Standpunkt: Teufelskreise anstelle von Konzepten

Kürzlich telefonierte ich mit einer Verwandten, die in Osttirol lebt und gerade schwanger ist. „Eigentlich ist das Fenster ziemlich klein, wo man als Frau für den Arbeitsmarkt interessant ist“, sinnierte sie. „Bis 30 oder sogar noch länger ist man es nicht, weil man ja schwanger werden könnte. Hat man Kinder und steigt wieder in den Beruf ein, ist man es nicht, weil man nicht oder nur wenig gearbeitet hat. Ab 40 wird man schon langsam zu teuer und ab 50 ist man dann schon wieder zu alt.“

Sonja Fercher
Chefredakteurin
Arbeit&Wirtschaft

Doch damit nicht genug, denn sie macht sich nun logischerweise Gedanken darüber, wie es wohl mit Kind und Job weitergehen könnte. An sich wäre sie gerne lange beim Kind. Danach gar nicht mehr arbeiten zu gehen, kann sie sich aber auch nicht vorstellen. Daraus ergibt sich die nächste Herausforderung: Wie die Kinderbetreuung organisieren? Kinderkrippe gibt es im Ort keine, immerhin ist die Stadt nicht weit. Nichtsdestotrotz bedeutet es mehr Zeitaufwand – und ob die Öffnungszeiten passen, ist eine weitere offene Frage. Für sie ist schon jetzt klar, dass sich nur ein Teilzeitjob ausgeht.

Die Frauen sollen’s richten

„Ich kann verstehen, dass Frauen dann aus dem Arbeitsmarkt rausgehen, denn Kinderbetreuung kostet immerhin auch genug“, meinte sie und sprach eine weitere Hürde an: Den Gratis-Kindergarten gibt’s erst ab dem dritten Geburtstag des Kindes. Somit geht das verdiente Geld zu einem Gutteil in Kinderbetreuung und der Gedanke liegt nahe: Wozu arbeiten gehen, wenn ich nur so wenig mehr verdiene, aber so viel mehr Stress habe? Denn auch vor dem beschaulichen Osttirol hat der Wandel der Arbeitswelt und vor allem der gestiegene Druck nicht Halt gemacht.

Auf all diese berechtigten Sorgen hat die Regierung herzlich wenig oder sehr unbefriedigende Antworten. Vom Familienbonus, der als Allheilmittel vermarktet wird, haben GeringverdienerInnen nur wenig bis gar nichts. Ein klares Bekenntnis zum weiteren Ausbau der Kinderbetreuungsplätze fehlt. Somit wird die Verantwortung wieder ins Private verschoben – in die hochgepriesene Familie. Doch so wichtig und gut Familie sein kann, angesprochen sind in erster Linie die Frauen, die nun wieder stärker unter Druck stehen, das Manko auszugleichen und unbezahlt zu Hause zu arbeiten.

Ebenso eigenwillig wie die Familie wird auch das Thema Integration ausgelegt. Hier ist es nicht das andere Geschlecht, das zuständig ist, sondern es sind „die anderen“, also die Zugewanderten oder Geflüchteten. Dass Integration nur dann funktionieren kann, wenn sich alle in Österreich lebenden Menschen dafür engagieren, diese Grundregel hat im Weltbild der Regierung keinen Platz. Ganz im Gegenteil: Ob in der Arbeitsmarktpolitik, in der Bildung oder bei anderen Integrationsprojekten, überall wird der Rotstift angesetzt. So werden wieder Hürden aufgebaut, statt Integration zu erleichtern und zu fördern. Denn da kann der Wille der Zugewanderten noch so groß sein, arbeiten zu gehen: Es hilft alles nichts, wenn Arbeitgeber ihnen aufgrund von Vorurteilen, wie sie nun von der Regierung munter weiter geschürt werden, keinen Job geben oder ihnen manche KollegInnen das Leben im Betrieb schwer machen.

Größte Gefahr durch Ungleichheit

Spalten und ausgrenzen statt Politik für die Menschen – das ist das Rezept der Regierung, welches sie geschickt hinter verschwurbelten Marketing-Aussagen zu verbergen weiß. Verdeckt wird damit auch ein noch viel problematischerer Aspekt: Die Regierung betreibt Politik zugunsten der Reicheren und Reichen. Dabei gefährdet wohl kaum etwas den Zusammenhalt in der Gesellschaft mehr als die steigende Ungleichheit. Aber es passt zur neoliberalen Ausrichtung, die nichts anderes sagt als: Das Individuum kann alles schaffen. Doch wenn das Individuum schlechte Startchancen oder schlichtweg keine Wahlfreiheit hat, kann es noch so wollen, es wird scheitern. Und genau daraus wird die Regierung dann wieder Kapital schlagen – zumindest wenn man sie lässt.

Von
Sonja Fercher
Chefredakteurin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 3/18.

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Über den/die Autor:in

Sonja Fercher

Sonja Fercher ist freie Journalistin und Moderatorin. Für ihre Coverstory im A&W Printmagazin zum Thema Start-ups erhielt sie im Juni 2018 den Journalistenpreis von Techno-Z. Sie hat in zahlreichen Medien publiziert, unter anderem in Die Zeit, Die Presse und Der Standard. Von 2002 bis 2008 war sie Politik-Redakteurin bei derStandard.at. Für ihren Blog über die französische Präsidentschaftswahl wurde sie im Jahr 2008 mit dem CNN Journalist Award - Europe ausgezeichnet.

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