestimmen. In Zeiten immer noch hoher Inflation, ökonomischer und sozialer Unsicherheiten, einer nicht zu unterschätzenden Häufung von Verschwörungsideologien, Desinformation und gezielter Einflussnahme aus dem Ausland gibt es auf vielen Ebenen Neuwahlen der politischen Führung. Sorgenvoll blicken auch viele auf den Urnengang Anfang November in den USA. Für die Parteien gilt es, sich den wichtigen Themen für die Europa-Wahl anzunehmen.

Themen für die Europa-Wahl

Richten wir den Fokus aber auf Europa. Bei den EU-Wahlen stehen die Alltagsprobleme der Bürger:innen im Vordergrund. Viele kämpfen um das tägliche Überleben, wie die kürzlich veröffentlichte Eurobarometer-Umfrage zeigt. Oberste Priorität wird folgenden Bereichen eingeräumt: Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung, Gesundheit, Klima sowie Erhalt von Arbeitsplätzen. Dass dem Thema Migration und Asyl von den EU-weit Befragten nicht die allergrößte Aufmerksamkeit geschenkt wird (neunte Position von 15 Themen), wollen jene nicht gerne wahrnehmen, die mit dem Elend Schutzsuchender und Flüchtender Politik machen.

Auch wenn kurz vor Weihnachten ein verschärftes EU-Flüchtlingspaket beschlossen wurde: Die Debatte darüber geht weiter und wird im Europa-Wahlkampf eine Rolle spielen. Parteien, die bei Migration und Asyl – neben der Kontrolle des Zuzugs – auch humanistische Aspekte und Menschenrechte berücksichtigen, werden erklären müssen, warum rechte Parteien gerade mit dem Thema „Flüchtlinge“ von anderen politischen, sozialen und ökonomischen Problemen ablenken wollen. „Es geht um die Beantwortung der Frage, warum sie das tun, wer davon profitiert und welchen Nutzen sie daraus ziehen, auf Migrant:innen loszugehen“, formuliert Sozialwissenschaftler Günther Ogris die argumentative Herausforderung.

Wähler:innen beeinflussen,
wie das Europäische Parlament handelt und
welche politischen Ziele es verfolgt.

Die Auseinandersetzungen in der Europa- und Innenpolitik dürften deutlich rauer und unversöhnlicher werden. Rechtspopulist:innen und Nationalist:innen sehen die aktuelle Stimmungslage in Umfragen und Wahlresultaten bestätigt. Geht es nach Prognosen, dürfte das extreme EU-ablehnende Lager im Europa-Parlament gestärkt werden.

Europa muss liefern

Vertreter:innen proeuropäischer Parteien arbeiten nun an Strategien, den Rechten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Doch wie kann das gelingen? Günther Ogris betont, dass es dabei auf sachliche, faktenbezogene, überzeugende Debatten und Informationen ankommen werde. Mehr als 400 Millionen Europäer:innen aller 27 Mitgliedsländer haben die Möglichkeit, im Juni über ihre Abgeordneten zu entscheiden. In Österreich sind laut Angaben der Statistik Austria rund 6.248.000 Personen wahlberechtigt (davon 70.000 Erstwählende ab 16 Jahren). Hinzu kommen noch rund 754.000 EU-Staatsangehörige (davon 7.000 Erstwählende), die hierzulande leben und berechtigt sind, an der EU-Wahl teilzunehmen.

Unmittelbar nach dem Urnengang wird über die Brüsseler Führungsriege abgestimmt – und damit auch über das Arbeitsprogramm der Kommission von 2024 bis 2029. In Hearings, die dem Votum im Parlament vorangehen, stellen sich die vorgeschlagenen Mitglieder der Kommission einer strengen Überprüfung ihrer Kompetenz und Europa-Haltung.

Das Europa-Parlament will bei der Wahl des Kommissionspräsidenten bzw. der Kommissionspräsidentin an dem „Spitzenkandidat:innen“-Prinzip festhalten. Es drängt auf „eine klare und glaubwürdige Verbindung zwischen dem Wählerwillen und der Wahl des Kommissionspräsidenten“, heißt es in einer Aussendung vom 12. Dezember 2023. Im Klartext: Die europäische Parteienfamilie, die gewinnt, hat Anspruch auf den Top-Job. 2019 wurde das umgangen, der Europäische Rat hat Ursula von der Leyen (CDU) als Kommissionschefin gegen den Willen des Parlaments durchgesetzt. Nach Zugeständnissen (z. B. Mindestlohn, Gender-Gerechtigkeit, Verbesserung sozialer Standards) bekam von der Leyen schließlich den Segen der Abgeordneten.

Themen für die Europa-Wahl: Macht der Wähler:innen

Laut Umfragen blicken viele mit Unbehagen auf die EU-Wahl und darauf, was danach folgen mag. Welches Gewicht europaskeptische und nationalistische Parteien in der europäischen Volksvertretung mit ihren insgesamt 720 Abgeordneten (20 aus Österreich) bekommen werden, hängt vom Wahlergebnis und der Wahlbeteiligung ab. Nach dem Urnengang werden die politischen Fraktionen gebildet. Derzeit sind acht politische Gruppen vertreten.

Dass die Abgeordneten Macht haben und Zähne zeigen können, haben sie oft bewiesen. Nämlich dann, wenn fortschrittliche Allianzen etwa eine Umschichtung des Budgets zugunsten von Beschäftigung zustande brachten, soziale Anliegen, Mindeststandards und Konsument:innenschutz durchsetzten oder Bio-Bäuerinnen und -Bauern und nicht Agrar-Großbetriebe gefördert wurden. Das Parlament erwirkte auch eine gerechte Verteilung von Impfstoffen während der Corona-Pandemie. Dazu kommen offene Schengen-Grenzen und mehr Geld für den Ausbau des Student:innenaustauschprogramms Erasmus. Einer Mehrheit im Parlament sind auch weitreichendere Beschlüsse für Umwelt und Klima zu verdanken. Vor etlichen Jahren außerdem schom die Abschaffung der Roaming-Gebühren. Mit einem Satz: Wähler:innen beeinflussen, wie das Europäische Parlament handelt, welche Entscheidungen es trifft und welche politischen Ziele es verfolgt.

Eine Grafik, die das Interesse und die Wahlbeteiligung an der Europa-Wahl darstellt.
Wollen die Parteien die Wahlbeteiligung steigern, müssen sie die wichtigen Themen für die Europa-Wahl thematisieren. Quelle: Eurobarometer, 2023

Globale Umbrüche und innere Reformen

In einer Welt im Wandel ist für die EU innerer Zusammenhalt Voraussetzung, um zentrale Anliegen der Menschen anzupacken. Nötig sind auch Reformen der Entscheidungsfindung und Beschlussfassung der EU-Institutionen (Abschaffung der Einstimmigkeit und damit der Veto-Möglichkeit), um die Erweiterung zu stemmen und international mitreden zu können. Die Wahl wird zeigen, wer sich durchsetzt: Parteien, die ein starkes und effizientes Europa wollen, oder Parteien, die die Rückeroberung nationaler Souveränität propagieren, wie es auch die FPÖ tut. Die Aufgabe proeuropäischer Parteien ist daher groß: Gerade wenn äußere und innere Kräfte die EU zu spalten versuchen, braucht es Antworten auf die Europa-Ablehnung und gleichzeitig eine positive Europa-Vision. Dazu müssen sie die Themen für die Europa-Wahl angehen, die den Menschen wichtig sind.

„Wir stehen vor einem Wahljahr, in dem alle Parteien einen Konflikt mit der EU haben. Allerdings unterschiedlich ausgeprägt“, analysiert Sozialwissenschaftler Günther Ogris. „Parteien mit europäischem Anliegen stehen vor der Aufgabe, den Ärger in weiten Teilen der Bevölkerung, auch den Pessimismus, der von manchen befeuert wird, in eine andere Richtung zu lenken.“ Dabei geht es um „eine Strategie, die Fortschritte Europas, die sich auf das Leben der Menschen positiv auswirken, hervorzuheben. Und zu zeigen, dass Anti-Europäer:innen diese Errungenschaften, Frieden, Freiheiten im Binnenmarkt, den Euro sowie die Weiterentwicklung Europas blockieren“, erklärt Ogris. Am 9. Juni 2024 wird man sehen, ob Mandatar:innen, Interessenvertretungen und Zivilgesellschaft es gemeinsam schaffen, Bürger:innen davon zu überzeugen, dass bei der Wahl auch die Zukunft der EU auf dem Spiel steht.

Jetzt nicht lockerlassen

Traditionell mobilisieren Europa-Wahlen nur schleppend. In Österreich lag die Wahlbeteiligung seit dem EU-Beitritt 1995 im Schnitt unter 50 Prozent. 2019 allerdings bei 59,8 Prozent. Laut Meinungsforscher:innen motivierte die Veröffentlichung des Ibiza-Videos und das Ende der türkis-blauen Koalition die Wähler:innen zur Urne zu gehen. Daraus ist zu lernen: EU-Wahlen werden auch als Protest gegen innenpolitische Verhältnisse instrumentalisiert.

Für Pro-Europa-Parteien heißt es nun, im Wahlkampf zu zeigen, dass in der nächsten Legislaturperiode wichtige Entscheidungen auf der Agenda stehen. Die Themen liegen auf dem Tisch. Der Green Deal, dessen Ziele bis 2030 „sehr wahrscheinlich“ nicht erreicht werden, wie es in einem Bericht der EU-Umweltagentur steht, der von der Nachrichten-Plattform „Politico“ vor Weihnachten veröffentlicht wurde. Dazu kommen weiterhin Migration, die Außen- und Sicherheitspolitik angesichts der Kriege in der Ukraine und in Nahost, das Verhältnis gegenüber Russland, die Außenhandelspolitik (EU/China, EU/USA, USA/China) sowie Bereiche wie Gesundheit, Soziales und Bildung, die nach wie vor weitgehend in nationaler Kompetenz liegen. Trotzdem gilt es für das EU-Parlament, bei diesen Fragen nicht lockerzulassen. Und sollte Trump die Wahl in den USA gewinnen, sieht die Welt noch mal anders aus. Die Politik der EU ebenso.

Wachsende Erwartungen

Wenige Monate vor der EU-Wahl ist eines klar: Die Stimmung ist nicht gut, der Informationsstand niedrig und das Gefühl der Teilhabe kaum ausgeprägt. In diesem Umfeld ist es entscheidend, Zukunftssorgen der Menschen überzeugend aufzugreifen. Das bedeutet, die wichtigen Themen für die Europa-Wahl anzugehen. Positiv ist, dass sich die jüngere Generation europäisiert und dass Vernetzung und Mobilität grenzüberschreitend zunehmen. Mehr als 70 Prozent der jungen Bevölkerung sagen in der Eurobarometer-Umfrage, dass die EU in ihrem Alltag „eine Rolle spielt“. Die Erwartungen an Europa wachsen. Dem müssen auch die Programme politischer Parteien gerecht werden, auch mit einer klaren Ansage gegen europafeindliche Akteur:innen.

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Über den/die Autor:in

Margaretha Kopeinig

Margaretha Kopeinig ist freie Journalistin, Autorin und Brüssel-Korrespondentin für den Kurier. Ihre universitäre Ausbildung führte sie nach Wien und Bogotá, wo sie sich mit den Schwerpunkten Politik, Soziologie und Geschichte beschäftigte.

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