Glück im Unglück?

Reportage TSA
Fotos (C) Markus Zahradnik
In Wiener Neudorf produziert die TSA Traktionssysteme Austria elektro-mechanische Antriebe für Schienen- und Straßenfahrzeuge. Der Krise zum Trotz erwartet das Unternehmen heuer einen neuen Umsatzrekord. Wie das? Wir waren vor Ort und haben bei Geschäftsführung und Betriebsrat nachgefragt.
Es wirkt schon beinahe ungewöhnlich harmonisch. Geschäftsführer, Angestellten- und Arbeiterbetriebsrat, Lehrlingsausbilder, sie alle sitzen an einem langen Tisch, natürlich unter Wahrung der Sicherheitsabstände. Gedämpft dringt ein Pochen aus der riesigen Werkshalle in den für vier Personen überdimensionierten Raum. Diese vier Herren reflektieren die vergangenen Wochen. „Wir haben einfach Glück gehabt“, sagt Günther Eichhübl. Es ist ein Satz, den man so in dieser Wirtschaftskrise nicht erwartet hätte. Sein Kollege Karl Ricker stimmt zu: „Vielleicht würde es anders aussehen, wenn wir einen Corona-Fall gehabt hätten, mit einer behördlichen Schließung.“ Eichhübl nickt: „Es wird aber schon auch an den Maßnahmen liegen, die wir gesetzt haben.“

Eichhübl, 60, ist einer der beiden Geschäftsführer der TSA. Der ruhige Jurist war bis vor Kurzem noch – nach einem Management-Buyout – Miteigentümer, aber er hat seine Anteile im Frühjahr verkauft. Bis Juni 2021 bleibt er noch in seiner derzeitigen Position. Er ist ein besonderer Chef, ein offener Typ, einer, der seinem Gegenüber stets Augenhöhe bietet. Und er selbst war es, der die Arbeit&Wirtschaft, immerhin ein Medium der Arbeitnehmer*innenseite, als Chef in sein Unternehmen eingeladen hat. Und der sofort die Betriebsräte dazugeholt hat.

Angestelltenbetriebsrat Walter Brandstetter (links) und Arbeitserbetriebsrat Karl Ricker (rechts) kennen jeden Zentimeter, jede Kennzahl des Betriebs, die Beschäftigten sowieso.

Mit am kargen, extra lang zusammengestellten Besprechungstisch, zwischen einer Armada aus Mineralwasserflaschen, sitzt auch Walter Brandstetter, im blütenweißen Hemd mit Sakko, wie es sich für den Angestelltenbetriebsrat gehört. „Ich habe hier meine Lehre gemacht und bin seit 1979 durchgehend an diesem Standort“, erzählt er. „Geändert haben sich eigentlich nur die Namen und die Eigentümer.“ Karl Ricker, freigestellter Arbeiterbetriebsrat, kann da noch nicht ganz mithalten: „Ich bin erst seit 1989 hier“, schmunzelt er. Die beiden kennen jeden Zentimeter, jede Kennzahl des Betriebs, die Beschäftigten sowieso.

Heute arbeiten 380 Mitarbeiter*innen und 18 Leiharbeiter*innen bei TSA in Wiener Neudorf. Arbeiter*innen und Angestellte halten sich etwa die Waage, etwa 100 sind im Bereich Planung, Vertrieb und Administration beschäftigt. „Wir haben sehr viel in unser Employer-Branding investiert, weil wir gute Leute brauchen und suchen, und natürlich bilden wir sie auch selbst aus“, sagt Eichhübl. Und man hört dabei den Stolz in seiner Stimme. Er selbst präsentiert seinen Werdegang offen im Internet, in einem Video auf der Berufsorientierungsplattform whatchado. Denn er hat auch viel zu erzählen: Zum Unternehmen gehört ein Werk im bosnischen Tuzla mit 180 Mitarbeiter*innen, ein Joint-Venture in Indien und eine Vertriebsniederlassung in den USA. Der Gesamtumsatz der TSA lag im Jahr 2019 bei 111 Millionen Euro, für 2020 wird eine Steigerung auf 120 Millionen Euro erwartet.

TSA produziert in Wiener Neudorf elektromechanische Antriebe für Schienen- und Straßenfahrzeuge – mit Umsatz­rekord 2020.

Keine Kurzarbeit

„Auf Kurzarbeit konnten wir glücklicherweise verzichten“, erklärt Karl Ricker, der Betriebsrat, und Geschäftsführer Eichhübl wirft ein: „Karl, im Gegenteil, es sind auftragsbedingt sogar Mehrstunden angefallen.“ Die Belegschaft sei, berichten sie, sehr glücklich gewesen. „Na ja“, sagt Ricker, „Kurzarbeit bedeutet natürlich Einkommensverluste für die Betroffenen.“

Auf Kurzarbeit konnten wir glücklicherweise verzichten. Kurzarbeit bedeutet natürlich Einkommensverluste für die Betroffenen. 

Karl Ricker, Arbeiterbetriebsrat

„Zwei Sachen haben wir allerdings schon gemacht: Beschäftigte in Risikogruppen haben wir nach Hause geschickt, auch die Lehrlinge, und etwa 100 Mitarbeiter*innen, die sonst im Büro arbeiten, waren im Homeoffice“, ergänzt Geschäftsführer Eichhübl. „Wir hatten doppelt Glück: Einerseits hat unsere Zulieferkette gehalten, andererseits ist uns kein einziger Auftrag ausgefallen.“

„Ja, und selbstverständlich haben wir eine Reihe von Maßnahmen an den Arbeitsplätzen gesetzt, die den Betrieb sicherstellen“, ergänzt Arbeiterbetriebsrat Ricker. Dazu gehören etwa die Maskenpflicht am Arbeitsplatz, die sehr eng aneinander liegenden Plexiglasaufsätze, ein Einbahnsystem zur und durch die Kantine oder eine Erweiterung der Pausenplätze im Freien. Die große Produktionshalle, bis zur Decke durchzogen von Regalen, Hebevorrichtungen und schweren Maschinen, bietet dafür ausreichend Raum.

Lehrausbildung wird durchgezogen

Die Lehrlingsausbildung wurde auch im Homeoffice aufrecht erhalten, die Lehrabschlussprüfungen wurden verschoben.

Zwölf Lehrlinge bildet die TSA gerade aus. „Wenn Sie hier eine Lehre machen, vielleicht sogar mit Matura, dann ist ihnen immer ein guter Arbeitsplatz sicher“, sagt Eichhübl ganz überzeugt. Lehrlingsausbilder Manuel Langmann schließt an: „Wir haben die Lehrlingsausbildung auch im Homeoffice aufrechterhalten. Ich habe, so gut es eben geht, Übungsaufgaben gestellt.“ Die Lehrlingsabschlussprüfungen seien von Ende April auf Juni verschoben worden. „Darauf bereiten wir unsere Leute speziell vor.“

Ich halte die gelebte Sozialpartnerschaft im Betrieb für drastisch unterschätzt. Gemeinsam kann man so viel mehr erreichen.  

Günther Eichhübl, Geschäftsführer TSA

Auf die Investitionen kommt es an

TSA-Geschäftsführer Günther Eichhübl: „Wir investieren pro Jahr drei bis sechs Millionen Euro um konkurrenzfähig zu bleiben, beziehungsweise Marktführer. Aber nicht nur in Maschinen, sondern auch in Arbeitsplätze, Büroausstattung oder die Sozialräume – und in die innerbetriebliche Ausbildung.“

Ein Punkt ist Eichhübl besonders wichtig: „Wir investieren pro Jahr drei bis sechs Millionen Euro, um konkurrenzfähig beziehungsweise Marktführer zu bleiben. Nicht nur in Maschinen, sondern auch in Arbeitsplätze, Büroausstattung oder Sozialräume – und in die innerbetriebliche Ausbildung.“ Er hat eine Vorstellung, was dem Unternehmen dabei helfen könnte: „Meiner Ansicht nach wäre es am einfachsten, die Körperschaftssteuer auf nicht entnommene Gewinne zu reduzieren. Alles, was wir nicht fremd finanzieren müssen, können wir einfacher investieren.“ Zu höheren Investitionsfreibeträgen oder großzügigeren Abschreibungen gibt er sich zurückhaltend. „Da bin ich nicht der Experte, aber eine KÖSt-Senkung in dieser Form – und sei es nur für drei oder vier Jahre – erscheint mir dagegen als ein Federstrich.“

Gelebte Sozialpartnerschaft

Die Sozialpartnerschaft im Betrieb dürfte bei TSA gut funktionieren. Darauf angesprochen, sagt Angestelltenbetriebsrat Brandstetter: „Wir sind nicht immer einer Meinung, wir streiten auch, aber wir konnten uns bis jetzt immer noch einigen.“ Arbeiterbetriebsrat Ricker nickt. Nach einer kurzen Pause sagt Geschäftsführer Eichhübl einen wichtigen, einen bemerkenswerten Satz: „Ich halte die gelebte Sozialpartnerschaft im Betrieb für drastisch unterschätzt. Gemeinsam kann man so viel mehr erreichen.“ Und man spürt, wie ernst er diese Worte meint.

Von
Michael Mazohl

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 3/20.

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Über den/die Autor:in

Michael Mazohl

Michael Mazohl studierte Digitale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Im ÖGB-Verlag entwickelte er Kampagnen für die Arbeiterkammer, den ÖGB, die Gewerkschaften und andere Institutionen. Zudem arbeitete er als Journalist und Pressefotograf. Drei Jahre zeichnete er als Chefredakteur für das Magazin „Arbeit&Wirtschaft“ verantwortlich und führte das Medium in seine digitale Zukunft. Gemeinsam mit der Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl erscheint ihr Buch „Klassenkampf von oben“ im November 2022 im ÖGB-Verlag.

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