Die Guten ins Töpfchen, die Faulen ins Kröpfchen

Illustration arbeitslos
Illustration (C) Miriam Mone
Mitten in Pandemie und Rekordarbeitslosigkeit schaffen ÖVP-Abgeordnete im Netz ein neues Feindbild: In Facebook-Postings dreschen sie auf erwerbsarbeitslose Menschen ein. Das Bild, das sie damit kreieren, ist vor allem eines: gefährlich.
Zuerst zu den unbestreitbaren Fakten: Wir haben in mehrerlei Hinsicht eine Krisensituation. Eine Klimakrise. Eine Gesundheitskrise. Eine Demokratiekrise. Eine Wirtschaftskrise. Letztere bewirkt, dass sehr viele Menschen in Österreich arbeitslos sind. Im September 2020 waren das 346.907 Personen. Aufgrund der Pandemie ist auch sehr fraglich, ob diese Personen sehr schnell wieder Arbeit finden werden.

Es geht auch darum, dass die, die in diesem System ganz unten sind, dafür verachtet werden.

Nun kann man mit dieser Situation unterschiedlich umgehen. Man könnte etwa das Arbeitslosengeld erhöhen – einmalig oder anhaltend. Man kann aber auch, wie die ÖVP-Abgeordnete Carmen Jeitler-Cincelli dies tut, die moralische Schuld bei den Erwerbsarbeitslosen selbst suchen. Jeitler-Cincelli verwehrt sich strikt gegen jegliche Unterstützung für Arbeitslose und ortet, wie sie in einem Facebook-Post Ende Oktober schrieb, gar eine Hängematte, die besonders „strukturellen“ Langzeitarbeitslosen ausgebreitet werde.

Die Mär vom faulen Arbeitslosen

Das Bild, das sie hier aufbaut, ist weder neu noch originell, aber dafür gefährlich. Jeitler-Cincelli skizziert eine Masse an Arbeitslosen, die es sich auf Kosten der Fleißigen gemütlich machen. Damit werden Bilder evoziert, die Arbeitslose als den ganzen Tag auf der Couch lümmelnde, Fast Food essende und Reality-TV-schauende Prolos darstellen. Dieses Bild ist eine der schärfsten Waffen im neoliberalen Kulturkrieg. Es geht nicht nur darum, politisch und ökonomisch die Strukturen nachhaltig so zu verändern, dass einige wenige Kapital akkumulieren können, während die Mehrheit der Menschen vom Verkauf ihrer Arbeitskraft leben muss und kein substanzielles Vermögen anhäufen kann. Es geht auch darum, dass die, die in diesem System ganz unten sind, dafür verachtet werden.

Eine Frage des Charakters

Es geht also auch um einen kulturellen Wertewandel, um die Etablierung einer neoliberalen Moral. In diesem Denken ist Arbeitslosigkeit kein Zustand, der fast jede und jeden treffen kann und den wir als Gesellschaft auffangen müssen. Arbeitslosigkeit wird zu einer Frage des Charakters. Arbeitslosigkeit ist hier eine individuelle Charakterschwäche und eine Frage fehlender Moral. Dementsprechend reicht es nicht, dass Arbeitslose all die Nachteile erfahren, die Arbeitslosigkeit mit sich bringt. Sie werden in neoliberalen Vorstellungen auch noch dämonisiert. Dazu gehören eben auch die Verbindungen zu körperlichen „Schwächen“ (wie Krankheit, Übergewicht, schlechte Ernährung etc.) und eben Charakterschwächen (wie Faulheit, Dummheit, Antriebslosigkeit).

Illustration arbeitslos
Es ist ein Ausspielen der Arbeitenden gegen die Arbeitslosen. Den Arbeitenden werden hier gemeinsame Interessen mit den Arbeitgebern unterstellt, und der Kontrast wird zu den Arbeitslosen aufgebaut.

Arbeitslose werden als Menschen skizziert, die bewusst und mit Freude andere ausnutzen. Diese „anderen“ werden komplementär als Fleißige und inhärent Gute konstruiert. Sie gehen brav Tag für Tag arbeiten und müssen all die Lasten allein stemmen. Es ist ein Ausspielen der Arbeitenden gegen die Arbeitslosen. Den Arbeitenden werden hier gemeinsame Interessen mit den Arbeitgebern unterstellt, und der Kontrast wird zu den Arbeitslosen aufgebaut. Das ist nichts anderes als ein Treten nach unten und ein Verwischen des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit.

Ein Bild mit Geschichte

Dieses Bild ist aber nichts Neues. Es stammt aus der Zeit der Durchsetzung des beinharten marktradikalen Neoliberalismus in den USA unter Präsident Reagan. Die hierbei verwendete Figur in den USA ist bis heute die der „Welfare Queen“. Es handelt sich hierbei um eine Frau, meist eine alleinerziehende Mutter der Unterschicht, die ihr vermeintliches Luxusleben mit Schecks der Sozialhilfe finanziert. Dieses Bild ist auch noch rassifiziert, denn diese Frau wird gerne mit dem Klischee der lauten und ordinären schwarzen Frau dargestellt. Es geht hier also um eine Verbindung zwischen Klassismus, Rassismus und Misogynie. Diesen Frauen wird auch noch unterstellt, das Geld nicht für Notwendiges, sondern für persönlichen Luxus – zum Beispiel Nägel, Klamotten, Make-up etc. – auszugeben. Der Vorwurf, eine schlechte Mutter zu sein, schwingt immer mit.

Die beschriebene Schrillheit und das damit verbundene Lautsein wird als Undankbarkeit und sogar Hohn gegenüber den Anständigen und Fleißigen konstruiert. Wenn jemand schon Sozialhilfe bekommt, dann hat diese Person auch dankbar, unterwürfig und bescheiden zu sein. So wurde eine Spaltung zwischen den „deserving“ und „undeserving poor“ vorgenommen, also jenen Armen, denen geholfen werden muss, weil sie ohne eigenes Verschulden arm sind, und jenen, die „selbst schuld“ sind.

Unverschuldet Arme sind dagegen jene, die sich gut für die PR der Wohltäter*innen eignen: demütig dreinschauende Kinder zum Beispiel und im Kontext der USA – aber auch anderswo – weiße Menschen.

„Schuld“ ist hier eine arbiträre Größe und wird moralisch und zu gegebenen Zeiten höchst unterschiedlich bewertet. „Selbst schuld“ sind auch jene, die nicht entsprechend aussehen, oder auch jene, die auf eigenen Rechten bestehen. Unverschuldet Arme sind dagegen jene, die sich gut für die PR der Wohltäter*innen eignen: demütig dreinschauende Kinder zum Beispiel und im Kontext der USA – aber auch anderswo – weiße Menschen. Dieses Bild findet sich auch, wenn zum Beispiel die FPÖ als Abgrenzung zu Flüchtlingen plötzlich „unsere Bedürftigen“ entdeckt.

Das ferne kapitalistische Aufstiegsversprechen

Diesem abwertenden Bild von Arbeitslosen liegt das kapitalistische Aufstiegsversprechen zugrunde, dass man alles erreichen kann, wenn man nur will. Die berühmte Formel „vom Tellerwäscher zum Millionär“ sagt genau dies. Aufstieg und Reichtum sind demnach auch Charakterfragen. Dieses schöne Versprechen hält nur leider der Realität nicht stand. Es übersieht gleich mehrere Faktoren – angefangen von Machtverhältnissen, die es bestimmten Gruppen (etwa Frauen oder Migrant*innen) ungleich schwerer machen, egal wie hart sie arbeiten. Dieses Versprechen übersieht ihre ökonomische Ausgangslage. Es gibt nicht nur gläserne Decken in dieser Gesellschaft, sondern Betondecken, die kaum einzureißen sind.

Exkurs: Der Leistungsmythos – entzaubert von Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl

Weitere Analysen von rhetorischen Tricks gibt es auf YouTube.

So studieren Kinder mit Akademiker*innen-Eltern viel häufiger und sind so entsprechend für gesellschaftliche Elitenpositionen qualifiziert. Dabei ist selbst das oft nur Makulatur, da das entsprechende Elternhaus schon qua Geburt den Zugang zu den richtigen Netzwerken garantiert sowie einen kaum zu überschätzenden ökonomischen Vorteil. Egal, was man mit seinem Leben so vorhat – das Wissen, dass es immer Eltern gibt, die eine*n ökonomisch auffangen können, ändert alles.

Klassenkampf von oben

Diese Geburtslotterie wird pseudorationalisiert und zu einer Frage der persönlichen positiven Eigenschaften umgedeutet. Wer reich ist, ist besonders fleißig. Wer arm ist, ist ein schlechter Mensch. Erstere gehören bewundert, Letztere verdammt. Das wird ganz selbstverständlich als Basis für politische Maßnahmen hergenommen, etwa indem das Arbeitslosengeld mitten in einer Pandemie nicht erhöht wird oder selbst Einmalzahlungen als Hängematte empfunden werden. Das ist eine im tiefsten Grunde menschenfeindliche und elitäre Haltung. Das ist Klassenkampf von oben.

Über den/die Autor:in

Natascha Strobl

Natascha Strobl ist Politikwissenschaftlerin aus Wien und beschäftigt sich mit den rhetorischen Strategien der (extremen) Rechten. Auf Twitter liefert sie unter #NatsAnalysen tief gehende Analysen zu tagesaktuellen Themen.

Sie brauchen einen Perspektivenwechsel?

Dann melden Sie sich hier an und erhalten einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.

Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.