Nach hinten losgegangen

(C) gitanna / Adobe Stock
Die Änderungen im Arbeitszeitrecht sollten eigentlich zu mehr Rechtssicherheit für die Unternehmer führen, die sich ja ständig vom Arbeitsinspektorat verfolgt sehen.
Eine Novelle ganz nach den Wünschen der Unternehmer, so lässt sich der 12-Stunden-Tag interpretieren. Zwei Ziele sollten erreicht werden: Erstens sollte es mehr Ausnahmen geben, damit Arbeitgeber besser über ihre Arbeitskräfte verfügen können. Zweitens sollten Unternehmer mehr Rechtssicherheit bekommen. Mehr Ausnahmen gibt es in der Tat, allerdings wirft das neue Gesetz sehr viele Fragen auf, weshalb alles andere als Rechtssicherheit gegeben ist.

Zunächst zu den Ausnahmen. Unter anderem sollten mehr ArbeitnehmerInnen als „leitende Angestellte“ aus dem Arbeitszeitrecht ausgenommen werden. In den Gesetzesmaterialien ist von einer Ausweitung auf die „dritte Führungsebene“ die Rede. Was hat sich nun konkret geändert? Bisher war das zentrale Merkmal für leitende Angestellte, dass ihnen „maßgebliche Führungsaufgaben selbstverantwortlich übertragen sind“, wie es im alten Gesetzestext hieß. Diese nähere Beschreibung fällt nun weg. Dafür kommt eine weitere Gruppe hinzu, nämlich „sonstige Arbeitnehmer“, auch sie müssen über „maßgebliche Entscheidungsbefugnis“ verfügen. An sich also wäre hier die Ausnahme erweitert worden, und zwar sogar ziemlich massiv.

Allerdings wurden noch weitere Kriterien in Sachen Zeitautonomie für diese Gruppe festgelegt: Die Arbeitszeit darf nicht gemessen werden, im Vorhinein festgelegt sein, oder die Einteilung muss zur Gänze in der Verfügung des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin liegen. Und dieses Kriterium bezieht sich auf die gesamte Arbeitszeit. Es reicht auch nicht aus, sie vertraglich zu vereinbaren. Die Zeitautonomie muss in der Art der Tätigkeit liegen.

Es fallen punktuell mehr ArbeitnehmerInnen aus dem Arbeitszeitrecht heraus, aber es fallen auch Menschen in das Arbeitszeitgesetz, die bisher ausgenommen waren.

Um eine Arbeitnehmerin bzw. einen Arbeitnehmer vollständig aus dem Arbeitszeitrecht auszunehmen, muss daher nicht nur die „maßgebliche Entscheidungsbefugnis“ gegeben sein. Sie müssen zusätzlich auch die vollständige Autonomie über die eigene Arbeitszeiteinteilung haben. Damit wird die anfängliche massive Ausweitung wieder ganz erheblich eingeschränkt. Um es mit einem Ex-Kanzler zu sagen: Es ist alles sehr kompliziert. Denn es fallen zwar punktuell mehr ArbeitnehmerInnen aus dem Arbeitszeitrecht heraus, da die Kompetenzen nicht mehr nur Führungsaufgaben umfassen dürfen.

Ausnahme der Ausnahme

Durch das zusätzliche Kriterium der Zeitautonomie fallen aber in Zukunft auch Menschen in das Arbeitszeitgesetz, die bisher ausgenommen waren. Eine Leiterin der Personalabteilung mit Gleitzeit samt Kernzeit zum Beispiel, die bisher als „leitende Angestellte“ gegolten hat, fällt nun hinein, weil sie keine vollständige Autonomie über ihre Arbeitszeiteinteilung hat.

Die angestrebte Ausweitung der Ausnahmen aus dem Arbeitszeitrecht ist da durchaus nach hinten losgegangen. Da zusätzlich auch Begrifflichkeiten und Systematiken vollständig verändert wurden, ist die bisherige Rechtsprechung zu diesem Thema hinfällig. Somit wird es wohl wieder einige Zeit dauern, bis in allen offenen Fragen rechtliche Klarheit herrscht. Rechtssicherheit sieht anders aus.

Von Freiwilligkeit steht natürlich nichts im Gesetz.

Ein weiterer Punkt, der wohl in erster Linie zur Verunsicherung beiträgt, ist die vor allem aufgrund der Proteste gegen die Novelle des Arbeitszeitgesetzes eingeführte, sogenannte Freiwilligkeit. Von Freiwilligkeit steht natürlich nichts im Gesetz. Vielmehr gibt es nun ein individuelles Recht, wonach ArbeitnehmerInnen es ablehnen können, mehr als zehn Stunden am Tag oder 50 Stunden in der Woche zu arbeiten, und zwar ohne dafür Gründe angeben zu müssen. Lassen wir einmal außer Acht, dass es in den meisten Fällen nicht sonderlich realistisch ist, dass ArbeitnehmerInnen dieses Recht tatsächlich in Anspruch nehmen können. Aber selbst wenn dies doch einmal der Fall sein sollte, so stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt man denn nun seine Weigerung bekannt geben muss.

Um es anhand eines konkreten Beispiels zu illustrieren: Wenn ich mich im Arbeitsvertrag schon zur Leistung von bis zu zwölf Stunden verpflichtet habe, kann ich später noch ablehnen? Oder kann ich im Vorhinein generell bekannt geben, dass ich in jedem Fall ablehne, mehr als zehn Stunden täglich zu arbeiten? Und wenn ich das nicht getan habe: Bis zu welchem Zeitpunkt muss ich meine Weigerung deponieren, ohne damit die Arbeitspflicht zu verletzen? Sprich: Wenn mir am Montag für Donnerstag Überstunden über die zehn Stunden angeordnet werden, muss ich dann gleich ablehnen, oder kann ich das noch am Donnerstag tun?

Spinnen wir dieses Beispiel noch weiter: Wenn mir angeordnet wurde, mehr als 50 Stunden zu arbeiten, und ich dem nicht widersprochen habe, aber nach der 51. Stunde merke, dass ich nicht mehr schaffe – kann ich dann jede weitere Stunde noch immer ablehnen und nach Hause gehen?

Fragen über Fragen

Dazu kommt noch ein weiteres Problem: Nachdem einzig bei der Anfechtung einer eventuellen Kündigung vorgebracht werden kann, dass diese wegen der Ablehnung der Überstunden erfolgt ist, werden wir wohl die entsprechenden Verfahren abwarten müssen, um auch hier auf eine entsprechende Rechtsprechung aufbauen zu können. Bis dahin herrscht auch in diesem Bereich Rechtsunsicherheit.

Wenn nun aber diese besonderen Überstunden, man möchte fast sagen Über-Überstunden, tatsächlich widerspruchslos geleistet wurden, hat uns der Gesetzgeber – auch infolge des Versuchs, die Grauslichkeiten zu versüßen – ein weiteres Rätsel aufgegeben. Denn im Unterschied zu den übrigen Überstunden, für die die Abgeltung in Geld oder Zeitausgleich im Vorhinein festgelegt werden kann und im Zweifel Geld gebührt, gibt es für die Über-Überstunden ein eigenes Wahlrecht. Für jede Stunde, die über die zehnte am Tag und die 50. in der Woche hinausgeht, dürfen sich die ArbeitnehmerInnen entscheiden, ob sie Geld oder Zeitausgleich haben möchten – und das ganz unabhängig davon, welche Regelung für sonstige Überstunden gilt.

Auch dazu ein Beispiel: Wenn im entsprechenden Kollektivvertrag für Überstunden gilt, dass diese immer auszuzahlen sind, kann ich dann für die Über-Überstunden trotzdem Zeitausgleich verlangen? Und wenn nun die Betriebsvereinbarung festlegt, dass für Überstunden Zeitausgleich gebührt: Kann ich für die Über-Überstunden trotzdem die Auszahlung in Geld verlangen? Und selbst wenn in meinem Arbeitsvertrag eine Überstundenpauschale oder ein All-in vereinbart ist, kann ich im konkreten Fall von Über-Überstunden trotzdem Zeitausgleich – und konsequenterweise weitergedacht sogar gesonderte Auszahlung – verlangen? Bis es dazu jedoch eine gefestigte Rechtsprechung gibt, wird wieder einige Zeit vergehen. Dies ist der nächste Punkt, in dem die Novelle vor allem Rechtsunsicherheit erzeugt.

Selbst wenn um den Umstand der Wahlmöglichkeit nicht gestritten wird, bleibt unklar, bis wann man dieses Wahlrecht konkret ausüben muss.

Doch selbst wenn um den Umstand der Wahlmöglichkeit nicht gestritten wird, bleibt unklar, bis wann man dieses Wahlrecht konkret ausüben muss. Das Gesetz spricht von „möglichst frühzeitig, spätestens jedoch am Ende des jeweiligen Abrechnungszeitraumes“. Wenn ich nun das Wahlrecht nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt ausübe, habe ich es dann verwirkt? Dass der Gesetzgeber das wollte, kann ihm nicht ernsthaft unterstellt werden. Somit bleibt das „möglichst frühzeitig“ wohl stilistisches Beiwerk ohne normative Wirkung.

Maßgeblicher Zeitpunkt bleibt also das Ende des jeweiligen Abrechnungszeitraumes. Aber auch das hilft nur bedingt weiter, weil dieses nicht in jedem Fall eindeutig zu identifizieren ist. Oft wird natürlich der Monat der Abrechnungszeitraum sein. Muss aber dann am letzten des Monats das Wahlrecht bereits ausgeübt werden oder erst einige Tage später, wenn die Stundenabrechnung abgegeben werden muss? Was geschieht, wenn das Wahlrecht nicht rechtzeitig oder gar nicht ausgeübt wird?

Vieles spricht dafür, dass dann im Zweifel die Auszahlung in Geld gebührt. Aber das ist keineswegs sicher. Denn einige JuristInnen führen gute Argumente dafür an, dass der Zeitpunkt „Ende des Abrechnungszeitraums“ eine reine Ordnungsvorschrift ist und der Gesetzgeber das Wahlrecht sicherstellen wollte, auch wenn dies erst nach diesem Zeitpunkt ausgeübt wird. Sicher wissen werden wir es erst dann, wenn sich der OGH diesbezüglich festgelegt hat. Das wird auch wieder einige Zeit dauern. Zeit, in der es auch in dieser Frage keine Rechtssicherheit gibt.

Vielleicht wäre mit mehr Zeit und der Einbeziehung der ArbeitnehmerInnen-Organisationen unterm Strich nicht nur ein inhaltlich besseres Gesetz herausgekommen. Vielleicht hätte man auch eines verabschiedet, das Rechtssicherheit in vielen Bereichen geschaffen und erhalten hätte – anstatt das Gegenteil zu bewirken.

Von
Martin Müller

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 2/19.

Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
martin.mueller@oegb.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

Sie brauchen einen Perspektivenwechsel?

Dann melden Sie sich hier an und erhalten einmal wöchentlich aktuelle Beiträge zu Politik und Wirtschaft aus Sicht der Arbeitnehmer:innen.

Mit dem Absenden dieses Formulars stimme ich der Verarbeitung meiner eingegebenen personenbezogenen Daten gemäß den Datenschutzbestimmungen zu.