Standpunkt: Unfaire Flüsse

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Ein Land, in dem Milch und Honig fließen? Ist dieses Motiv nicht geradezu zynisch, schon gar, wenn in diesem Schwerpunkt geradezu schon gebetsmühlenartig darauf hingewiesen wird, wie ungerecht es in Österreich zugeht? Nun, so absurd ist das keineswegs. Denn wir sind hierzulande zwar leider weit von paradiesischen Zuständen entfernt, wie die in der Arbeit&Wirtschaft immer wieder aufgezeigten Ungerechtigkeiten belegen. Zugleich aber steht Österreich im internationalen Vergleich wirtschaftlich sehr gut da.

Sonja Fercher
Chefredakteurin
Arbeit&Wirtschaft

Genau das wird vonseiten der Arbeitgeber oder auch von der Regierung jedoch immer wieder in Zweifel gezogen, ja geradezu madig gemacht.Dabei ist nur allzu durchschaubar, welches Ziel mit dieser Strategie verfolgt wird: ArbeitnehmerInnen sollen unter Druck gesetzt werden, nur ja nicht zu lautstark zu verlangen, einen Teil des Kuchens abzubekommen. Denn wenn es „der Wirtschaft“ nicht so gut geht, dann muss es doch einleuchten, dass auch die Beschäftigten sich in Zurückhaltung üben müssen, nicht wahr?

Nun, zunächst einmal muss man mit der Vorstellung aufräumen, dass unter „die Wirtschaft“ nur Unternehmen und Arbeitgeber fallen. Denn ohne die vielen ArbeitnehmerInnen würde in der Wirtschaft nichts laufen.

Ohne die vielen ArbeitnehmerInnen würde
in der Wirtschaft nichts laufen.

Zurück zum angeblich so schlechten Wirtschaftsstandort Österreich: dem ist eben nicht so. Vielmehr gibt es in der Tat Quellen, aus denen Milch und Honig sprudeln – bloß haben nur bestimmte Menschen Zugang zu ihnen. Das markanteste Beispiel dafür ist die Verteilung von Vermögen in Österreich, zu der erst vor Kurzem neue Daten vorgelegt wurden. Demnach besitzt das reichste Prozent der Haushalte in Österreich mindestens ein Viertel des Vermögens, die reichsten fünf Prozent gar mehr als 40 Prozent.

Noch ungleicher ist die Situation bei Erbschaften, denn 62 Prozent der Haushalte in Österreich haben noch gar nichts geerbt. Von jenen, die eine Erbschaft erhalten haben, haben die meisten nur relativ geringe Summen geerbt, einige wenige aber sehr hohe.

Durchschaubare Strategie

Die Konsequenz aus dieser Ungleichheit? Jedenfalls keine Maßnahmen, die dem entgegenwirken würden. Vielmehr werden jene, die über Erbschafts- und Vermögenssteuern nachdenken, sofort in die Schmuddelecke geschoben. Man wolle die armen Häuselbauer enteignen, heißt es dann sofort, um eine Diskussion in der allgemeinen Empörung untergehen zu lassen. Dabei wäre eine solche Debatte aus Gerechtigkeitsgründen dringend notwendig. Denn es ist auf Dauer schlecht für eine Gesellschaft, wenn eine Gruppe von vermögenden Menschen nicht zur Finanzierung der Gemeinschaft beiträgt. Genau dies aber ist in Österreich der Fall. 1,3 Prozent: So niedrig ist der Anteil an vermögensbezogenen Steuern am gesamten Steueraufkommen in Österreich.

Denn es ist auf Dauer schlecht für eine Gesellschaft, wenn eine Gruppe von vermögenden Menschen nicht zur Finanzierung der Gemeinschaft beiträgt. Genau dies aber ist in Österreich der Fall.

Gerne beklagen Unternehmen, dass sie von der Steuer geschröpft würden. Blickt man in die Statistik, so zeigt sich: Sie tragen gerade einmal 8,5 Prozent zum Gesamtsteueraufkommen bei. Mehr als 80 Prozent stammen von Beschäftigten und KonsumentInnen – sie bezahlen dies über die Lohnsteuer, Sozialversicherungsbeiträge, Umsatzsteuer und andere Verbrauchssteuern. Dazu muss man noch etwas anderes bedenken: Von all dem, was aus diesen Quellen finanziert wird, haben nicht nur die Beschäftigten etwas. Vielmehr sind die gut ausgebaute Infrastruktur sowie der Wohlfahrtsstaat wesentliche Faktoren, weshalb der Wirtschaftsstandort Österreich so gut dasteht.

An dem Ungleichgewicht ändert die Regierung nichts, vielmehr plant sie weitere Entlastungen für Unternehmen. Die Ungerechtigkeiten im Bildungssystem werden nicht behoben, sondern verstärkt, im Gesundheitssystem stehen die Zeichen auf Privatisierung, bei der sozialen Sicherheit sind weitere Kürzungen geplant. Dadurch wird Österreich wieder ein Stück weit ungerechter. Das schadet am Ende auch dem Wirtschaftsstandort, bloß das sprechen die selbsternannten Sprecher der „Wirtschaft“ lieber nicht so laut aus.

Von
Sonja Fercher
Chefredakteurin
Arbeit&Wirtschaft

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 1/19.

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Über den/die Autor:in

Sonja Fercher

Sonja Fercher ist freie Journalistin und Moderatorin. Für ihre Coverstory im A&W Printmagazin zum Thema Start-ups erhielt sie im Juni 2018 den Journalistenpreis von Techno-Z. Sie hat in zahlreichen Medien publiziert, unter anderem in Die Zeit, Die Presse und Der Standard. Von 2002 bis 2008 war sie Politik-Redakteurin bei derStandard.at. Für ihren Blog über die französische Präsidentschaftswahl wurde sie im Jahr 2008 mit dem CNN Journalist Award - Europe ausgezeichnet.

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