Pestizidbehörden 
in der Kritik

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Giftstoffe, die in der Landwirtschaft und im Hausgarten eingesetzt werden, kommen aus dem Labor und erfüllen ihren Zweck: Sie töten Organismen. Dabei unterscheiden sie nicht ausreichend zwischen „Schädlingen“ und anderen Lebewesen – deshalb können sie zur Gefahr werden.
Eines will ich gleich vorausschicken: Das Pestizidgesetz, die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009, welches die Europäische Union vor zehn Jahren beschlossen hat, ist eines der fortschrittlichsten auf dieser Welt. Es basiert auf dem Vorsorgeprinzip und verlangt ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit. So dürfen Pestizide „keine sofortigen oder verzögerten schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen, einschließlich besonders gefährdeter Personengruppen“ haben. Auch dürfen sie keine „unanehmbaren Auswirkungen“ auf die Umwelt haben, weder auf Wasser, Luft oder Boden, noch auf Arten, die nicht bekämpft werden sollen.

Mögliche Umwelteffekte werden an Modellorganismen für Fische, Erdwürmer oder Bienen untersucht.
Den Beweis, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind, müssen die Hersteller der Pestizide vorlegen. Dazu beauftragen sie spezialisierte Vertragslabore mit der Durchführung entsprechender Studien: Mögliche Umwelteffekte werden an Modellorganismen für Fische, Erdwürmer oder Bienen untersucht. Gesundheitsrisiken für den Menschen sollen Studien mit Labormäusen und Ratten aufklären. Die Behörde hat den Zulassungsantrag „unabhängig, objektiv und transparent“ zu bewerten. Erweist sich dabei ein Pestizidwirkstoff bei den Versuchstieren als krebserregend, mutagen, fruchtschädigend oder hormonschädigend, darf es keine Zulassung geben. So steht es im Gesetz. Aber wie ist die Umsetzung in der Praxis?

Systemversagen bei Glyphosat

Das Vertrauen in das Zulassungssystem für Pestizide und die verantwortlichen Behörden bekam Risse, als im März 2015 das weltweit meistverwendete Pestizid, der Unkrautvernichter Glyphosat, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“ eingestuft wurde. Denn ein Jahr zuvor, im Jänner 2014, hatte das mit der EU-Bewertung betraute deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sich weit hinaus gelehnt und erklärt, Glyphosat sei nicht krebserregend, da könne man sich „sicher sein“. Man habe mehr als 150 Studien der Hersteller und weitere 900 Studien aus der publizierten wissenschaftlichen Literatur geprüft und ausgewertet. Doch als die Expertinnen und Experten der WHO zum gegenteiligen Ergebnis kamen, war Feuer am Dach. Viele fragten sich, wie denn zwei Gesundheitsgremien sich so fundamental widersprechen können?

Wie können sich zwei Gesundheitsgremien so fundamental widersprechen?

EU-Bewertung durch deutsches Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)
Jänner 2014
Glyphosat ist nicht krebserregend

Einstufung der Weltgesundheitsorganisation (WHO)
März 2015
Glyphosat ist krebserregend

Eher verstörend denn beruhigend wirkte da der Erklärungsversuch der Behörde, dass ihre Bewertung weitgehend auf „…unveröffentlichten Studien, die der WHO-Krebsforschungsagentur nicht zur Verfügung standen“ basiere. Weshalb schenkte die Behörde den Studien der Glyphosat-Hersteller mehr Vertrauen als den Studien von unabhängigen Wissenschaftern?

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Wie sehr deren Ergebnisse auseinanderklafften, habe ich im Mai des Vorjahrs im Europaparlament in Brüssel, bei einer Expertenanhörung des Sonderausschusses für Pestizide* dargelegt, und zwar am Beispiel der Studien zur DNA-schädigenden Wirkung von Glyphosat: Das betreffende, 138-Seiten starke Kapitel im Behördenbericht listet 46 Herstellerstudien und 72 unabhängige publizierte Studien auf, die sich der Frage widmen, ob Glyphosat oder glyphosathaltige Herbizide die DNA schädigen können. Während die Herstellerstudien mit einer Ausnahme keine entsprechenden Effekte berichten, fand die überwiegende Mehrzahl der unabhängigen Studien sehr wohl DNA-schädigende Effekte und damit den Nachweis eines molekularen Mechanismus für die Erzeugung von Krebs.

Die Plagiatsaffaire

Das führt uns zu der Frage, wie die Behörde denn auf diesen offensichtlichen Widerspruch reagiert hat? Die Antwort ist ebenso einfach wie verblüffend: Sie wertete keine einzige (!) der unabhängigen Studien als zuverlässig oder relevant. Somit waren die für die Hersteller unvorteilhaften Studien mit einem Schlag aus dem Rennen. Doch waren das exakt jene Studien, in denen die Expertinnen und Experten der WHO „starke Beweise“ für die DNA-schädigende Wirkung von Glyphosat erkannt hatten, was uns zu der nächsten Frage führt: Mit welcher wissenschaftlichen Begründung konnte die Behörde all diese Studien als „unzuverlässig“ abstempeln?

Anstatt eine unabhängige Bewertung durchzuführen, wurde lediglich eine bestehende Bewertung kopiert.
Die Antwort ist erneut einfach und verblüffend: Die Begründungen lieferte Monsanto. Die Behörde schrieb ihre gesamte Argumentation, weshalb die publizierten Studien allesamt unzuverlässig seien, Wort für Wort aus dem Zulassungsantrag ab. Das betreffende Kapitel im Behördenbericht umfasst 46 Seiten. Die Behörde gibt darin vor, eine unabhängige Bewertung durchzuführen, wie vom Gesetz verlangt. In Wahrheit kopierte sie jedoch die Bewertung eines Monsanto-Wissenschaftlers, ohne dessen Autorschaft kenntlich zu machen, wie der Plagiatsforscher Stefan Weber und ich in einer gemeinsamen Studie im Auftrag von Europaparlamentariern nachgewiesen haben. Die Studie wurde am 14. Jänner 2019 im Europaparlament in Straßburg vorgestellt.

Bleibt noch eine letzte Frage: Wie kommt es, dass die Studien der Hersteller im Gegensatz zur Mehrzahl der publizierten Studien anscheinend keine genotoxischen Effekte fanden? Aufschluss könnte nur eine unabhängige Auswertung der betreffenden Originalstudien geben. Da diese aber von Monsanto & Co. unter Verschluss gehalten werden, ist das derzeit unmöglich. In einem Fall, war es hingegen möglich und führte prompt zu einem Ergebnis, das explosiver nicht hätte sein können:
 Zwei Krebsstudien mit Mäusen – eine von Monsanto, die andere von Cheminova – welche zuvor im EU-Zulassungsverfahren als Beweise für die Harmlosigkeit des Pflanzengifts hergehalten hatten, landeten auf dem Schreibtisch der WHO-Expertinnen und Experten. Und diese erkannten, dass in beiden Studien jene Labormäuse, denen Glyphosat verabreicht wurde, signifikant häufiger an Krebs erkrankten als Mäuse, die kein Pestizid erhielten. In der Folge legten diese zwei Krebsstudien der Hersteller den Grundstein für die Krebseinstufung von Glyphosat durch die WHO, was einer gewissen Ironie nicht entbehrt.

Lessons learned?

Die hier beschriebenen Fehlleistungen im Zulassungsverfahren von Glyphosat – und noch einige mehr, für die der Platz hier fehlte – waren mehrfach Gegenstand von Publikationen und Medienberichten. Vernichtende Kritik hagelte es vor allem aus der Wissenschaft. Die österreichische Umweltorganisationen GLOBAL 2000 und sieben weitere Organisationen erstatteten Strafanzeigen gegen Behörden und Monsanto wegen des Verdachts des wissenschaftlichen Betrugs. Verfahren gab es bislang keines. Bis heute behaupten die Behörden, alles richtig gemacht zu haben. Die Vorwürfe von Kritikern werden als Versuch abgetan, ihre Glaubwürdigkeit zu beschädigen.

Ein Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission soll der Verwendung geheimer Herstellerstudien ein Ende setzen.
Einen Lerneffekt gab es hingegen bei der Europäischen Kommission. Die Kritik an der Verwendung geheimer Herstellerstudien für die Zulassung von Pestiziden beantwortete sie mit einem Gesetzesvorschlag, der dieser Geheimhaltung ein Ende setzen sollte. Das gibt Anlass zur Hoffnung, dass europäische Zulassungsbehörden zukünftig die Studien der Hersteller gewissenhafter prüfen als dies bei Glyphosat der Fall war. Denn von jetzt an wird eine kritische Prüfung durch unabhängige Wissenschaftler immer und jederzeit möglich sein!

Von
Helmut Burtscher-Schaden

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe 01/19 der Zeitschrift Wirtschaft&Umwelt.

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