Status quo vadis? Vor oder zurück?

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Illustration (C) Adobe Stock
Aus der Weltwirtschaftskrise 2008/2009 haben wir praktisch nichts gelernt. Wollen wir jetzt zurück zum Status Quo vor der Pandemie – oder unsere Gesellschaft auf anderen, gesunden Grundlagen neu organisieren? Ein Kommentar von Wirtschaftsanwalt Leopold Specht.
Die Finanzkrise der Jahre 2008/2009 und folgende trug das Potential der Veränderung von Wirtschaftspolitik in einem globalen Zusammenhang in sich. Diese Chance wurde vergeben. Die unzureichende Antwort auf diese Krise bestand in oberflächlichen Änderungen von Kreditierungspraktiken. Der institutionelle Kern des globalen Wirtschaftssystems blieb jedoch unverändert. Der Kern dieses globalen Wirtschaftssystems ist die private Schöpfung von Geld als Ergebnis von Kreditoperationen. Das heißt, die Schöpfung von Geld im wirtschaftlichen Kreislauf ist abhängig vom Gewinnstreben von Kreditgebern – in der Regel Kommerzbanken –, die Kredite vergeben oder eben nicht.

2008/2009: Der institutionelle Kern des globalen Wirtschaftssystems blieb unverändert.

Porträt Leopold Specht

Leopold Specht, Dr. Juris, LL.M., S.J.D. (Harvard) ist Partner der Rechtsanwaltskanzlei Specht & Partner Rechtsanwalt GmbH mit den juristischen Tätigkeitsbereichen Gesellschafts- und Unternehmensrecht, Privatisierungen, Projektfinanzierungen, Internationales Vertragsrecht, Mergers & Acquisitions, Internationale Schiedsverfahren.

Leopold Specht ist Mitglied des österreichischen Verfassungskonvents sowie des academic board des Institute for Global Law and Policy der Harvard Law School. Specht übt zudem Lehrtätigkeiten an verschiedenen Universitäten aus, zuletzt an der Harvard Law School und der Juridischen Fakultät der Universität Turin. Er veröffentlichte zahlreiche Publikationen.

Der systemisch relevante Schluss aus einer Analyse der Ursachen der globalen Wirtschaftskrise der Jahre nach 2008 wäre die Verstaatlichung der Geldproduktion gewesen. Vorschläge hierzu waren nach 2008, für kurze Zeit, akademisch relevant und an der globalen Peripherie politisch vertretbar, wie etwa für den isländischen Gesetzgeber 2010. Mit der oberflächlichen Beruhigung der Märkte und den erneut einsetzenden spekulativen Booms der letzten Jahre kehrte aber business as usual ein.

Nichts gelernt aus 2008/2009

Während der letzten drei, vier Jahre – vor der nunmehrigen Krise – herrschte also wieder unangefochten der neoliberale Mainstream. Verdrängt wurde die Lehre aus der neoliberalen Finanzkrise, die – mit Bezug auf die bestehende Wirtschaftsordnung – in der ZDF Sendung „Die Anstalt“ vom 29. April 2014 treffsicher wie folgt charakterisiert wurde: etwas, das nicht funktioniert, begründet mit etwas, das nicht stimmt.

Diese Rückkehr zu neoliberaler Normalität war wohl möglich, da die Krise nach 2008 in den Zentren des globalen Wirtschaftssystems zunächst abgefedert wurde und es in der Folge zu einer neuerlichen Expansion der Wirtschaft kam. Es schien, als könnten die Grässlichkeiten der herrschenden Wirtschaftsordnung aus deren Zentren externalisiert werden, und dafür woanders verortet werden. Vor allem aber – unrichtig – mit diesen Orten ursächlich verknüpft: als Kriege unterentwickelter Länder, als Flüchtlingskrise, als ökologisches Dilemma jener Länder, die Akkumulation nachzuholen haben, und vieles mehr. Verteilungsungerechtigkeit, ökologischer Raubbau, Enthumanisierung der Arbeitswelt und andere Charakteristika der herrschenden Wirtschaftsordnung sind in deren Zentren camoufliert. Und die Leidtragenden sind zu leicht manipuliert.

Die Krise trifft, als Pandemie, auch die entwickeltsten Zentren der Weltwirtschaft.

Die nunmehrige Krise macht die Grenzen der Reproduktion der bestehenden Wirtschaftsordnung nicht nur an deren Peripherien deutlich. Die Krise trifft, als Pandemie, auch die entwickeltsten Zentren der Weltwirtschaft.

Zurück zum alten Status quo?

Neuerlich ist es notwendig, größte öffentliche Anstrengungen zu unternehmen, um einer Krise Herr zu werden. Im Gegensatz zu Ländern wie dem Vereinigten Königreich oder den USA werden diese öffentlichen Anstrengungen in unserem Land gebündelt und, jenseits tagespolitischer Differenzen, unternommen. Nicht gestellt wird jedoch die Frage der Interpretation der derzeitigen Krise. Ist der Ausnahmezustand bloß der Intervention eines Nachtwächterstaates geschuldet? Oder sollte der neuerlich massive Einsatz öffentlicher Mittel einer Programmatik folgen, die die Ursachen jeweiliger Krisen an der Wurzel zu bekämpfen trachtet. Das heißt: Soll als Ziel derzeitiger, massiver Interventionen der öffentlichen Hand die Wiederherstellung des Status Quo vor der Pandemie sein? Und also die Erfahrung mit der Finanzkrise von vor zehn Jahren wiederholt werden? Oder soll die staatliche Intervention die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung ändern?

Soll als Ziel derzeitiger, massiver Interventionen der öffentlichen Hand die Wiederherstellung des Status Quo vor der Pandemie sein?

In den letzten Jahren haben selbst Konservative der Notwendigkeit einer ökologischen Umgestaltung des Gesellschafts- und Wirtschaftssystemes Tribut gezollt. Es ist nun an der Zeit, jene Ursachen der derzeitigen Pandemie anzusprechen und konzise auf die Etablierung einer Produktionsweise hinzuarbeiten, die die Umwelt immer weniger belastet; Forschung voranzutreiben, die bereits eingetretene Schäden der Umwelt revidiert; öffentliche Infrastruktur auszubauen; Umwelt belastenden Verkehr, wie die derzeitige Luftfahrt, zugunsten eines Umwelt schonenden einzuschränken. Die Liste lässt sich fortsetzen.

Mut zu Neuem

Diese Krise ist aber doch auch Anstoß, über die Verschwendungen nachzudenken, die ein wesentlicher Motor des bestehenden Gesellschafts- und Wirtschaftssystems sind. Und darüber, die bestehenden Ressourcen und Möglichkeiten anders zu verteilen. Dies beginnt bei einem Verständnis von Arbeit, das Lohnarbeit und deren prekäre Surrogate überwindet. Sie gibt einer Kultur des Verzichtes neues Gewicht, die nicht nur die sozial Schwachen, sondern alle Schichten betrifft, unsere Gesellschaft also in deren Gesamtheit charakterisieren sollte.

Diese Krise ist eine neuerliche Chance, unsere Gesellschaft auf anderen, gesunden Grundlagen neu zu organisieren.

Diese Krise ist eine neuerliche Chance, unsere Gesellschaft auf anderen, gesunden Grundlagen neu zu organisieren. Dazu gibt es viele Ideen und Konzepte. Die Anstrengung einer öffentlichen Diskussion der Grundlagen unserer Wirtschaftsordnung tut not. Und der Mut zu Neuem.

Wir sollten diese Chance zu Veränderung nicht vergeben, wie wir die Chancen vergeben haben, die die Finanzkrise von vor zehn Jahren in sich getragen hat.

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