Nicht im Sinn aller

Illustration (C) Natalia Nowakowska
Gold Plating reiht die Interessen der Wirtschaft und der Industrie an die erste Stelle. Eine Gesellschaft ist aber mehr als ein Wirtschaftsstandort. Ein Plädoyer für mehr sozialen Zusammenhalt und Solidarität.
In Österreich gibt es so etwas wie einen Nationalstolz darauf, dass es hierzulande kein Atomkraftwerk gibt. Dass eines gebaut wurde, wird im Rückblick als Verirrung gesehen. Dass die Bevölkerung der Inbetriebnahme der Anlage in Zwentendorf eine mehrheitliche Abfuhr erteilte, ist einer der Bausteine, aus denen das Label „umweltbewusstes Österreich“ über die Jahre zusammengezimmert wurde.

Mülltrennung, Recycling, aber auch eine starke Bio-Landwirtschaft sind weitere Mosaiksteine. Zu umweltbewusstem Wirtschaften gehören zum Beispiel auch niedrige Schadstoffgrenzen sowie Filteranlagen in der Industrie. Das Achten auf eine niedrige Schadstoffbelastung kommt allen in Österreich lebenden Menschen zugute – und zwar sowohl dem Einzelnen durch eine Verkleinerung des Erkrankungsrisikos als auch der gesamten Gesellschaft durch niedrigere Ausgaben für das Gesundheitssystem.

Mit der Argumentation von Gold Plating will die Regierung nun Regelungen, die EU-Vorgaben übererfüllen, sukzessive abschwächen.

Umweltschutzmaßnahmen kosten aber. Und wenn es um Kosten geht, sind Unternehmen rasch mit Klagen über Wettbewerbsnachteile und eine Gefährdung des Wirtschaftsstandorts zur Stelle. Bei der amtierenden ÖVP-FPÖ-Regierung stoßen sie damit auf offene Ohren. Mit der Argumentation von Gold Plating will diese nun Regelungen, die EU-Vorgaben übererfüllen, sukzessive abschwächen.

Gold Plating meint das Vergolden von Standards. Da schwingt Luxus mit, Unnötiges, das niemand braucht und teuer ist. So jedenfalls funktioniert das diesbezügliche Framing. Standards – ob im Umwelt-, aber auch im Sozialbereich oder in der Arbeitswelt – kommen aber allen zugute: Den ArbeitnehmerInnen, den KonsumentInnen, im Grunde allen hier Lebenden.

Ausrichtung nach den Wünschen der Wirtschaft

Dass die österreichische Regierung heute den Wünschen der Wirtschaft so wohlwollend gegenübersteht, kommt nicht von irgendwo. Das ist nicht nur mit den immer schon starken Verbindungen zwischen ÖVP und Wirtschaftskammer sowie Industriellenvereinigung zu erklären. Wie Frank Leidenmühler, Vorstand des Instituts für Europarecht an der Johannes Kepler Universität Linz, im Rahmen einer Studie für die Arbeiterkammer Wien herausarbeitete, wurde der Weg dafür innerhalb der EU bereits in den vergangenen Jahren entsprechend aufbereitet.

2007:

Aktionsprogramm zur Verringerung der Verwaltungslasten in der Europäischen Union

Zunächst setzte in der Europäischen Union ein Bemühen um die Vereinfachung und Verbesserung des Gesetzgebungsprozesses sowie der Qualität der Gesetzgebung ein. 2007 begann mit dem „Aktionsprogramm zur Verringerung der Verwaltungslasten in der Europäischen Union“ eine Richtungsänderung: Nun rückte die Frage, wie sich die Gesetzgebung auf den Wettbewerb auswirkt, in den Vordergrund. Zunehmend war vom Abbau administrativer Hürden für Klein- und Mittelbetriebe die Rede.

2012:

Programm REFIT als Instrument der Kostenreduktion für Unternehmen

Ab 2012 stellte die EU-Kommission ausdrücklich die Interessen der KMU in den Mittelpunkt ihrer Agenda – salopp zusammengefasst im Slogan „Vorfahrt für KMU“. Ihre Kosten sollten heruntergefahren werden. Mit dem Programm REFIT wurde dieser Schwenk schließlich besiegelt: Aus der Agenda einer besseren Rechtssetzung entstand ein Instrument der Kostenreduktion für Unternehmen.

„Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“ klingt in unser aller Ohren. Einerseits ist das natürlich richtig. Beschäftigung ist eine wesentliche Säule eines funktionierenden Staates. Die Frage ist nur: Geht es der Wirtschaft nur dann gut, wenn sie Profite maximiert? Geht es der Wirtschaft tatsächlich nur gut, wenn Kosten etwa für Umweltstandards, aber auch die Lohnnebenkosten drastisch heruntergefahren werden?

„Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“ – aber: Geht es der Wirtschaft nur dann gut, wenn sie Profite maximiert?

Sozialer Frieden ist ebenso wichtig für eine Gesellschaft wie ein Schulsystem, das allen Kindern Chancen eröffnet. Eine hohe Lebensqualität trägt nicht nur zum Wohlbefinden des Einzelnen bei, sie kommt allen zugute – und erhöht nicht zuletzt die Produktivität von ArbeitnehmerInnen. Wer sich nicht ständig unter Druck fühlt – zeitlich wie finanziell – arbeitet entspannter, motivierter, konzentrierter.

Was ist mit dem Miteinander passiert?

Mit der Arbeitszeitflexibilisierung hat die Regierung unter dem Label „Gold Plating“ bereits viel zum Schlechteren verändert. Der neue gesetzliche Rahmen setzt Beschäftigte unter Druck. Die Gewerkschaften versuchten und versuchen hier, in den Kollektivvertragsverhandlungen abzufedern. Der Einzelne wird sich aber immer schwerer tun, angeordnete Überstunden nicht zu machen. Neu war hier die Vorgangsweise, die Sozialpartner erst gar nicht zum Verhandlungstisch zu bitten.

Wenn nun nur mehr auf den Kostenfaktor geschaut wird, fällt vieles unter den Tisch.

Genau an diesem Verhandlungstisch wurden in den vergangenen Jahrzehnten allerdings oft Lösungen erzielt, die sowohl den Unternehmen als auch ihren MitarbeiterInnen halfen. Wenn nun nur mehr auf den Kostenfaktor geschaut wird, fällt vieles unter den Tisch, was Ergebnis zahlreicher Verhandlungen war, darunter auch Zugeständnisse der ArbeitnehmerInnenvertretungen.

Solidarität wird zunehmend als ideologischer Kampfbegriff diskreditiert.

Das Miteinander scheint völlig abhanden gekommen zu sein. Solidarität wird in Foren und sozialen Medien zunehmend als ideologischer Kampfbegriff diskreditiert. Eine Gesellschaft ohne Zusammenhalt zerbröckelt jedoch. Das kann in niemandes Interesse sein – auch nicht in jenem der Wirtschaft. Und schon gar nicht im Interesse der Regierung, die für das Wohl aller zu sorgen hat.

Über den/die Autor:in

Alexia Weiss

Alexia Weiss, geboren 1971 in Wien, Journalistin und Autorin. Germanistikstudium und Journalismusausbildung an der Universität Wien. Seit 1993 journalistisch tätig, u.a. als Redakteurin der Austria Presse Agentur. Ab 2007 freie Journalistin. Aktuell schreibt sie für das jüdische Magazin WINA sowie für gewerkschaftliche Medien wie die KOMPETENZ der GPA-djp oder die Gesunde Arbeit. 2022 erschien ihr bisher letztes Buch "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" (Verlag Kremayr & Scheriau).

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