Mit Verfassungsklage zur Kehrtwende

Die Bevölkerung hat ein Recht darauf, vor der Klimakatastrophe geschützt zu werden, sagt Greenpeace. Neue Gesetze müssen klimafreundlich gestaltet, alte repariert werden – und die Umweltschutzorganisation reicht eine dementsprechende Verfassungsklage ein. Sophie Lampl, Direktorin für Kampagnen und Kommunikation bei Greenpeace Österreich im Interview.

Jetzt wird geklagt. Greenpeace bereitet gerade in Zusammenarbeit mit JuristInnen rechtliche Schritte gegen die Verletzung der Grundrechte durch die Klimakrise vor. Die Auswirkungen der Klimakatastrophe bedrohen unter anderem das Recht auf Leben und auf Achtung des Privat- und Familienlebens, so die Einschätzung der UmweltschützerInnen und JuristInnen.

Greenpeace will noch diesen Herbst mit Betroffenen beim Verfassungsgerichtshof Klage gegen klimaschädliche Gesetze einreichen. Ziel ist es, österreichisches Recht klimafreundlich zu gestalten und die ÖsterreicherInnen vor Schäden durch die Erderhitzung zu schützen, so Greenpeace.

Wir haben mit Sophie Lampl, Direktorin für Kampagnen und Kommunikation bei Greenpeace Österreich, über die Hintergründe zur Klage gesprochen.

Zur Person
Sophie Lampl ist seit November 2017 bei Greenpeace tätig, zuerst für Public Affairs, seit Mai 2019 als Direktorin für Kampagnen und Kommunikation bei Greenpeace Österreich. Zuvor war sie als Pressesprecherin im Verkehrsministerium tätig.
Was sind die größten Bedrohungen für das Klima?

Sophie Lampl: Die größte Bedrohung für das Weltklima ist, wenn wir so weitermachen wie bisher. Der Weltklimarat hat einen Report herausgebracht, wo er klar sagt: Wir haben noch elf Jahre Zeit, um die Treibhausgase zu halbieren und damit die Klimaziele zu erreichen, die Klimakatastrophe zu verhindern.

Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird uns das nicht gelingen – ganz im Gegenteil. Es braucht es eine Kehrtwende, das heißt: Raus aus Öl. Wir brauchen eine Verkehrswende – saubere Mobilität – und wir müssen natürlich auf saubere Energien umsteigen.

Das heißt: Sonne, Wasser und Wind statt Kohle, Gas und Erdöl.

Wen trifft die Klimakatastrophe bereits?

Auf der einen Seite sehen wir natürlich, dass es die am härtesten trifft, die zum Beispiel auf Inseln leben, entlang der Küste, wo Meeresspiegel steigen und damit ganze Inseln verschwinden werden.

Es sind natürlich auch die Dürren und Hitzen in den Ländern Afrikas, die für Ernteausfälle und Hungersnöte sowie für Wassermangel sorgen. Wir brauchen nicht nur in die Ferne zu schauen, sondern wir spüren die Auswirkungen auch schon hier in Österreich. Wir kämpfen mit Dürren, die die Existenzen unserer Bäuerinnen und Bauern bedrohen. Wir haben Überschwemmungen und Stürme, die Häuser und Wälder zerstören und die Gemeinden einiges kosten. Und die Gletscher schmelzen uns weg.

Wenn man zum Beispiel vergleicht: In Österreich steigt die Temperatur deutlich stärker als anderswo. Im weltweiten Durchschnitt liegen wir bei einem Grad plus im Moment, in Österreich sind es zwei. Das ist doppelt so viel. Wenn man das jetzt umlegen würde auf Körpertemperatur, könnte man sagen: von 37 Grad Normaltemperatur auf 39 Grad, das ist eigentlich hohes Fieber. Wenn wir so weitermachen, dann heißt das, dass in ein paar Jahrzehnten in Wien vergleichbare Bedingungen herrschen wie jetzt in Dakar.

Das heißt: Wir sehen es auf den Inseln, bei den Küsten in Afrika, aber wir spüren es auch schon heute in Österreich.

Was können die und der Einzelne beitragen?

Jeder Einzelne und jede Einzelne kann einiges tun. Man muss auch sagen, ganz viele Leute in Österreich bemühen sich schon, klimafreundlich unterwegs zu sein. Da geht es zum Beispiel darum, das Auto stehen zu lassen und auf die Öffis umzusteigen. Es geht darum, nicht die Äpfel aus Lateinamerika, sondern regional zu kaufen, aus der Steiermark zum Beispiel. Oder auf Plastik zu verzichten.

Gleichzeitig kann nicht die Verantwortung einfach auf die einzelnen Personen abgeschoben werden, sondern in Wahrheit muss man die großen Player in die Pflicht nehmen. Das ist die Politik und das ist die Wirtschaft. Es liegt an der Politik, die Rahmenbedingungen und auch die Möglichkeiten zu schaffen, damit sich die Leute überhaupt klimafreundlich verhalten können.

Auf der einen Seite zum Beispiel zu investieren in eine Verkehrsinfrastruktur, Öffis auszubauen, Radwege zu stärken. Auf der anderen Seite etwa finanziell zu unterstützen sowie einen Klimaschutz-Bonus für alle, damit man sich auch tatsächlich klimafreundlich verhalten kann. Drittens geht es natürlich um klare und strenge Vorgaben für die Unternehmen, damit die Wirtschaft CO2-neutral wird.

Das heißt: Ja, wir alle können sehr viel tun, aber in Wahrheit geht es darum, die Politik und die Wirtschaft zur Verantwortung zu ziehen.

Welche Rolle spielen neue Technologien?

Neue Technologien helfen, das ist klar. Aber was man auch sagen muss: Es ist kein Allheilmittel.

Wir sehen das jetzt zum Beispiel beim Strom oder auch im Verkehr. Natürlich hilft es, wenn wir auf E-Autos umsteigen. Doch es sollten nicht einfach alle Benziner und Diesel-Fahrzeuge eins zu eins mit E-Autos ausgetauscht werden. Es geht auch darum, verstärkt mit den Öffis zu fahren und insgesamt etwa weniger Strom zu verbrauchen.

Wenn es um Strom geht, wird ja investiert, damit wir auf erneuerbaren Strom umsteigen, damit wir am Ende 100 Prozent erneuerbaren Strom nutzen. Gleichzeitig aber verbrauchen wir immer mehr Strom. Die Kluft, die wird deswegen ja nicht kleiner.

Wir müssen natürlich auch mit neuen Technologien arbeiten, aber auch uns ändern. Es braucht eine Trendwende, es braucht eine Kehrtwende: im Verkehr, bei der Energie, in der Politik, in der Wirtschaft und in der Gesellschaft.

Welche Technologien sind bedeutend, welche weniger?

Wir haben nicht mehr viel Zeit, die Uhr tickt. Die Frage ist, was machen wir: Setzen wir auf die Technologien, die da sind, oder investieren wir in kostspielige Experimente.

Wie etwa Wasserstoff: ja, für die Industrie zum Beispiel. Für den Verkehr halten wir das für die völlig falsche Alternative, weil es bereits E-Autos gibt. Der Wasserstoff ist hingegen noch nicht so weit entwickelt.

Wir müssten in eine flächendeckende Infrastruktur investieren. Wir bräuchten erst die serienmäßige Produktion der Autos und am Ende muss man auch klar sagen: Wasserstoffautos brauchen einfach wesentlich mehr Strom als E-Autos – woher soll man das nehmen?

Das heißt: Da müssten wir wieder in erneuerbaren Strom investieren. Zudem sollen bis 2030 um die Hälfte weniger klimaschädliche Treibhausgase ausgestoßen werden. Wenn wir auf Wasserstoff setzen, geht sich das nicht aus. Bis dorthin wird sich diese Technologie erst entwickelt haben.

Warum handelt die Politik zögerlich?

Da gibt es sicherlich mehrere Gründe, aber ein massiver – und das konnten wir auch eigentlich so an den letzten Regierungen ein bisschen sehen – ist, dass es natürlich eine ganz starke Verbandelung zwischen Politik und Konzernen gibt.

Also das eine ist, wie werden auch unter anderem Parteien finanziert. Das andere ist, wir haben das in der alltäglichen Politik erlebt, dass eine Industrielobby im Papier einer Klimastrategie mitherumstreicht, dass sie durchsetzt, das Umweltverfahren für klimaschädliche Großprojekte abzuschwächen.

Da gibt es auf der einen Seite eine ganz enge Verzahnung. Auf der anderen Seite wissen wir, dass Unternehmen jetzt mehr auf kurzfristigen Profit orientiert sind, und nicht unbedingt immer auf langfristige Klimaschutzmaßnahmen.

Das ist eine Herkulesaufgabe, das ist nicht einfach zu bewerkstelligen. Da braucht es den klaren politischen Willen, da braucht es eine Zusammenarbeit über alle Ressorts hinweg. Es muss Geld dafür zur Verfügung gestellt werden. Wie auch die letzte Regierung zu sagen „wir sparen im Klima- und im Umweltbudget“, das funktioniert einfach nicht.

Sind Arbeitsplätze von Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe betroffen?

Es wird sich etwas am Arbeitsmarkt tun. Aber, zumindest soweit wir uns das angeschaut haben, könnte es sein, dass unterm Strich am Ende mehr Arbeitsplätze entstehen.

Wir haben das ganz genau für den Energiesektor auf globaler Ebene analysiert. Es gibt eine Greenpeace-Studie dazu: Statt der jetzigen 28 Millionen Beschäftigten gibt es dort in Zukunft mit dem Umstieg auf erneuerbare Energien 48 Millionen Beschäftigte. Das ist ein riesiger Zuwachs. Plus: eine Entwicklung weg von dreckigen und oft auch gesundheitsgefährdenden Jobs in der Ölindustrie hin zu sauberen, guten Jobs im erneuerbaren Energiesektor.

Es wird Veränderungen geben, ja, und die müssen auch begleitet werden: durch Schulungen, Ausbildungen etc. Es könnte sogar sein, dass am Ende mehr Arbeitsplätze herauskommen.

Was will Greenpeace mit der „Klimaklage“ erreichen?

Greenpeace arbeitet tatsächlich seit Jahrzehnten gegen die Klimakrise. Wir haben in Wahrheit in den 80er- und 90er-Jahren begonnen, wo wir unter anderem maßgeblich daran gearbeitet haben, dass es zu internationalen Vereinbarungen wie dem Kyoto-Protokoll kommt.

Wir sind nach wie vor dran. Erst kürzlich haben wir in Österreich veranlasst, dass Versicherungen wie Uniqa und Wiener Städtische aus dem Kohlegeschäft und aus den Kohleversicherungen aussteigen werden.

Gleichzeitig merken wir auch, dass es erst seit letztem Jahr zunehmend das Bewusstsein bei den Menschen gibt, hier wirklich etwas zu tun. Jugendbewegungen wie FridaysForFuture haben ganz stark für Aufwind gesorgt. Man muss auch ehrlich sagen: Diese Kinder und Jugendlichen, die haben das verstanden, weil ihre Zukunft, ihr Leben auf dem Spiel steht und dafür gehen sie auf die Straße.

Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere ist, dass die Politik so zögerlich agiert, zu wenig tut. Was wichtig ist: Die Bevölkerung in Österreich hat ein Recht auf Klimaschutz. Das ist der Grund, warum wir jetzt dieses Recht einklagen.

Was wir genau machen: Wir stellen Gesetze auf den Prüfstand. Wir wollen die klimaschädlichen Gesetze kippen, damit am Ende der Staat mehr tut, um die Bevölkerung vor der Klimaerhitzung zu schützen.

Das bedeutet: Die klimaschädlichen Gesetze kommen weg oder müssen repariert werden, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite heißt das auch für die Zukunft: Nächste Regierungen müssen ihre Gesetze klimafit machen. Das ist die Idee dieser Klimaklage, die wir gemeinsam mit Betroffenen einbringen werden.

Was sind „klimaschädliche“ Gesetze?

Klimaschädliche Gesetze oder Verordnungen können zum Beispiel sein: dass es keine Steuer auf Kerosin für Inlandsflüge gibt. Das kann zum Beispiel sein, dass 140 auf der Autobahn jetzt zumindest in der Testphase erlaubt ist, wozu das Umweltbundesamt allerdings sagt: Es sollte vielleicht sogar ein niedrigeres Tempo auf den Autobahnen sein.

Da gibt es eine Reihe von Gesetzen, die wirklich kontraproduktiv sind, und die Auswirkungen, die gibt es ja schon in Österreich: Ernteausfälle für Bauern, es geht um Gemeinden, die massive Kosten durch Überschwemmungen haben, oder auch Kinder, die Atemwegserkrankungen haben.

Diesen Betroffenen soll dann geholfen werden.

Welche Chancen hat die „Klimaklage“?

Man muss natürlich sagen, das ist zum ersten Mal, dass wir das in Österreich machen. Aber Greenpeace hat sehr gute Erfahrungen in anderen Ländern. Es gibt Klagen in Norwegen, Deutschland. Kürzlich erst haben wir in den Niederlanden einen Erfolg verzeichnet. Dort hat das Gericht entschieden, dass die niederländische Regierung zu wenig tut, um ihre Bürgerinnen und Bürger vor der Klimaerhitzung zu schützen.

In Österreich arbeiten wir mit einem Team an Top-Rechtsanwälten zusammen und es gibt auch schon renommierte Verfassungsjuristen, wie zum Beispiel Heinz Mayer, die sich auch positiv geäußert haben dazu.

Was kann Österreich im Kampf gegen die Klimaklage bewirken?

Es gibt ein bisschen den Mythos: Wir sind so klein und deswegen könnten wir nichts beitragen. Das stimmt nicht. Es gibt drei Punkte, wo Österreich wichtig ist und wo Österreich teilweise sogar wesentlich ist.

Das eine ist, tatsächlich für Klimaschutz zu sorgen. Das andere ist, in der EU dafür zu sorgen, dass es gute Gesetze für Klimaschutz gibt und das dritte ist: Raus aus Öl.

Vielleicht, um das ein bisschen konkret zu machen: Österreich ist natürlich momentan ein Nachzügler, wenn es um die Treibhausgase geht. Wir haben das in den vergangenen zwei Jahrzehnten erlebt, wo die EU-Länder im Schnitt die Treibhausgase um ein Viertel reduziert haben, während in Österreich munter drauflos die Treibhausgase weiter steigen. Das wird der erste große Schritt für Österreich, hier die Treibhausgase endlich zu senken und die notwendigen Maßnahmen auch seitens der Politik zu setzen.

Der zweite wichtige Punkt ist, dass die Gesetze für den Klimaschutz zum großen Teil auf einer EU-Ebene beschlossen werden. Auch hier kann Österreich eine Vorreiterrolle einnehmen, weil es sind am Ende unsere Politikerinnen und Politiker, die in den EU-Gremien die Politik auch mitbestimmen.

Und drittens: Raus aus Öl. Wir dürfen nicht vergessen, wir haben mit der OMV eine der großen Ölindustrien in Österreich, die mit den anderen Großen, so wie Shell, Gazprom, in den letzten Jahrzehnten für 70 Prozent der industriellen Treibhausgase gesorgt hat.

Raus aus Öl wird auch heißen: langfristig ein anderes Geschäftsmodell für die OMV.

Über den/die Autor:in

Michael Mazohl

Michael Mazohl studierte Digitale Kunst an der Universität für angewandte Kunst Wien. Im ÖGB-Verlag entwickelte er Kampagnen für die Arbeiterkammer, den ÖGB, die Gewerkschaften und andere Institutionen. Zudem arbeitete er als Journalist und Pressefotograf. Drei Jahre zeichnete er als Chefredakteur für das Magazin „Arbeit&Wirtschaft“ verantwortlich und führte das Medium in seine digitale Zukunft. Gemeinsam mit der Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl erscheint ihr Buch „Klassenkampf von oben“ im November 2022 im ÖGB-Verlag.

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