Käthe Leichter: Die Flamme der Begeisterung

Auf Käthe Leichters AK- Ausweis steht „Niederösterreichische Kammer …“, weil er gedruckt wurde, bevor Wien ein eigenes Bundesland war. Die AK in Wien blieb dann bis 1948 für beide Bundesländer zuständig.
(C) IHSF-Archiv/AK Wien
Für die Sozialwissenschafterin Käthe Leichter war die Arbeitnehmer*innen-Interessenvertretung nicht nur ein theoretisches Betätigungsfeld – sondern auch ein praktisches: als mitreißende Betriebsrätin.
Im Jahr 1933 probten die Frauen im Wiener Arbeiterkammerbüro den Aufstand. Es standen wieder Betriebsratswahlen an, und die vielen weiblichen Angestellten unter den etwa vierzig Mitarbeiter*innen verlangten endlich eine Vertretung im Betriebsratsteam. Im Expert*innenstab des AK-Büros gab es damals nur zwei Frauen, beide Staatswissenschafterinnen: Wanda Lanzer als Mitarbeiterin der Bibliothek und als einzige leitende Angestellte die Frauenreferentin Käthe Leichter. Alle anderen zählten dienstrechtlich zu den „unteren Kategorien der Angestellten“. Trotzdem wollten sie von der „Frau Doktor Leichter“ vertreten werden, denn sie hatte sich durch ihr solidarisches Verhalten großen Respekt und großes Vertrauen erworben. Die meisten Männer zeigten sich gegenüber dieser Forderung vorerst wenig einsichtig (da unterschieden sie sich nicht viel von konservativeren Geschlechtsgenossen), erst als die Kolleginnen den Boykott der Wahlen androhten, gaben sie nach. Käthe Leichter konnte ihr Mandat allerdings nicht einmal ein Jahr ausüben, denn schon Anfang 1934 wurde die Arbeiterkammer durch das austrofaschistische Regime gleichgeschaltet, sie und alle anderen in der Sozialdemokratie politisch engagierten Angestellten wurden fristlos entlassen. Auch in der privaten und öffentlichen Wirtschaft verloren Betriebsrät*innen, die für die Freien Gewerkschaften kandidiert hatten, ihre Funktion. Demokratie und unabhängige Interessenvertretung waren für elf Jahre nicht mehr gefragt.

Die Anforderungen der Betriebsratsarbeit waren Käthe Leichter schon vor ihrer eigenen Kandidatur keineswegs fremd. Sie unterstützte die noch kleine Schar an weiblichen Betriebsratsmitgliedern, seit sie 1925 als Frauenreferentin in das AK-Büro gekommen war, mit der Vermittlung von Wissen und Information – und vor allem, indem sie ihnen Mut machte und ihnen den Rücken stärkte. Sie wurde dabei auch nicht müde, mit Leidenschaft auf die Unverzichtbarkeit von Gewerkschaftsengagement für die betriebliche Interessenvertretung hinzuweisen.

Die „Frau Doktor“

Die junge Metallarbeiterin Rudolfine Muhr berichtete über eine solche prägende Begegnung nach anfänglichen Vorbehalten: „Was weiß die Frau Doktor um die Sorgen einer Metallarbeiterin? … Und dann kam die große Überraschung. Ja, Käthe Leichter wusste um unser Leben … Diese ‚Frau Doktor‘ hatte es nur zu gut verstanden, in uns alles aufzuwühlen … Sie hatte den Arbeiterinnen erklärt, dass nur durch die Stärkung der Gewerkschaften die Voraussetzung für eine Besserstellung der arbeitenden Frauen zu erreichen sei. Sie stellte an die Betriebsrätinnen die Frage, ob diese bereit wären, die Frauen gewerkschaftlich zu erfassen. … Und ob wir wollten. Die Flamme der Begeisterung für diese Aufgabe schlug hoch.“

Die Frage, wie Betriebsdemokratie in einer kapitalistischen Marktwirtschaft gestaltet und durchgesetzt werden kann, begleitete Käthe Leichter, seit sie 1919 in der „Staatskommission für Sozialisierung“ an der Vorbereitung des Betriebsrätegesetzes mitgearbeitet hatte. Die „Sozialisierungskommission“ sollte in der Zeit der Republiksgründung nach dem Ersten Weltkrieg Modelle für die Führung von Unternehmen in öffentlichem Eigentum unter Beteiligung aller Betroffenen ausarbeiten, besonders auch der Konsument*innen und der Arbeitnehmer*innen. Die erste Voraussetzung dafür war das Recht auf Interessenvertretung und Mitbestimmung bei wichtigen Managemententscheidungen. Das Experiment wurde unter den rechts-konservativen Regierungskoalitionen ab 1920 gestoppt, aber das Betriebsrätegesetz konnte unter demokratischen Bedingungen nicht mehr zurückgenommen werden.

Die Wächter

Allerdings konnten die als Voraussetzung für wirtschaftliche Mitbestimmung eingeführten Betriebsratsrechte, etwa das Recht auf Bilanzeinsicht, unter den tatsächlichen Machtverhältnissen kaum durchgesetzt werden. Käthe Leichter sah schon früh voraus, dass in Privatunternehmen „einer wirklichen Mitverwaltung durch die Betriebsräte sehr bald enge Grenzen gezogen sein werden“. Sie warnte vor Illusionen, denn man musste „von vornherein darauf gefasst sein, dass die Betriebsdemokratie im kapitalistischen Betrieb nur in sehr beschränktem Maß verwirklichbar“ war. Für umso wichtiger hielt sie es, die gewerkschaftlichen Funktionen der Betriebsräte zu stärken – als Wächter über das Einhalten von Kollektivverträgen bis zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen.

Über den/die Autor:in

Brigitte Pellar

Brigitte Pellar ist Historikerin mit dem Schwerpunkt Geschichte der ArbeitnehmerInnen-Interessenvertretungen und war bis 2007 Leiterin des Instituts für Gewerkschafts- und AK-Geschichte in der AK Wien.

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