Standesinstitution Schule?

Quelle: Bildungsbericht 2012 ÖGB-Verlag/Michael Mazohl
Quelle: Bildungsbericht 2012 ÖGB-Verlag/Michael Mazohl

Inhalt

  1. Seite 1 - Neues Eignungsverfahren für die AHS
  2. Seite 2 - Problematische Kürzungen
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In Österreich entscheidet immer noch die soziale Herkunft über den Bildungserfolg. Die Bildungspolitik der neuen Regierung dürfte die Ungleichheiten verschärfen.
Österreich zählt in der OECD zu den Ländern mit der höchsten Bildungsvererbung. Der Sprung zu einer besseren Ausbildung als jene der eigenen Eltern gelingt hier seltener als in anderen Ländern. Das österreichische Schulsystem gleicht die unterschiedlichen Startbedingungen von Kindern wenig aus. Mit der Trennung im Alter von zehn Jahren ist Österreich eines der OECD-Länder mit der frühesten Bildungsauslese. Getrennt wird scheinbar zwar „nur“ nach Leistung, tatsächlich entscheidet aber immer noch die soziale Herkunft über den Bildungserfolg.

Die bildungspolitischen Pläne im Regierungsprogramm dürften diese Ungleichheit eher verschärfen als reduzieren. Der Vielfalt der SchülerInnen – ihrer Talente, ihrer Interessen, ihres Förderbedarfs – will man durch eine noch stärkere „Differenzierung der Schulwege“ begegnen. Wie eng dabei individuelle Förderung einerseits und soziale Auslese andererseits zusammenhängen, zeigen die vielen neu vorgeschlagenen Tests und Weichenstellungen.

Neues Eingangsverfahren

Die Regierung will den Übergang von der Volksschule zur Sekundarstufe reformieren. Aus Sicht des Bildungsministers wechseln derzeit zu viele Kinder in die Allgemeinbildenden Höheren Schulen (AHS), obwohl sie dafür eigentlich nicht geeignet seien. Ein neues Eingangsverfahren soll nun die bisherige Beurteilung durch das Abschlusszeugnis ergänzen. Dafür wird einerseits der bestehende Bildungsstandards-Test herangezogen, welcher im Jahr 2008 eigentlich als Qualitätssicherungsmaßnahme für Schulen eingeführt worden war und nicht für die Einzelbeurteilung von SchülerInnen. Zusätzlich sollen künftig „Talente-Checks“ schon in der 3. Schulstufe austesten, welcher Schulweg für ein Kind infrage kommt – und welcher eben nicht. Ist der Schulweg an die Neue Mittelschule (NMS) einmal eingeschlagen, ist eine Rückkehr an die AHS jedoch die Ausnahme: In Wien etwa wechselt derzeit nur jeder/jede zwölfte NMS-SchülerIn später in ein Gymnasium.

Neue Testungen sollen aber auch beim Übergang von mittleren an höhere Schulen kommen. Mit dem „Chancenpass“ will die Bundesregierung quasi eine mittlere Reife einführen – eine Art Mini-Matura als Abschluss der Pflichtschule. Dafür soll die Bildungsstandards-Testung umgewandelt werden zu zentralen Prüfungen mit Projektarbeit in der 7. Schulstufe. Sogar vor dem Schuleintritt sollen Kleinkinder bereits Testungen unterzogen werden. Der Mutter-Kind-Pass wird künftig zum Instrument für die Bildungskontrolle weiterentwickelt. Bei Dreijährigen sollen „Sprachstandfeststellungen“ darüber entscheiden, ob sie ein zweites Kindergartenjahr – verpflichtend, aber nicht kostenlos – absolvieren müssen. Und zur Schulreifefeststellung kommen nun sogenannte Sprachscreenings hinzu. Sie messen die Deutschkompetenz (nicht Sprachkompetenz insgesamt) von Kindern und weisen sie künftig Deutschförderklassen zu. Dort erhalten sie, vom Regelunterricht getrennt, bis zu zwei Jahre lang ausschließlich Deutschunterricht.

Die laufende Beurteilung von SchülerInnen ist wichtig, wenn sie bei der Selbsteinschätzung hilft und an angepasste Förderung geknüpft ist. Wird sie aber zum Dauerlauf, der Kinder und Jugendliche aussortiert und sie in starre Schullaufbahnen mit geringer Aussicht auf Umstieg zwingt, verfehlt sie ihren pädagogischen Zweck.

Fair verteilen

Baut man die Trennung von SchülerInnen weiter aus, dann ballen sich pädagogische wie soziale Herausforderungen noch stärker als bisher an bestimmten Standorten, vor allem an großstädtischen NMS. An diesen Standorten wird das Lernen somit noch schwieriger. Um dies auszugleichen, brauchen gerade diese Standorte mehr Ressourcen. Nur so können sie den dortigen Herausforderungen besser begegnen. Mit dem Chancen-Index hat die AK dafür bereits ein Modell vorgeschlagen: Zusätzliche Fördermittel für Schulen sollen auf Basis eines Index fair verteilt werden. So erhalten jene Standorte, die die höchste Zahl von Kindern mit Förderbedarf aufweisen, auch die meisten Zusatzmittel. Bildungsminister Faßmann hat unlängst Sympathie für das Modell erkennen lassen, was vorsichtig optimistisch stimmt. Im jüngst vorgelegten Budgetentwurf wird davon allerdings nichts erwähnt.

Wenig Grund zu Optimismus gibt auch die angekündigte Kürzung der Mittel für NMS sowie Integrations-maßnahmen und das Aufschieben der Mittel für Ganztagsschulen. Gut geführte Ganztagsschulen stellen ein wichtiges Schulangebot gerade für jene Kinder dar, deren Eltern nicht beim Lernen unterstützen können. Durch die Streckung der 2016 für den Ganztagsschulausbau beschlossenen Mittel bis 2032 steht nun jährlich deutlich weniger für den Ausbau zur Verfügung. Zudem laufen die bisherigen Mittel aus der 15a-Vereinbarung zur Förderung von ganztägigen Schulformen aus.

Problematische Kürzungen

Den NMS werden künftig die Personalmittel für Teamteaching gekürzt – um circa 63 Millionen Euro, das ist ein Drittel des bisherigen Stundenkontingents. Gerade an den städtischen NMS sind die Herausforderungen meist am höchsten. Sie bräuchten deshalb dringend dieses zusätzliche Personal. Dies gilt besonders für NMS-Standorte mit einem hohen Anteil von Kindern mit nicht deutscher Muttersprache, vor allem von solchen aus sozial schwächeren Familien und mit Fluchthintergrund. Außerdem wird der bisher jährlich mit 80 Millionen Euro dotierte Topf für Integrationsmaßnahmen (wie SchulsozialarbeiterInnen, IntegrationslehrerInnen, interkulturelle Teams) gestrichen. Das verschärft die Situation dieser Schulen, denn die Herausforderungen bleiben bestehen. Die Schulen bekommen aber keine Unterstützung mehr, um diese zu bewältigen.

Ein zentrales Motiv des Regierungsprogramms über viele Politikbereiche hinweg lautet: strafen und Druck aufbauen, statt fördern und unterstützen. Dieses Motiv findet sich auch in der Bildungspolitik wieder, wie etwa der Umgang mit dem Thema Schulpflichtverletzungen zeigt. Die Missachtung der Schulpflicht stellt zweifelsohne ein ernstzunehmendes Problem für einen (kleinen) Teil der SchülerInnen dar. Üblicherweise ist sie durch kindes- und jugendpsychologische Probleme begründet: Prüfungsangst, Über- oder Unterforderung, Unsicherheit, Mobbing, familiäre Schwierigkeiten oder die Pflegebedürftigkeit von Eltern oder Angehörigen (Young Carers). Die bisherigen Ansätze, die Ursachen für Schulpflichtverletzungen zu bekämpfen, werden nun aber gestrichen. Stattdessen wird eine Mindeststrafe von 110 Euro (maximal 440 Euro) verankert, die Erziehungsberechtigte bei Schulpflichtverletzung bezahlen müssen. Und diese Strafe muss spätestens nach drei Fehltagen ausgesprochen werden.

Finanzielle Sanktionen als letztes Mittel sind zwar zweifellos wichtig. Noch wichtiger wäre aber, Kindern und Jugendlichen zu helfen. Bevor verpflichtend finanzielle Strafen ausgesprochen werden, sollte man die Wurzel des Problems erkennen und dieses lösen. Eine gute Beziehung zwischen SchülerIn, Eltern und Schule ist ein besserer Garant für Schulerfolg in der Schule. Durch vorschnelle Strafen wird diese Beziehung zusätzlich belastet. Deshalb sollte weiterhin die Schulleitung die Entscheidung treffen, wann sie welche Maßnahmen setzt und welche Sanktionen (auch finanzielle) sie aussprechen will.

Stärkerer Druck = höherer Bildungserfolg: Das ist eine riskante Gleichung. Das Mehr an Tests und Strafen sowie die ungleiche Ressourcenausstattung der Schulen mündet letztlich in mehr Notendruck, Leistungsstress und Schulangst. Sie sind bereits heute eine Hauptursache für die Zunahme psychischer Erkrankungen. An ihnen leiden mittlerweile rund 80.000 Kinder und Jugendliche in Österreich. Verstärkt man diesen Ansatz bereits vom Kindesalter an, wirkt sich das noch stärker aus. Die Grenze zwischen förderlichem Ansporn und schädlichem Druck ist stets im Auge zu behalten. Sonst ist nur ein noch weiterer Anstieg der Nachhilfekosten die Folge, und das in einem Land, in dem bereits jetzt 23 Prozent der Kinder auf Nachhilfe angewiesen sind. Im Jahr 2017 gaben die ÖsterreicherInnen allein 103 Millionen Euro für private Nachhilfe aus. Leisten können sich dies freilich immer nur finanzkräftige Haushalte.

Enorme Folgekosten

Damit das Schulsystem also die soziale Ungleichheit nicht weiter erhöht, braucht es mehr Ressourcen für schulische Bildung – nicht weniger. An der Bildung zu sparen, produziert langfristig enorme gesellschaftliche Folgekosten. Budgetsorgfalt ist wichtig, deshalb sollten Zusatzmittel zu allererst jenen Schulstandorten mit den größten Herausforderungen zukommen. Entscheidend für die Qualität ist jedoch, dass die finanzierten Maßnahmen laufend wissenschaftlich evaluiert werden und Korrekturen sich daran orientieren, nicht nur an budgetären Überlegungen. Die chancengerechte Schulbildung aller Kinder ist nämlich eine der wichtigsten Zukunftsinvestitionen des Landes.

Von
Oliver Gruber, Elke Larcher, Boris Ginner:
Abteilung Bildungspolitik der AK Wien

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 3/18.

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