Langzeit-Geduldsprobe

Fotos (C) Michael Mazohl, Konzept & Produktion: Thomas Jarmer
Ein gutes Leben, egal welches Geschlecht? Davon kann leider noch keine Rede sein: Noch immer verdienen Frauen weniger als Männer, arbeiten häufiger unbezahlt, haben weniger Freizeit, stoßen an gläserne Decken und müssen gegen Vorurteile kämpfen.
Immer noch meinen viel zu viele Menschen, Frauen vorschreiben zu müssen, was sie unter „gutem Leben“ zu verstehen hätten: zu Hause bei den Kindern bleiben, den Männern den Rücken frei halten. Bei allen Fortschritten schwingt dieser altmodische Anspruch weiterhin in vielen Debatten mit. Hartnäckig hält sich auch dieses Vorurteil: Weil mehr Frauen arbeiten, verwahrlosen die Kinder immer mehr. Die Rabenmutter eben. Dabei sollte es den Frauen selbst überlassen sein, was für sie ein gutes Leben ist. Stichwort Wahlfreiheit.

Fortschritte bei der Gleichstellung von Frauen werden nur im Schneckentempo erzielt.

Betrachtet man genauer, ob es denn ein geschlechtergerechtes Leben in Österreich gibt, so muss man ernüchtert feststellen: Fortschritte bei der Gleichstellung von Frauen werden nur im Schneckentempo erzielt – und zwar weltweit und nicht nur auf Österreich bezogen. Doch hierzulande müssen Frauen wohl besondere Geduld und FrauenpolitikerInnen einen besonders langen Atem haben. Schließlich findet sich Österreich in puncto Gleichstellung im internationalen Vergleich seit Jahren auf den hinteren Rängen; die Lohnschere bewegt sich kaum. Beim Gender Pay Gap liegen wir mit 19,9 Prozent fast vier Prozentpunkte über dem EU-Durchschnitt. Beim „Women in Work“-Ranking der Wirtschaftsberatung PwC belegt Österreich nur Rang 25 unter 33 OECD-Ländern. Im Jahr 2000 waren wir noch auf dem 13. Platz. Zwei Frauenvolksbegehren – das letzte im Jahr 2018 haben immerhin fast eine halbe Million Menschen unterzeichnet – haben so gut wie nichts gebracht. Immerhin, seit Jänner 2018 gilt die Quotenregelung für Aufsichtsratsgremien. Die 30 Prozent Frauenanteil sind noch nicht erreicht, im Oktober 2018 lag Österreich mit 26 Prozent noch immer unter dem EU-Schnitt. Noch deutlich geringer ist der Frauenanteil übrigens in Vorständen und Geschäftsführungen.

Ungleiche Chancen

Nun mag sich die realistische Chance auf einen Sitz im Aufsichtsrat oder im Vorstand nicht automatisch in Zusammenhang mit gutem Leben aufdrängen. Allerdings, für Männer sind derartige Ambitionen durchaus selbstverständlich. Benachteiligung und Chancenungleichheit für Frauen ziehen sich durch alle Einkommens-, Alters- und Bildungsschichten. Da ist die alleinerziehende Mutter, die aufs Land gezogen ist, weil dort die Mieten billiger sind. Wochentags bringt sie zuerst ihre Kinder zur Schule, dann pendelt sie mit dem Bus in die Stadt zur Arbeit. Mit ihrem Gehalt kommt sie nur knapp über die Runden. Müdigkeit und ein schlechtes Gewissen sind fast schon ständige Begleiter. Ohne die tatkräftige Unterstützung beider Omas wäre sie verloren. Kein Einzelschicksal: Ein-Eltern-Haushalte – fast ausschließlich Frauen mit ihren Kindern – haben mit rund 30 Prozent das höchste Armutsrisiko aller Haushaltstypen.

Benachteiligung und Chancenungleichheit für Frauen ziehen sich durch alle Einkommens-, Alters- und Bildungsschichten.

Neben ihr im Bus in die Stadt sitzt die Pensionistin, die zwei Kinder aufgezogen hat, sich um Eltern und die Schwiegermutter gekümmert hat. Sie hat oft „nebenbei“ gearbeitet, entsprechend niedrig ist jetzt ihre Pension. Oder die Akademikerin, die lange auf eine Führungsposition hingearbeitet hat und dann an (unausgesprochenen) Vorbehalten und Widerständen scheitert.

Lieber keine Chefin

Eine Studie der Uni Düsseldorf mit mehr als 1.500 Studierenden zeigte kürzlich, dass selbst unter jungen Menschen noch Vorurteile gegenüber weiblichen Führungskräften bestehen, sie werden nur seltener als früher laut ausgesprochen. So haben nur 23 Prozent der Teilnehmenden in einer direkten Befragung Vorbehalte gegenüber weiblichen Führungskräften eingeräumt. Bei einer zufallsverschlüsselten, anonymen Befragung waren es mit 37 Prozent sogar noch deutlich mehr. Wobei sich zeigte, dass Männer wesentlich weniger Hemmungen hatten, ihre Vorbehalte offen zu äußern. Bei den weiblichen Befragten waren es nur 10 Prozent, während bei der anonymen Befragung 28 Prozent Bedenken gegen weibliche Vorgesetzte hatten.

Dass die Beschäftigungsquote von Frauen mit über 68 Prozent derzeit knapp neun Prozentpunkte unter der von Männern liegt, ist hauptsächlich dem hohen Teilzeitanteil geschuldet.

Dass die Beschäftigungsquote von Frauen mit über 68 Prozent derzeit knapp neun Prozentpunkte unter der von Männern liegt, ist hauptsächlich dem hohen Teilzeitanteil geschuldet. 47,5 Prozent der berufstätigen Österreicherinnen haben keinen Vollzeitjob. Dabei wünschen sich viele Eltern eine bessere Aufteilung der Erwerbsarbeit. Vollzeitbeschäftigte, die in der Regel nicht selten auch regelmäßig Überstunden machen, wünschen sich oft eine Reduktion der Arbeitszeit, während viele Teilzeitkräfte gerne etwas mehr arbeiten bzw. verdienen würden. Denn laut der aktuellen Verdienststrukturerhebung von Statistik Austria sind die Stundenlöhne von Teilzeitbeschäftigten durchwegs niedriger als bei Vollzeitbeschäftigten.

„Objektiv betrachtet“, so Sybille Pirkl­bauer, AK-Expertin für Gendergerechtigkeit und Familienförderung, „müssten weibliche Beschäftigte mehr verdienen als männliche. Denn mittlerweile haben deutlich mehr Frauen als Männer Matura oder einen akademischen Abschluss.“

Gebildet und schlecht bezahlt

„Objektiv betrachtet“, so Sybille Pirkl­bauer, AK-Expertin für Gendergerechtigkeit und Familienförderung, „müssten weibliche Beschäftigte mehr verdienen als männliche. Denn mittlerweile haben deutlich mehr Frauen als Männer Matura oder einen akademischen Abschluss. Frauen arbeiten außerdem häufiger in großen Unternehmen, die üblicherweise höhere Gehälter und Löhne zahlen.“ Dass dem aber nicht so ist, ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass Frauen immer noch benachteiligt werden. Es greift eindeutig zu wenig weit, wenn behauptet wird, Frauen wären am Gender Pay Gap selbst schuld, weil sie zu zurückhaltend und nicht forsch genug sind, ihre Kinder nicht loslassen können, sich zu wenig für Technik interessieren etc. Abseits davon wirft Pirklbauer die Frage auf: „Warum wird Care-Arbeit so viel schlechter bezahlt als das Jonglieren mit Zahlen und Aktien, das Erfinden von Werbeslogans und Ähnliches?“

Die alte Forderung nach besserer Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist trotz einiger Verbesserungen nach wie vor aktuell.

Die alte Forderung nach besserer Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist trotz einiger Verbesserungen nach wie vor aktuell: (Betriebs-)Kindergärten mit ausgedehnten Öffnungszeiten, flexible Arbeitszeiten entsprechend den Bedürfnissen der ArbeitnehmerInnen, mehr Möglichkeiten für Väter, sich aktiv, intensiv und langfristig an der Kinderbetreuung zu beteiligen etc., könnten die Situation von Frauen in der Arbeitswelt merklich verbessern. Manche großen Unternehmen bieten sogenannte Double-Career-Programme, mit denen verhindert werden soll, dass nach der Geburt eines Kindes ein Elternteil – in der Regel die Mutter – beruflich zurückstecken muss. Das kann von der Organisation der Kinderbetreuung über die Hilfe bei der Wohnungssuche bis hin zu einem konkreten Arbeitsplatzangebot für den Partner im gleichen Unternehmen reichen. Neben einer höheren Motivation der MitarbeiterInnen erhoffen sich Arbeitgeber von diesen Maßnahmen auch Vorteile im Wettbewerb um qualifizierte Fach- und Führungskräfte.

Landflucht bremsen

Nicht unbedingt große Karrierepläne, sondern eher pragmatische Gründe veranlassen viele junge Menschen, vom Land in die Stadt zu ziehen. In der Altersgruppe zwischen 18 und 26 finden sich überproportional viele Frauen. Hauptabwanderungsgründe der jungen Frauen sind ungünstige berufliche Perspektiven, deutlich schlechtere Verdienstmöglichkeiten als jene der Männer, lange Wege und Autoabhängigkeit, Fehlen von adäquaten Freizeitangeboten (das Vereinsleben ist meist männerdominiert), eingeschränkte Vereinbarkeit von Familie und Beruf durch unzureichende Kinderbetreuungsmöglichkeiten, aber auch Konflikte mit traditionellen geschlechtsspezifischen Rollenbildern.

Für jene Frauen, die auf dem Land bleiben, stehen die Jobchancen oft schlecht.

Für jene Frauen, die auf dem Land bleiben, stehen die Jobchancen oft schlecht: MitarbeiterInnen von AMS, Beratungs- und Schulungsorganisationen beobachten, dass Frauen in ländlichen Regionen überdurchschnittlich häufig unter ihrem Ausbildungsniveau beschäftigt sind. Wie weit durch die Digitalisierung attraktive Jobs für qualifizierte Frauen auf dem Land möglich sind, untersuchte kürzlich ein Entwicklungsprojekt im Auftrag des Sozialministeriums. Zur theoretischen und praktischen Auseinandersetzung mit dieser Frage wurden auch Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern einbezogen. Die Ergebnisse und Empfehlungen des Endberichts: Der flächendeckende Breitbandausbau ist dringend nötig. Schulungs- und Sensibilisierungsmaßnahmen für Beschäftigte und Führungskräfte können dazu beitragen, Vorteile von Telearbeit & Co. besser nutzen zu können und potenzielle Nachteile zu minimieren. Um eine Win-win-Situation für Arbeitsuchende und Unternehmen zu ermöglichen, kann durch staatliche Initiativen, nationale Strategien und/oder Vereinbarungen der Sozialpartner ein verbindlicher Rahmen erstellt werden für spezifische Regelungen jener Unternehmen, die Telearbeit vergeben möchten.

Es muss den Menschen selbst überlassen sein, was sie unter „einem guten Leben“ verstehen.

Zurück zum guten Leben und den Geschlechtern: Wahlfreiheit und Gleichstellung müssen zentrale Ansprüche in diesem Zusammenhang sein. Denn es muss den Menschen selbst überlassen sein, was sie unter „einem guten Leben“ verstehen. Wenn für eine Frau Beruf und Karriere genauso wie die Familie dazugehört, so muss es den Paaren (ja, auch den Männern!) möglich sein, diese Dimensionen miteinander zu vereinbaren. Gleichstellung ist unumgänglich, denn es kann nicht sein, dass eine Leistung schlechter bezahlt wird, nur weil sie von einer Frau erbracht wurde. Ob bei der Wahlfreiheit oder bei der Gleichstellung: Hier gibt es weiterhin viel zu tun.

Von
Astrid Fadler
Freie Journalistin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/19.

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