Reportage: Die Risse in der Gesellschaft kitten

Inhalt

  1. Seite 1 - Reale Einschränkungen
  2. Seite 2 - Nie reich, aber nie am Limit
  3. Seite 3 - Selbsthilfe
  4. Auf einer Seite lesen >
Daniela Brodesser und Sarah Zeller mussten selbst erleben, was Leben in Armut bedeutet. Beide engagieren sich heute für Armutsgefährdete. Die eine bemüht sich um ein besseres Bewusstsein für die Lebensrealität dieser Menschen und geht gegen Vorurteile an. Die andere hat eine Beratungsstelle für Alleinerziehende auf die Beine gestellt, die sich auch dafür einsetzt, dass deren Bedürfnisse im Wohnbau besser berücksichtigt werden.

Selbsthilfe

Wichtig ist bei JUNO, dass nur jene beraten, die selbst alleinerziehend sind. Zeller, die inzwischen wieder in einer Beziehung lebt, weiß noch gut, wie es sich angefühlt hat, Abend für Abend zu Hause zu verbringen und sich entsprechend eingesperrt zu fühlen. „Ich habe dann ab und zu Freunde auf ein Glas Wein eingeladen. Es ist auch nicht so, dass ich heute so oft abends unterwegs wäre. Aber ich weiß, ich könnte mal schnell rausgehen.“ Gut erinnern kann sie sich auch noch an die vielen Anträge auf Unterstützung, die sie gestellt hat, nachdem ihre Ehe – ihren Mann hatte sie bei einem eineinhalbjährigen Südamerika-Aufenthalt nach der Matura kennengelernt – in die Brüche gegangen war. Das sei auch schon als Deutsch-Muttersprachlerin nicht so einfach. Als Migrantinnen haben Frauen es allerdings doppelt schwer.

Als Migrantinnen haben Frauen es doppelt schwer.

Zu JUNO kommen auch immer mehr Frauen mit Migrationshintergrund oder Frauen, die Kopftuch tragen. Fremdsprachige Beratung bietet der Verein derzeit auf Slowakisch, Polnisch, Ungarisch, Spanisch und Englisch an. Es gäbe auch Bedarf, Türkisch, Arabisch und Farsi Sprechende im Team zu haben, sagt Zeller. Wer sich hier engagiert, tut dies allerdings ohne oder für geringes Entgelt. Denn JUNO kämpft immer noch um Unterstützung durch die öffentliche Hand. Bisher gewährte die Stadt Wien in einigen Jahren 5.000 Euro, im Vorjahr blieb die Förderung ganz aus. Einnahmen gebe es durch die beratende Tätigkeit im Rahmen von Wohnbauprojekten, dazu kämen Spenden von Unternehmen oder Einzelpersonen.

Alleinerziehenden unter die Arme zu greifen, nützt am Ende allen.

Insgesamt arbeite JUNO aber mit einem Minibudget, sodass es derzeit auch etwa vier Wochen Wartezeit auf  einen Beratungstermin gebe. Das sei nicht ideal, da jede, die sich melde, das aus einer Notsituation heraus tue. Alleinerziehenden unter die Arme zu greifen, nütze am Ende allen, ist Zeller überzeugt. Den Verweis auf begrenzte Budgets und andere soziale Einrichtungen, denen man das Budget nicht kürzen wolle, um einem relativ neuen Verein wie JUNO Geld zuzuschlagen, kann sie nicht mehr hören. In Wien biete sonst nur die Erzdiözese Beratung für Alleinerziehende. Diese sei gut, aber nicht niederschwellig. „Welche Frau mit Kopftuch geht zur Erzdiözese?“ Sie selbst hat dort Hilfe gesucht, als sie sich von ihrem Mann getrennt hatte, und sich damals diese Frage gestellt.

(C) Michael Mazohl
Zeller weiß noch gut, wie es sich angefühlt hat, Abend für Abend zu Hause zu verbringen und sich entsprechend eingesperrt zu fühlen.

Rechtzeitige Hilfe

Wenn Mütter schließlich mit ihren Kindern auf der Straße stehen, weil sie die Miete nicht mehr zahlen können, oder vor lauter Überlastung zusammenbrechen, sei niemandem geholfen. Hier müsse man auch an die Folgekosten denken.

Mit der Stadt Wien sei JUNO von Beginn an im Gespräch. Sie habe Verständnis dafür, dass die Stadt erst über ein paar Jahre verfolgen wolle, ob ein Verein ordentlich abrechne und wirtschafte, so die Leiterin von JUNO. Es sei aber an der Zeit, den Verein auf eine solide finanzielle Basis zu stellen – nicht zuletzt deshalb, weil Zeller und ihre Kolleginnen nicht ewig derart prekär diese Arbeit leisten können, wie sie es derzeit tun.

Steigender Bedarf

„Wir wünschen uns von der Stadt Wien eine Basisförderung“, sagt Zeller. Ob die Stadt diese zusagt, bleibt abzuwarten. Dabei ist und bleibt es notwendig, dass Menschen wie Sarah Zeller und ihre MitstreiterInnen in ihrem wichtigen Engagement unterstützt werden. Immerhin sind sie es, die jene Risse zu kitten versuchen, die durch Mängel bei der sozialen Absicherung entstanden sind. Und der Bedarf an Unterstützung durch Vereine wie JUNO wird nicht zuletzt durch die Abschaffung der Mindestsicherung steigen. Gespart wird künftig nämlich sowohl bei Mehr-Kind-Familien als auch bei Menschen mit nichtdeutscher Muttersprache.

Es kann jede/n treffen

Da die Regierung zudem den Ton gegenüber Arbeitslosen verschärft hat, wird auch Daniela Brodesser weiterhin gegen viele Vorurteile ankämpfen müssen, ob auf Twitter oder im Rahmen ihres Projekts „Un-Sichtbar“. Wichtig ist ihr zudem, dass den Menschen bewusst wird, wie schnell man in der Armutsfalle landen kann: „Es kann jeden treffen, weil es heutzutage so schnell geht. Ich kann zum Beispiel seit Jahren einen Job haben. Aber was ist, wenn die Firma pleitegeht? Das passiert ja laufend. Und dann lebe einmal mit dem Arbeitslosengeld, hast aber ein gewisses Alter oder nicht die Ausbildung, die gerade gebraucht wird – dann findest du nichts. Und so schnell kannst nicht schauen und du bist auch drinnen in der Mindestsicherung.“

Weitere Informationen:
www.un-sichtbar.co.at
www.alleinerziehen-juno.at

Von
Sonja Fercher und Alexia Weiss

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 4/19.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Redaktion
aw@oegb.at

Inhalt

  1. Seite 1 - Reale Einschränkungen
  2. Seite 2 - Nie reich, aber nie am Limit
  3. Seite 3 - Selbsthilfe
  4. Auf einer Seite lesen >

Sie brauchen einen Perspektivenwechsel?

Dann melden Sie sich hier an und erhalten einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.

Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.