Standpunkt: Spaltung statt guter Politik

Sonja Fercher
Chefredakteurin
Arbeit&Wirtschaft

Wetten, dass die Regierung es nicht schafft, länger über ein ihr politisch unangenehmes Thema zu diskutieren, ohne dass sie sogleich ein „Ausländerproblem“ aus dem Hut zaubert? Man muss gar keine aufwendige Recherche betreiben, um zu wissen: Thomas Gottschalk hätte diese Wette gewonnen – vielleicht nicht gleich während der Sendung, aber es hätte nur wenige Tage gedauert.

Dass MigrantInnen zu Sündenböcken gemacht werden, ist bei einer Regierung mit Beteiligung der Freiheitlichen Partei wohl wenig verwunderlich. Immerhin ist dies seit 1986 das wichtigste Rezept dieser Partei, das durchaus auf andere abgefärbt hat. Das Bittere daran: Die „neue“ ÖVP unter Sebastian Kurz hat diese Strategie offen in ihr Repertoire aufgenommen.

Zynische Feindbilder

Erst vor Kurzem war es wieder so weit. Mit der „Sozialhilfe“ hat die Regierung eine Maßnahme verabschiedet, die für jene Menschen, die ohnehin schon mit dem Minimum zurechtkommen müssen, zusätzliche Verschärfungen bringt. In diesem Fall war das Drehbuch etwas komplizierter. Erster Hauptdarsteller: der Migrant, der nach Österreich kommt, aber angeblich nicht aus Not, sondern weil er von den Sozialleistungen profitieren möchte. Kanzler Sebastian Kurz spricht von „Sozialtourismus“, der beendet werden müsse. Müßig zu erklären, dass es mehr als zynisch ist, bei Flucht und Migration den Begriff „Tourismus“ anzuwenden. Müßig, darauf aufmerksam zu machen, dass Menschen weniger zu etwas hin flüchten, sondern eher vor etwas die Flucht ergreifen. Aber um eine differenzierte Diskussion geht es nicht. Vielmehr geht es darum, möglichst griffige Motive zu finden, um den Sozialabbau zu legitimieren.

Mit der „Sozialhilfe“ hat die Regierung eine Maßnahme verabschiedet, die für jene Menschen, die ohnehin schon mit dem Minimum zurechtkommen müssen, zusätzliche Verschärfungen bringt.

Zweiter Hauptdarsteller: der faule Österreicher, der nicht arbeiten, sondern lieber Sozialleistungen „konsumieren“ möchte. Ihn müsse man also disziplinieren, damit er endlich, endlich einen Job annimmt. Müßig zu sagen, dass es nicht genügend Arbeitsplätze gibt. Müßig, darauf aufmerksam zu machen, dass die meisten BezieherInnen der Mindestsicherung (70 Prozent) Menschen sind, deren Einkommen oder Sozialleistung weniger als die Mindestsicherung ausmacht, weshalb ihnen die Differenz zugeschossen wird (AufstockerInnen genannt). Im Übrigen ließe sich durchaus darüber diskutieren, ob das sinnvoll ist, da es sich hier um eine Lohnsubvention für Firmen handelt. Oder darüber, dass die Löhne und Gehälter in Österreich real schon die längste Zeit nicht wachsen; sprich: dass jene Menschen, die den Wohlstand in der Gesellschaft im wahrsten Sinne des Wortes erarbeiten, davon viel zu wenig haben.

Doch zurück zur „Reform“ der Mindestsicherung. Fast ist man versucht zu sagen: Es kam der Regierung gerade recht, dass eine erhitzte Debatte über das Einzelfallkontinuum der FPÖ oder die Verwendung von rechtsextremen Begriffen wie „Bevölkerungsaustausch“ geführt wird. Denn so müssen sie sich nicht auf differenzierte Diskussionen über die Mindestsicherung einlassen. Und sie sind auch nicht gezwungen, bessere Lösungen zu erarbeiten – oder gar Geld woanders frei zu machen, um diese zu finanzieren (etwa beim regierungseigenen PR-Apparat, aber das ist wohl eine zu populistische Forderung).

Noch mehr Spaltung

Genau solche Maßnahmen aber hätten die betroffenen Menschen wahrlich verdient. Zurück zur Fernsehwette: Hoffentlich hätte der Stargast seinen Wetteinsatz Institutionen zur Verfügung gestellt, die sich für sozial Schwache oder MigrantInnen einsetzen. Denn es ist leider so, dass die Regierung nicht nur spaltet, sondern zudem jenen das Leben schwer macht, die die Brösel zusammenzukehren versuchen, die durch diese Politik der Spaltung entstanden sind. Dabei müssen nicht nur NGOs und wichtige Beratungsstellen um ihr finanzielles Überleben zittern. Aber es ist vermutlich nur linker Populismus, wenn man anmerkt, dass es kein Wunder ist, dass gerade die Arbeiterkammer nun wieder ins Visier der Regierung geraten ist.

Von
Sonja Fercher
Chefredakteurin
Arbeit&Wirtschaft

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 4/19.

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Über den/die Autor:in

Sonja Fercher

Sonja Fercher ist freie Journalistin und Moderatorin. Für ihre Coverstory im A&W Printmagazin zum Thema Start-ups erhielt sie im Juni 2018 den Journalistenpreis von Techno-Z. Sie hat in zahlreichen Medien publiziert, unter anderem in Die Zeit, Die Presse und Der Standard. Von 2002 bis 2008 war sie Politik-Redakteurin bei derStandard.at. Für ihren Blog über die französische Präsidentschaftswahl wurde sie im Jahr 2008 mit dem CNN Journalist Award - Europe ausgezeichnet.

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