Strukturelle Benachteiligung von Frauen: Fehler im System

Inhalt

  1. Seite 1 - Strukturen in einem wertkonservativen Land
  2. Seite 2 - Männerdomänen
  3. Seite 3 - Sechs benachteiligende Faktoren
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Die strukturelle Benachteiligung von Frauen ist in Österreich besonders hartnäckig, weshalb Gleichstellung noch lange auf sich warten lässt – mit verheerenden volkswirtschaftlichen Folgen.
Pia Lichtblau, ÖGB-Expertin für gewerkschaftliche Bildungsarbeit, erhob in ihrer Studie die Gründe dafür, warum Betriebsratsmitglieder und Vorsitzende noch immer in der Mehrheit Männer sind. (C) Markus Zahradnik

An den Gremienspitzen unsichtbar

In einer Gesellschaft, die zur Hälfte aus Frauen und Männern besteht, kann angenommen werden, dass keines der Geschlechter benachteiligt ist. So weit die Theorie. In der Praxis sieht es so aus, dass Frauen in entscheidenden Gremien – vom Parlament und den politischen Parteien abwärts – auch im Jahr 2021 in Österreich unterrepräsentiert sind. Der Befund gilt für Gemeinderäte und Aufsichtsräte gleichermaßen wie für Betriebsräte.

Aus der letzten – in den Grundtendenzen bis heute gültigen – Mitbestimmungsstudie (2012) im Auftrag der AK Wien geht hervor, dass 61 Prozent der Betriebsratsmitglieder und sogar 80 Prozent der Vorsitzenden männlich sind, obwohl der Männeranteil unter den Beschäftigten nur 53 Prozent ausmacht. Im Vergleich zur Vorläuferstudie (2002) haben Frauen allerdings sowohl in der Erwerbsbeteiligung als auch in der betrieblichen Mitbestimmung leicht aufgeholt: Der Frauenanteil in den Betriebsräten betrug 2012 im Durchschnitt 30 Prozent (2002: 22 Prozent).

Die durch männliche Herrschaft geprägte vergeschlechtlichte Teilung in Produktion und Reproduktion, öffentliche und nicht-öffentliche Sphäre führt dazu, dass Frauen nach wie vor auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden.“

Pia Lichtblau, ÖGB-Expertin für gewerkschaftliche Bildungsarbeit

Während 62 Prozent der Männer in einem Betrieb mit betrieblicher Interessenvertretung arbeiten, gilt das nur für 52 Prozent der Frauen. Auffallend ist, dass Betriebsrätinnen tendenziell häufiger über psychischen Druck oder abfällige Bemerkungen über ihr Geschlecht berichten als ihre männlichen Kollegen, wie Pia Lichtblau in ihrer Studie „Männerdomäne betriebliche Mitbestimmung“ schreibt.

„Das politische Feld der betrieblichen Mitbestimmung ist durch vergeschlechtlichte Machtverhältnisse geprägt, die eine strukturelle Benachteiligung von Frauen darstellen. Die durch männliche Herrschaft geprägte vergeschlechtlichte Teilung in Produktion und Reproduktion, öffentliche und nicht-öffentliche Sphäre führt dazu, dass Frauen nach wie vor auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden: Sie erhalten bei gleicher Qualifikation schlechtere Stellen, werden deutlich schlechter bezahlt als Männer und sind überproportional oft von Teilzeit oder anderen prekären Beschäftigungsformen betroffen“, so Lichtblau. Sie plädiert dafür, „gewerkschaftliche Strategien zum Abbau der männlichen Ordnung im politischen Feld der betrieblichen Mitbestimmung zu entwickeln und dadurch die Partizipation von Frauen zu fördern“.

Schneckentempo

Wann endlich Gleichstellung erreicht sein wird und ob wir sie überhaupt noch selbst erleben werden, dazu gibt es unterschiedliche Berechnungen. Nach dem Gender-Equality-Index 2021, der jährlich vom Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen erstellt wird, liegen die EU-Staaten momentan bei einem Wert von 68 Prozent, wobei Österreich genau in diesem Durchschnitt liegt. Gleichstellung der Geschlechter in allen erfassten Bereichen würde 100 Prozent entsprechen. „Es geht nur im Schneckentempo voran. Wenn das so bleibt, erreichen wir eine Gleichstellung zwischen Mann und Frau frühestens im Jahr 2085“, kommentiert Evelyn Regner, Vorsitzende des Gleichstellungsausschusses im EU-Parlament in Brüssel.

Es geht nur im Schneckentempo voran. Wenn das so bleibt, erreichen wir eine Gleichstellung zwischen Mann und Frau frühestens im Jahr 2085.“

Evelyn Regner,Vorsitzende des Gleichstellungsausschusses im EU-Parlament in Brüssel

Bis dahin gilt es wohl, Sexismus im Alltag anzuprangern und sexistische Stammtischweisheiten à la „Qualität statt Quote“ zu kontern, nachzuhaken und aufzuklären. Das ist jedenfalls das erklärte Ziel des branchenübergreifenden Frauennetzwerks „Sorority“, einer Plattform zum feministischen Austausch. Ihr Credo: „Wir glauben an eine gleichberechtigte Zukunft, die wir nur gemeinsam erreichen können.“

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Über den/die Autor:in

Heike Hausensteiner

Heike Hausensteiner ist seit ihrer Schulzeit Anhängerin der Aufklärung. Aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie im Burgenland, studierte sie Sprach- und Europawissenschaften in Paris, Mailand, Wien und Krems/Donau. Als politische Redakteurin begann sie ihre journalistische Laufbahn 1996 bei der "Wiener Zeitung", wo sie u.a. auch das Europa-Ressort gründete. Nach einjähriger Baby-Karenz machte sie sich 2006 selbstständig und arbeitet seither als freie Journalistin für Zeitungen, Magazine und Online-Medien in Österreich und Deutschland sowie als Autorin (u.a. "Im Maschinenraum Europas. Die österreichische Sozialdemokratie im Europäischen Parlament", 2013) und Moderatorin. Sie lebt mit ihrer Familie und 2 Katzen in Wien.

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