Jugendarbeitslosigkeit: Völlig losgelöst!

Illustration Jugendarbeitslosigkeit
Illustration (C) Miriam Mone
Die Jugendarbeitslosigkeit in Österreich könnte sich verdoppeln. Die gesundheitlichen und sozialen Folgen sind dramatisch. Expert*innen fordern rasche, entschiedene Maßnahmen, um eine „verlorene Generation“ in ganz Europa zu verhindern.
Wir sprechen mit dem jungen Elektroniker David Janecek über seine Zukunft. „Ich hab Angst“, sagt er. Und dann: „Drei Monate wird das Geld vermutlich noch reichen, dann wird es richtig eng mit der Miete und den Kosten für das Leben.“ Seine Lehre hat David Mitte Februar in einem bekannten Wiener Telekom-Konzern beendet, jetzt ist er auf Arbeitssuche.

Die Kündigung hatte er fast unmittelbar nach der erfolgreichen Lehrabschlussprüfung bekommen. „Ich habe mich als Lehrling immer für meine Kolleg*innen eingesetzt, das hat der Firma offenbar nicht geschmeckt“, erzählt er. Und wie ist die Arbeitssuche in Corona-Zeiten? David beschreibt es mit einem Wort: „Oarsch.“

David heißt nicht wirklich David. Doch in diesen Zeiten hat er Sorge, dass die Arbeitssuche noch schwieriger wird, wenn sein echter Name in den Medien steht. Dutzende Bewerbungsschreiben habe er bereits verfasst, „doch es kommen ausschließlich Absagen“. Obwohl er ausgebildeter Elektroniker ist, hat er es inzwischen sogar mit Bewerbungen als Verkäufer im Einzelhandel versucht. Auch dort keine Chance auf einen Job.

Junge fliegen als erste

David ist einer von Tausenden jungen Menschen, die aktuell von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Christian Hofmann, Bundesjugendsekretär der GPA-djp, der Gewerkschaft der Privatangestellten, hört laufend von ähnlichen Fällen: „Erst kürzlich habe ich mit einer jungen Verkäuferin gesprochen. Die Firma hatte sie mit der Begründung rausgeworfen, dass es zu mühsam sei, Kurzarbeit zu beantragen.“ Vielleicht würde sie im Herbst wieder eingestellt, habe ihr die Firma mitgeteilt. Schriftlich wollte ihr das aber niemand geben.

Junge Menschen finden keine Lehrstelle, Lehrlinge werden nicht übernommen, und junge Arbeitende werden oft als Erste gekündigt. 

Christian Hofmann, Bundesjugendsekretär der GPA-djp

Der Gewerkschafter fasst die Probleme von vielen verschiedenen Betroffenen zusammen: „Junge Menschen finden keine Lehrstelle, Lehrlinge werden nicht übernommen, und junge Arbeitende werden oft als Erste gekündigt.“ Aber auch die Ausbildung ist in Gefahr: „In vielen Fällen können Pflichtpraktika für die Schule nicht absolviert werden. Wie die Schulen das dann handhaben, ist noch völlig unklar.“ Vom Ministerium gebe es nur „Goodwill-Schreiben“. Dazu kommen zahlreiche junge Studierende, die ihre Ausbildung nur mit Nebenjobs finanzieren können – und jetzt ebenfalls vor existenziellen Fragen stehen. Hofmanns Befund: „Allgemeine Frustration und große Verunsicherung.“

Historische Höchstwerte

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„Wir sehen aktuell historische Höchstwerte bei der Jugendarbeitslosigkeit“, warnt auch Dennis Tamesberger, Referent für Arbeitsmarktpolitik in der Arbeiterkammer Oberösterreich. Mindestens 75.000 junge Menschen zwischen 15 und 24 Jahren waren bereits im Juni 2020 offiziell von Arbeitslosigkeit betroffen. „Wir sehen bei jungen Menschen zwischen 20 und 24 Jahren ein enorm hohes Risiko von Arbeitslosigkeit. Ähnliche Zahlen gibt es sonst nur für die Gruppe von 60 bis 64 Jahren, also kurz vor der Pension“, so Tamesberger. Auf Basis von OECD-Daten zeige sich, dass ein Anstieg der Arbeitslosigkeit von einem Prozent bei Personen im Haupterwerbsalter einen Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit von 1,8 Prozent bedeutet.

Die Gesamtarbeitslosigkeit in Österreich betrug im Juni 2020 laut AMS 10,1 Prozent. Das ist ein Anstieg um 3,6 Prozentpunkte gegenüber Juni 2019 – ein dramatischer Zuwachs von mehr als einem Drittel. Die offiziellen Zahlen zur Arbeitslosigkeit sind allerdings immer eine Unterschätzung. Sehr viele Menschen melden sich gar nicht beim Arbeitsamt, etwa weil sie keinen Anspruch auf Leistungen haben. Dieses Problem gilt besonders bei Jugendlichen, damit sind seriöse Zahlen hier besonders schwierig zu ermitteln.

Wir sehen aktuell historische Höchstwerte
bei der Jugendarbeitslosigkeit. 

Dennis Tamesberger, AK Oberösterreich

Das zeigt sich auch bei den internationalen Berechnungsmethoden. Hier wird abgefragt, ob jemand aktiv Arbeit sucht. Logischerweise haben das während des Corona-Lockdowns viele arbeitslose Menschen verneint. „Damit fallen sie aber auch aus der Arbeitslosenstatistik. Das macht diese Zahlen so enorm schwierig“, erklärt Tamesberger.

Das AMS kennt drei Kategorien von Jugendarbeitslosigkeit: „registriert arbeitslos“, „in Schulung“ und „lehrstellensuchend“. Doch in den AMS-Berechnungen zur Jugendarbeitslosigkeit fehlen sowohl Schulungsteilnehmer*innen als auch Lehrstellensuchende, sagt Tamesberger. Dazu kommen noch jene jungen Menschen, die überhaupt nicht beim AMS registriert sind, die sogenannten NEET-Jugendlichen (Not in Employment, Education, Training: weder in Beschäftigung oder Ausbildung noch in Schulung).

„Das Problemausmaß wird dadurch deutlich unterschätzt“, warnt der Arbeitsmarktexperte. Nach seinen Berechnungen kommen zu den 75.196 jungen Menschen, die im Juni 2020 als arbeitslos erfasst waren, noch einmal gut 32.000 NEET-Jugendliche dazu – das wären dann mehr als 100.000 junge Menschen ohne Job.

Und es könnte noch weit schlimmer werden: Tamesberger erklärt, dass auf Basis der Erfahrungen aus der Krise 2008 davon ausgegangen wird, dass ein Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um ein Prozent im EU-Durchschnitt zu einer Reduktion der Jugendbeschäftigung um 1,77 Prozent führt.

Narben und Perspektivenlosigkeit

Für die betroffenen jungen Menschen hat das langfristige gesundheitliche und soziale Folgen. „Die Narben bleiben das ganze Leben“, sagt Tamesberger. Arbeitslosigkeit in der Jugend würde über den Lebensverlauf zu einer geringeren Lebens- und Arbeitszufriedenheit, zu einem schlechteren Gesundheitszustand, geringeren Einkommenschancen und zu einem erhöhten Arbeitslosigkeitsrisiko führen. So wurden etwa langfristige Einkommensverluste nach Phasen der Arbeitslosigkeit in der Jugend nachgewiesen. Was die psychische und physische Gesundheit betrifft, könne von einem „Teufelskreis“ ausgegangen werden. Junge Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen haben ein höheres Risiko von Arbeitslosigkeit. Gleichzeitig beeinflusst längere Arbeitslosigkeit aber auch den Gesundheitszustand negativ, was wieder die Arbeitsmarktchancen verschlechtert.

Die Österreichische Gewerkschaftsjugend (ÖGJ) will nun mit der neuen Kampagne „Jugend ohne Job“ Bewusstsein für das Thema Jugendarbeitslosigkeit schaffen. Susanne Hofer, Bundesvorsitzende der ÖGJ, zeigt sich sehr besorgt über die aktuelle Situation: „Tausende Jugendliche kämpfen derzeit mit existenziellen Sorgen und einer enormen Perspektivlosigkeit.“ Sie sieht die Gefahr, dass viele Jugendliche abrutschen könnten: „Wir wissen aus Studien, dass Arbeitslosigkeit gerade in der Jugend schnell zu psychischen Erkrankungen wie Depressionen führen kann. Studien aus Griechenland zeigen sogar, dass bei hoher Jugendarbeitslosigkeit die Selbstmordrate drastisch steigt.“

Frustriert ist auch Elektroniker David Janecek: „Es ist unglaublich schwierig, wenn du die ganze Zeit nur Absagen bekommst. Du bekommst das Gefühl, dass du nicht gebraucht wirst.“ Es ist höchste Zeit zu handeln.

Drei Fragen zum Thema

… an Dennis Tamesberger, Referent für Arbeitsmarktpolitik in der Arbeiterkammer Oberösterreich

Warum trifft die Corona-Krise junge Menschen besonders hart?

Betriebe haben in junge Arbeitnehmer*innen oft weniger investiert. Sie sind oft die Ersten, die gehen müssen. Dann sind junge Menschen oft in prekären Verhältnissen angestellt. Und schließlich gibt es für Schulabgänger*innen gerade viel weniger offene Stellen.

Die Jugendphase ist besonders sensibel. Da nagt es sehr, wenn die Gesellschaft Menschen das Gefühl gibt, dass sie nicht gebraucht werden. Wir wissen, dass Arbeitslosigkeit in der Jugend massive negative Folgen hat.

Wie viele junge Menschen könnten schlimmstenfalls betroffen sein?

Sogar auf Basis eines mittleren Szenarios, also der Berechnungen der Europäischen Kommission, würde die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen in den EU-27 innerhalb eines Jahres von 2,8 auf 4,8 Millionen ansteigen. Das würde bedeuten, dass eine*r von vier jungen Menschen in der EU keinen Arbeitsplatz findet. Für Österreich heißt das: Die Jugendarbeitslosigkeit für Menschen unter 25 Jahren wird sich verdoppeln.

Was bedeutet das für die Betroffenen?

Zu erwarten sind negative Folgen für die psychische und physische Gesundheit, für die Lebens- und Arbeitszufriedenheit sowie für das Einkommen. Menschen, die im Alter von 22 Jahren sechs Monate lang arbeitslos gewesen sind, hatten im Alter zwischen 30 und 31 Jahren immer noch einen zwei bis drei Prozent niedrigeren Stundenlohn als junge Menschen ohne Arbeitslosigkeitserfahrung. Ein negativer Einfluss von Arbeitslosigkeit im Jugendalter auf die Gesundheit kann sogar noch im Alter von 50 Jahren nachgewiesen werden.

Ein ausführliches Interview mit Dennis Tamesberger gibt es hier:

Über den/die Autor:in

Michael Bonvalot

Michael Bonvalot ist freier Journalist, Autor und Vortragender aus Wien. Seine Schwerpunkte sind Sozialpolitik, soziale Bewegungen sowie die exteme Rechte. Er schreibt regelmäßig für verschiedene Medien in Österreich und Deutschland sowie auf bonvalot.net.

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