Öffentliche Daseinsvorsorge: Stabilität in der Krise

Illustration Daseinsvorsorge
Illustrationen (C) Adobe Stock / Montage
So wichtig wie in den vergangenen Wochen waren gute Spitäler, verlässliche Wasser- und Stromversorgung, Parks und Grünanlagen in unmittelbarer Nähe des Wohnortes selten. Um auf diese öffentlichen Dienstleistungen auch in Zukunft bauen zu können, müssen sie gestärkt werden.
Beim Start der drastischen Maßnahmen gegen die Verbreitung des Virus waren die Menschen erschüttert. Einige reagierten mit Hamsterkäufen, viele mit Angst und dem absoluten Rückzug in die eigenen vier Wände. Nachdem rasch geklärt war, dass die Lebensmittelversorgung aufrechtbleiben würde, fragten sich viele, wie sicher denn das Gesundheitssystem und die Energie- und Wasserversorgung ist, ob der Müll abgeholt wird und ob man noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren darf. Nach der Sorge um den Arbeitsplatz und das persönliche Einkommen sind die Sorge um die öffentliche Infrastruktur und wie es mit Pflege, Schule und Ausbildung weitergeht, die dominierenden Themen der Pandemie-Krise. Und plötzlich rückten auch die Beschäftigten, die für die kritische Infrastruktur, für die Daseinsvorsorge arbeiten, in den öffentlichen Fokus. Kassierer*innen im Supermarkt wurden freundlich angelächelt, Ärzt*innen und Pflegepersonal in Krankenhäusern erhielten Applaus, und im Fernsehen gab es Berichte über die Held*innen der Energieversorgung und über Sonderzüge mit Pfleger*innen aus Rumänien.

Die Corona-Krise zeigt, wie wichtig eine gut funktionierende Grundversorgung, insbesondere auch Gesundheitsversorgung, ist. Jene, die seit Jahren im öffentlichen Bereich den Sparstift ansetzen wollten, wurden eines Besseren belehrt. Es gibt aber bereits wieder Rufe nach Einsparungen im öffentlichen Bereich. Warum das ein kurzsichtiger Blick ist, wird im folgenden Beitrag aufgezeigt.

Nach dem ersten Schock über exponentielle Infektionskurven und leergefegte Straßen und Plätze stellte sich eine gewisse Erleichterung bei vielen Österreicher*innen über das im internationalen Vergleich sehr gute Gesundheits- und Sozialsystem ein. Die letzten Wochen zeigten, wie gut die Gesundheitsversorgung und die kritische Infrastruktur hierzulande funktionieren. Damit die öffentliche Infrastruktur weiter funktioniert, haben viele Beschäftigte nicht nur in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen auch persönliche Opfer gebracht und ihre eigene Gesundheit riskiert.

53 Mitarbeiter der Wien Energie gingen vorsorglich in Isolation, um die Stadt weiterhin mit Strom und Fernwärme zu versorgen. Die Krise führte uns vor Augen, wie wichtig Parks und fußläufig erreichbares Grün in der Nähe des Wohnortes sind. Warum die Bundesgärten über Wochen geschlossen werden mussten, kann objektiv betrachtet kaum nachvollzogen werden und ist eher dem bereits beginnenden Wiener Wahlkampf zuzuschreiben, ebenso wie die überschießende Aufregung einiger Regierungsmitglieder über die Infektionscluster in Postverteilzentren.

Wohin Liberalisierung …

Die „gelbe Post“, die zu den öffentlichen Dienstleistungen der Daseinsvorsorge zählt, ist seit vielen Jahren EU-weit der Liberalisierung und Privatisierung ausgesetzt. Nach der Trennung vom Telekom-Bereich (heute im mehrheitlichen Besitz des mexikanischen Privatunternehmens America Movil) und vom Postbus (heute Teil der ÖBB Holding) wurde die Österreichische Post AG 2006 an die Börse gebracht und privatisiert. Heute sind nur mehr 52,9 Prozent der Post im Eigentum der Republik, und überall wird der Sparstift angesetzt. Dass es gerade in den Postverteilzentren zu vielen COVID-19-Fällen kam, ist keine Überraschung. Im Zentrum Hagenbrunn (NÖ), das erst 2019 eröffnet wurde, sind auch sonst aus Kostengründen die Hälfte der Mitarbeiter*innen nicht bei der Post selbst, sondern bei Leiharbeitsfirmen angestellt. Sie sind billiger und haben wenig Kündigungsschutz. Viele dieser Arbeitnehmer*innen gehen aus Angst um ihren Arbeitsplatz und wegen mangelnder sozialer Absicherung auch krank in die Arbeit. In Zeiten einer Pandemie nicht nur für die Betroffenen eine gefährliche Sache.

Die Corona-Krise führt uns vor Augen, wozu jahrelange Sparmaßnahmen und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen in vielen Ländern Europas führen. Insbesondere nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 wurde in vielen Bereichen der Daseinsvorsorge – auch im Gesundheitssystem – optimiert und eingespart.

… und ein neoliberales Spardiktat führen

Die Corona-Krise führt uns vor Augen, wohin jahrelange Sparmaßnahmen und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen in vielen Ländern Europas führen. Insbesondere nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 wurde in vielen Bereichen der Daseinsvorsorge – auch im Gesundheitssystem – optimiert und eingespart. Die irische Ökonomin Emma Clancy fand in den letzten acht Jahren 63 Fälle, in denen die Europäische Union Mitgliedstaaten offiziell zu Kürzungen im Gesundheitssystem aufrief. Ähnliche Sparaufrufe gab es auch für andere Bereiche, wie zum Beispiel zur Privatisierung von Wasser oder zu Einschränkungen bei der Arbeitslosenversicherung. Daher wurden Ausgaben für das Spitalswesen z. B. in Italien, Spanien und Griechenland nach der Finanzkrise drastisch gesenkt, um die Anforderungen der europäischen Sparprogramme erfüllen zu können. Diese Länder litten besonders unter der aktuellen Gesundheitskrise.

Die Heldinnen und Helden der Arbeit brauchen kein Denkmal. Sie brauchen gute Arbeitsbedingungen, faire Einkommen und Zugang zu sozialstaatlichen Leistungen.

Renate Anderl, AK-Präsidentin

Länder wie Österreich, die seit Jahren in den öffentlichen Sektor investieren, können diese Krise um einiges besser bestehen. Jüngst hat selbst die Präsidentin des österreichischen Rechnungshofes angeregt, die Empfehlungen der letzten Jahre, die eine Sparpolitik beim Gesundheitswesen vorsahen, zu überdenken. Dem Lob an das tolle System folgte aber bald wieder der Ruf nach Einsparungen. Neoliberale Gesundheitsökonomen forderten nach dem Höhepunkt der Krise umgehend, die Anzahl der Intensivbetten zu reduzieren. Die Gefahr ist groß, dass wie bereits vor 12 Jahren in der Bankenkrise die falschen Schlüsse gezogen werden. Die Krise verursacht dramatisch hohe Kosten, und der Ruf, die Staatsverschuldung abzubauen und zu privatisieren, wird wohl nicht lange auf sich warten lassen. Stattdessen müsste das Systemversagen, das sich an zu wenig Personal, fehlenden Betten und Beatmungsgeräten in vielen Ländern zeigte, durch öffentliche Investitionen in die kritischen Infrastrukturen und Dienstleistungen bekämpft werden. Dabei müsste gerade jetzt allen verantwortungsvollen Politiker*innen klar sein, dass ein krisenfester Weg nur in der Stärkung und im Ausbau öffentlicher Dienste und Infrastrukturen mit ausreichendem Personal und guten Arbeitsbedingungen liegen kann.

Rückgrat unserer Gesellschaft

Der rigide Sparkurs für kommunale und nationale Haushalte nach der Finanzkrise von 2008 darf nicht wiederholt werden. Öffentliche Dienstleistungen bilden das Rückgrat unserer Gesellschaft und halten sie am Laufen. Sie benötigen gerade dann ausreichende Finanzierung, wenn diese Pandemie überwunden ist, weil auch öffentliche Unternehmen und Einrichtungen drastische Einnahmenausfälle zu verkraften haben. Dringend nötig sind das Aussetzen des Stabilitäts- und Wachstumspakts und weitere Maßnahmen auf EU-Ebene. Es ist Zeit für eine goldene Investitionsregel, damit der Bau von Schulen, Kindergärten und Pflegeheimen oder die Investitionen in die Wasser- und Stromversorgung sowie in den öffentlichen Verkehr nicht länger als Staatsschulden angerechnet werden. Ganz abgesehen davon, dass diese Investitionen auch einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten sollen.

Kommunen und Sozialstaat stärken

Eine aktuelle Studie von Trans­national Instituts (TNI) zeigt auf, dass die Privatisierung von Wasser, Strom, Kindergärten etc. kläglich gescheitert ist. Sie sammelt über 1.400 erfolgreiche Fälle von Rückführungen privater Dienstleistungen in die öffentliche Hand. Allein in Europa wurden mehr als 900 Rekommunalisierungen in über 20 Ländern aufgezeigt. Vor allem die negativen Erfahrungen mit der Privatisierung, wie geringere Investitionen in die Infrastruktur, schlechtere Arbeitsbedingungen, höhere Preise oder Kontrollverluste, brachten Städte und Gemeinden dazu, Strom, Wasser, Müll, Kindergärten oder Spitäler wieder selbst zu betreiben.

Viele Bereiche der Daseinsvorsorge werden von den Städten und Gemeinden getragen. Aktuelle Prognosen in Österreich gehen von einem Minus bis zu 2 Mrd. Euro aus. Helfen kann dabei direkte finanzielle Unterstützung wie die angekündigte Milliarde für Städte und Gemeinden auf nationaler Ebene, die aber nicht an der mangelnden Liquidität mancher Gemeinden für die Kofinanzierung scheitern darf. Daher muss das Investitionsprogramm von kurzfristigen Entlastungsmaßnahmen zur Sicherung der Liquidität der Gemeinden begleitet werden.

Jetzt gehe es darum, den Sozialstaat zu stärken, die Arbeitslosigkeit zu senken und die Wirtschafts- und Klimakrise zu überwinden. Die AK hat dazu ein Investitionspaket vorgestellt, in dem unter anderem ein umfassender Ausbau der öffentlichen Infrastruktur gefordert wird. Alle, die jetzt den Sozialstaat und die Daseinsvorsorge loben, sollen dies bei den Lohnverhandlungen im Herbst nicht vergessen – und auch die Medien und Politiker*innen mögen sich dann noch daran erinnern. Denn wir brauchen auch gute Lohnabschlüsse und gute Arbeitsbedingungen, um den sozialen Zusammenhalt und die Wirtschaft wieder zu stärken.

Öffentliche Unternehmen der Daseinsvorsorge und Kommunen dürfen nicht die Corona-Verlierer sein, während private Konzerne mit Bundesmitteln gerettet werden.

Ein Beitrag von

Iris Strutzmann
Agrarwissenschafterin und Mitarbeiterin der Abteilung Umwelt und Verkehr der AK Wien

Sylvia Leodolter
Leiterin der Abteilung Umwelt und Verkehr der AK Wien

Über den/die Autor:in

Wirtschaft & Umwelt

In Kooperation mit Wirtschaft&Umwelt – das Magazin für fundierte wirtschaftliche Grundlagen auf den Gebieten Ökologie, Umweltökonomie, Umweltpolitik und Verkehrspolitik.

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