Nicht zuletzt: Nur gemeinsam sind wir frei

Kommentar von Sozialminister Alois Stöger Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz
Portrait von Alois Stoeger
Foto (C) ÖGB-Verlag/ Michael Mazohl
„Freiheit“ war und ist ein Kampfbegriff. Unter Freiheit haben Menschen immer schon Unterschiedliches verstanden und bisweilen diametrale Anliegen legitimiert.

Wenn man die derzeitigen Debatten in den USA über das Gesundheitssystem verfolgt, werden die Bruchlinien des Begriffs deutlich: Auf der einen Seite Barack Obama, der mit seiner Gesundheitsreform für Millionen von Menschen Sicherheit im Krankheitsfall geschaffen und sie damit von existenziellen Gefahren befreit hat.

Auf der anderen Seite Trump und die Republikaner, die diese Sicherheit nun wieder abschaffen, um den Menschen die Entscheidungsfreiheit zu geben, ob und wo sie krankenversichert sind – mit dem Haken, dass viele diese Freiheit aus finanziellen Gründen nicht nutzen können.

Praktisch nutzbare Möglichkeit

Es ist das Ringen zwischen einer nominellen Freiheit, die als theoretische Chance im Raum steht, und einer tatsächlichen Freiheit, die als praktisch nutzbare Möglichkeit ergriffen werden kann. Je mehr Sicherheiten man genießt, desto mehr Möglichkeiten entstehen für die Menschen. Sicherheit erhöht die Freiheitsgrade.

Europäische und österreichische Gewerkschaften haben sich immer dafür eingesetzt, die realen Entscheidungsmöglichkeiten der Menschen zu erweitern, indem kollektive Sicherheiten entwickelt wurden. Die Gewerkschaften haben gekämpft, um den Menschen die Ängste vor Krankheit, Unfall, Einkommenslosigkeit und Armut im Alter zu nehmen. So wurde die Sozialversicherung erstritten.

Nur angstfrei wirklich frei

Auch Kinderbetreuungseinrichtungen mussten erkämpft werden, um besonders Frauen die Möglichkeit zu geben, am Arbeitsleben teilnehmen zu können und damit ökonomische Autonomie zu erlangen. Das hat der Befreiung, der Emanzipation der Frauen einen kräftigen Schub gegeben. Letztlich kann nur eine angstfreie Gesellschaft frei sein. Das hat Österreich in seiner Geschichte deutlich spüren müssen. Gerade Zeiten der Verängstigung haben die Republik in den Niedergang geführt.

Heute entstehen mit neuen Arbeitsbedingungen neue Risiken und mögliche Ängste. So sind Neue Selbstständige im Krankheitsfall von Armut bedroht, und Menschen, die über Crowdworking-Plattformen Aufträge finden, gar nicht von unseren Sicherungssystemen erfasst. Es ist unsere Aufgabe, diesen neuen Risiken weitere kollektive Sicherheiten entgegenzusetzen. Davon hängt weit mehr als unser Sozialstaat ab. Bereits Johann Böhm hat die soziale Sicherheit, das „Vermögen des kleinen Mannes“, immer schon als integralen Bestandteil unserer Demokratie betrachtet. Ohne sie hängt Demokratie an einem seidenen Faden. Dieser Gedanke bekommt durch die neue autoritäre Rechte im Westen sowie durch den Brexit neue Bedeutung.

Unser neuer Auftrag ist es daher, soziale Sicherheiten nicht mehr nur national, sondern im europäischen Rahmen in den Vordergrund zu stellen. Wenn ArbeitnehmerInnen durch die Konkurrenz aus Billiglohnländern gefährdet sind, wenn Lohndumping nur mehr grenzüberschreitend bekämpft werden kann, wenn es internationale Spielregeln braucht, um digitale Arbeitsmodelle zu erfassen, dann darf auch der kollektive Schutz nicht mehr an der nationalen Grenze haltmachen.

Deshalb ist es wichtig, dass die Gewerkschaften in der Lage sind, kollektive Sicherheiten grenzüberschreitend durchzusetzen. Gleicher Lohn für gleiche Leistung am gleichen Ort: Das ist die zentrale Forderung, die wir mit Leben erfüllen müssen.

Seien wir kreativ!

Nutzen wir unser kreatives Potenzial, um den aktuellen Risiken, die man als Mensch, KonsumentIn oder als ArbeitnehmerIn trägt, kollektive Sicherheiten entgegenzusetzen und neue zu entwickeln. Davon hängt unser Gesellschaftssystem ab.

Von
Alois Stöger
Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 6/17.

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