ÖGB und WKO gegen gesetzlichen Mindestlohn in Österreich

arbeitsvertrag mit Geld darauf. Euro. Münzen undScheine. Symbolbild: Mindestlohn in Österreich.
Dank Kollektivverträgen ist der Mindestlohn in Österreich bereits geregelt. | © Adobe Stock/Wolfilser
Ein gesetzlicher Mindestlohn in Österreich würde mehr Beschäftigen schaden als nutzen, glaubt der ÖGB. Auch die WKO spricht sich dagegen aus.
Deutschland hat den Mindestlohn erhöht. Die EU eine entsprechende Richtlinie eingeführt und dabei die Nationalstaaten in die Pflicht genommen. Auch in Österreich kam die Debatte an, nachdem die burgenländische Landesregierung einen Mindestlohn für Landesangestellte angekündigt hatte. Doch in Österreich decken Kollektivverträge 98 Prozent des Arbeitsmarktes ab. Das ist der höchste Wert in Europa. Und Kollektivverträge (KV) sehen branchenspezifische Mindestlöhne vor. Die Notwendigkeit, daran etwas zu ändern, sehen in Österreich weder der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) noch die Wirtschaftskammer Österreich (WKO).

Mindestlohn in Österreich: Komplexität und weniger Verhandlungsspielraum

Die Befürworter eines gesetzlichen Mindestlohns meinen, der Staat könne mit einem Gesetz zum Mindesteinkommen Lohndumping und Armutsgehälter verhindern. Das liegt auf den ersten Blick im Interesse der Betroffenen, hat allerdings auch Haken. So wird nicht nur in die Tarifautonomie der Sozialpartner eingegriffen, die laut Europäischer Menschenrechtskonvention geschützt ist, sondern auch die Mindesteinkommensgestaltung durch langsame parlamentarische Prozesse ad absurdum geführt und dem Risiko von Wahlzuckerln ausgesetzt. „Das birgt einerseits die Gefahr, dass regelmäßige Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns nicht ökonomischen, sondern wahltaktischen und PR-Überlegungen folgt“, so Martin Müller, Arbeitsrechtsexperte des ÖGB.  Das zeige die Erfahrung in manchen Ländern. „Denn im Grund genommen kommt zu den Verhandlungspartnern ÖGB und WKO noch eine weitere Partei hinzu“, so Müller gegenüber Arbeit&Wirtschaft weiter.

Foto von der Demonstration gegen den 12-Stunden-Tag
Die hohe Abdeckung durch Kollektivverträge und die Sozialpartnerschaft machen einen Mindestlohn in Österreich unnötig.

„Es stellt sich die grundsätzliche Frage, was dadurch besser oder leichter würde. Schließlich hängen gesetzliche Regelungen immer von der jeweiligen Mehrheit im Nationalrat ab.“ Und Müller ergänzt: „Wie die Beispiele Griechenland, Spanien und Portugal zeigen, ist nicht gesagt, dass gesetzliche Mindestlöhne grundsätzlich immer steigen müssen. So setzte die Troika den gesetzlichen Mindestlohn hinunter.“

Auswirkungen von Mindestlohn in Österreich auf das System

„Bei Ländern mit hoher KV-Abdeckung hätte ein gesetzlicher Mindestlohn nicht nur positive Auswirkungen. Es würde sicherlich auch der gegenteilige Effekt eintreten. Sprich, dass die untersten Lohngruppen, die knapp über gesetzlichen Mindestlohn liegen, sich zusehends nach unten bewegen. Also in Richtung gesetzlichem Mindestlohn“, so Müller. Denn es wird Unternehmern zunehmend schwerer zu erklären sein, warum sie auch für einfachste Tätigkeiten mehr zahlen müssen, als selbst der Gesetzgeber als angemessen ansieht. Aufgrund der Hartz-4-Regelung hat der Mindestlohn in Deutschland eine ganz andere Bedeutung.

Eine gesetzliche Untergrenze ist nicht zwangsläufig eine Basis, von der aus nach oben verhandelt werden kann. „Das KV-System ist das zentrale Gestaltungsinstrument der Arbeitsbeziehungen und Trägergerüst der Sozialpartnerschaft. Grundsätzlich nutzen wir einen Verhandlungsspielraum innerhalb einer Branche, um die unteren Lohngruppen stärker anzuheben als die oberen Lohngruppen“, so Wolfgang Katzian, Präsident des ÖGB. Und mit Blick auf die galoppierende Inflation meint er: „Nur die kühnsten Optimisten werden davon ausgehen, dass ein gesetzlicher Mindestlohn über dem Inflationswert angepasst wird und auch noch stärker steigt als der Tariflohnindex. Der Kollektivvertag ist aus unserer Sicht das weitaus wirkungsvollere Instrument im Kampf gegen die Erwerbsarmut.“ Im Interview mit Arbeit&Wirtschaft erklärt er, wie die Verhandlungen in Inflationszeiten gelingen können.

WKO setzt sich für österreichisches Modell ein

Nicht nur der ÖGB ist grundsätzlich von der Sozialpartnerschaft in Österreich und dem KV-System überzeugt. Auch Rolf Gleißner unterstützt das hiesige Konstrukt. Er ist Leiter der Abteilung für Sozial- und Gesundheitspolitik in der WKO. „Die Lohnpolitik ist bei den Sozialpartnern in guten Händen, zumal Österreich mit 98 Prozent die höchste Tarifbindung hat, vor allem aufgrund der gesetzlichen Mitgliedschaft zur Wirtschaftskammer. Es gibt daher keinen Bedarf an gesetzlichen Eingriffen“, führt er aus. Fällen von Lohndumping in Österreich muss dennoch entschlossen entgegengetreten werden.

Gleißner betont, dass die EU-Vorgaben nur bei sehr geringe Tarifbindung greifen würden. Die Sozialpartner:innen in Österreich hätten dadurch mehr Spielraum. „Es ist gut, wenn die Rolle der Sozialpartner in der Lohnpolitik auch in anderen Ländern gestärkt wird. Gerade in Zeiten der Teuerung erfordert die Lohnpolitik Augenmaß, weil Kaufkraft und internationale Wettbewerbsfähigkeit berücksichtigt werden müssen.“

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