Paketdienste: Beschäftigte ohne Lobby

Eine Paketzustellerin sitzt vor Paketen. Sie wirkt müde. Symbolbild für Paketdienste und ihre Arbeitsbedingungen.
Schlechte Arbeitsbedingungen? Für viele Paketzusteller trauriger Alltag. | © Adobestock/Drazen
Jede:r hat ein Packerl zu tragen – manche von uns aber gravierend mehr: Paketdienstleister haben selten Betriebsräte, die Fahrer:innen sind gewerkschaftlich kaum organisiert und leiden unter der Profitlogik der Branche. Das macht sie besonders anfällig für Ausbeutung.
Bis zu 17 Stunden täglich, ohne Pausen, für 5,20 Euro pro Stunde: So beschreibt der Standard Anfang April die Arbeitsbedingungen eines Paketzustellers in einem Depot des DPD-Gesellschafters Gebrüder Weiss Paketdienst (GWP) in Kalsdorf bei Graz. Der Standard beruft sich in seiner Recherche auf Gespräche mit Betroffenen und mehrere Hundert Seiten Dokumente, die ihm zugespielt wurden – darunter Fahrtenlisten, Stundenaufzeichnungen, Lohnzettel und Arbeitsverträge. Mehrere Fahrer:innen, mit denen der Standard gesprochen hat, würden von ähnlichen Bedingungen berichten: überlange Arbeitszeiten, keine Pausen, unbezahlte Überstunden, ausstehende Gehälter. Es ist von angeblichem Lohndumping und Sozialbetrug die Rede. DPD wies die Vorwürfe „strikt zurück“ und gab an, sämtliche Vorschriften einzuhalten. Der Fall DPD in der Steiermark ist kein Einzelfall. Seit Jahren häufen sich Berichte über Paketdienste und angeblich verheerende Arbeitsbedingungen. Wiederholt berichteten Medien über Fälle von vermeintlicher Ausbeutung, Lohn- und Sozialdumping bei Paketdienstleistern. Derlei Bedingungen wurden auch in mehreren Studien festgestellt, bei Gewerkschaften stapeln sich die Beschwerden. „Wir wissen seit mehreren Jahren um die Zustände in der Branche“, bestätigt Hans-Peter Weikl, Landessekretär der vida Steiermark.

Wenn die Zustände offenbar seit Jahren bekannt sind: Was macht es so schwer, dagegen etwas zu unternehmen? Und noch wichtiger: Wie lassen sich derlei Vorfälle zukünftig verhindern?

Am Ende der Kette

Läuft in einem Unternehmen etwas nicht rund, wäre die erste Anlaufstelle der Betriebsrat. „Leider sind Betriebsratsgremien im Güterbeförderungsgewerbe so gut wie nicht vorhanden“, erklärt Harald Berndorfer, Zentralbetriebsratsvorsitzender von Gebrüder Weiss Paketdienst (GWP), auf Nachfrage. Die einzelnen Paketzusteller:innen schließen ihre Arbeitsverträge mit einem Subunternehmen, nicht direkt mit DPD bzw. GWP ab. Diese sogenannten Frächter sind meist kleine Transportunternehmen mit zwei bis maximal 30 Angestellten. Als GWP-Betriebsrat könne er auf die Entscheidungen der Frächter keinen Einfluss nehmen, beklagt Berndorfer. Die Subunternehmen selbst haben selten bis nie Betriebsrät:innen. Das alles sei kein DPD-Spezifikum: Es betrifft die Branche als Ganzes.

Die Schwachstellen im System seien längst bekannt. Man müsse sie nur angehen – etwa mit einer Auftraggeberhaftung, fordert AK-Expertin Susanne Bauer.

Auch gewerkschaftlich sind die Betroffenen kaum organisiert. Fahrer:innen von Paketdiensten kommen häufig aus dem Ausland, sprechen kaum Deutsch, sind mit ihren Rechten wenig vertraut und wenden sich selten an die Gewerkschaft. „Sie haben kaum eine Lobby, die sich für ihre Interessen einsetzt“, fasst vida-Gewerkschafter Weikl zusammen.

Zur dürftigen Interessenvertretung gesellen sich strukturelle Faktoren. Derlei Arbeitsbedingungen seien „Ergebnis eines ungesunden Wettbewerbs“ der Paketdienste, bringt es Susanne Bauer, Leiterin der Marktforschung der Arbeiterkammer Steiermark, auf den Punkt. Dieser funktioniert nach dem Prinzip „Der Billigste gewinnt“: Ein großer, internationaler Logistikkonzern an der Spitze vergibt einen Auftrag an jenes Unternehmen, das die günstigsten Konditionen bietet. Dieser Auftragnehmer zerstückelt den Auftrag wiederum in Aufträge für einzelne Subunternehmen, die ihre Aufträge teils wiederum an Subunternehmen weitergeben. Im Endergebnis unterbieten sich die miteinander konkurrierenden Sub-, Subsub- und Subsubsub-Auftragnehmer:innen gegenseitig – zum Vorteil des Konzerns und zum Leidwesen der Subunternehmen. Am Ende der Kette stehen die Arbeiter:innen, die den Konkurrenzdruck am heftigsten zu spüren bekommen.

„Gründet Betriebsräte!“

Problematisch ist zudem, dass arbeitsrechtliche Vergehen sowie Lohn- und Sozialdumping vonseiten der Subunternehmen kaum Konsequenzen für den Konzern haben, der den Auftrag vergibt. Der Auftraggeber ist – nach derzeitiger Rechtslage – dafür nicht haftbar.

Wilfried Lehner, Leiter der Finanzpolizei im Bundesministerium für Finanzen, spricht von einer „komplexen Gemengelage an verschiedenen Bestimmungen“. Betrugsszenarien in der Paketbranche funktionierten in einem „Dreiklang von Steuer- und Sozialversicherungsbetrug und der Verletzung arbeitsrechtlicher Bestimmungen“. Inmitten dieser Gemengelage an Bestimmungen agiert die Finanzpolizei – was deren Arbeit äußerst komplex macht. Meist handle es sich um illegale Beschäftigung, teilweise illegale Beschäftigung (etwa, wenn Überstunden unversteuert in bar ausbezahlt werden) oder Scheinselbstständigkeit. Gerade Letztere ist für die Behörden schwierig nachzuweisen.

Sie haben kaum eine Lobby,
die sich für ihre Interessen einsetzt.

Peter Weikl, Landessekretär der vida Steiermark

„Wir versuchen mit regelmäßigen Kontrollen dagegenzuhalten und machen Schwerpunktaktionen bei einzelnen Logistikzentren“, bekräftigt Lehner. Zumindest „punktuell“ seien auch positive Veränderungen feststellbar. Betriebsrat Berndorfer fordert die Beschäftigten der Frächter auf, „so viele Betriebsratskörperschaften wie möglich zu organisieren“. Als Reaktion auf den „Fall DPD Kalsdorf“ gibt es in dem Logistikzentrum zudem seit Anfang Mai einen Ombudsmann, an den sich auch bei Subunternehmen beschäftigte Fahrer:innen wenden können. Sollte sich dieses Modell bewähren, wolle man es zukünftig auf sämtliche GWP-Depots ausweiten, erklärt Berndorfer.

Lösungen liegen auf dem Tisch

AK-Expertin Bauer pocht zudem auf eine „Auftraggeberhaftung“, wie sie – wenn auch in rudimentärer Form – in der Baubranche üblich ist. Eine solche verpflichtet Auftraggeber:innen, auf die Einhaltung sämtlicher gesetzlichen Standards zu achten – auch bei den Unternehmen, an die sie Aufträge weitergeben.

Ergänzend zur Auftraggeberhaftung fordert vida-Gewerkschafter Weikl eine Tachografenpflicht. Sobald sich ein Fahrzeug bewegt, werden dessen Daten gespeichert, und die Polizei hat bei Kontrollen die Möglichkeit, die Fahrerkarten auszulesen. Somit kann kontrolliert werden, ob Pausen und Lenkzeiten eingehalten werden. Auch hier gibt es bereits Vorbilder. Seit Mai 2006 müssen hierzulande sämtlich Güterfahrzeuge mit einem höchstzulässigen Gesamtgewicht von über 3,5 Tonnen einen digitalen Tachografen führen. „Technisch wäre das auch bei Paketdienstleistern leicht umsetzbar – schon morgen“, bekräftigt Weikl.

„Wir haben mittlerweile genug Wissen über die Schwachstellen im System“, ärgert sich AK-Expertin Bauer. „Es braucht nur den Willen, sie anzugehen.“

Über den/die Autor:in

Johannes Greß

Johannes Greß, geb. 1994, studierte Politikwissenschaft an der Universität Wien und arbeitet als freier Journalist in Wien. Er schreibt für diverse deutschsprachige Medien über die Themen Umwelt, Arbeit und Demokratie.

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