Reportage aus Island: Insel der Seligen?

Katarina Huber, ehemalige Werbegrafikerin aus Kärnten, beim jährlichen Almabtrieb der Schafe in Mýrasýsla im Westen Islands.
(C) Markus Zahradnik
Alle paar Jahre landet Island international in den Medien: mit unaussprechlichen Vulkanen, aber auch mit der Vier-Tage-Woche oder der Abschaffung des Gender-Pay-Gap. Auf der Insel im Nordatlantik ansässige Österreicher:innen haben Arbeit&Wirtschaft erzählt, wie es sich damit lebt.
Vor einem Menschenalter ein bitterarmes Land, heute eines der reichsten der Welt. Trinkwasser sprudelt aus der Leitung, eiskalt und wohlschmeckend, wie von einem Gletscher im April. Elektrizität stammt großteils aus erneuerbaren Quellen, schon seit Generationen. Überhaupt ist es hier friedlich und sicher und die Lebensqualität wohl die bestmögliche – zumindest laut Expats in der Stadt. Menschen, die in Österreich leben, wissen (oder hören es ständig): Es ist ein gutes Land, sauber und schön.

Doch auch knapp dreitausend Kilometer weiter nordwestlich ist das Wasser das klarste, der Strom der grünste, die Lebensqualität die höchste – und anders als im Land der Berge, wo die Erzählung von diesen Superlativen zumindest teilweise durch Folklore und geschicktes Marketing getragen wird, scheint sie im Land der Vulkane dem internationalen Vergleich standzuhalten. Island ist die Nummer eins im Global Peace Index, in der absoluten Spitzengruppe des World Happiness Index, hat den weltweit höchsten Anteil erneuerbarer Energieproduktion; und ja: was hier aus dem Kaltwasserhahn kommt, ist von besserer Qualität als das hierzulande so gepriesene Wiener Hochquellwasser.

Gletscher und Gleichstellung

Einige dieser Bestnoten basieren auf der Geografie und spärlichen Besiedlung. Das Land hat eine deutlich größere Fläche als Österreich und eine deutlich kleinere Bevölkerung als Vorarlberg; Wasserkraft und Geothermie speisen beinahe den gesamten Strom- und Heizbedarf und haben fast unbegrenztes Potenzial für zukünftiges Wachstum. Arbeitnehmer:innenrechte und Gleichstellung sind dagegen nicht naturgegeben, sondern benötigen vorrangig gesellschaftliche Initiative. Und gerade diese Felder sind es, in denen sich Island nicht einfach in die progressive Gruppe der nordischen Staaten einreiht, sondern Ideen aus aller Welt aufgreift und einen Weg auf Basis der eigenen Kulturgeschichte geht.

So liegt das Land bereits zwölf Jahre in Folge an erster Stelle des Global Gender Gap Report, weit vor Österreich, das auf Rang 21 rangiert. Grundlage dieses Spitzenplatzes ist das im Jahr 2008 in Kraft getretene Gesetz über Gleichstellung und Gleichberechtigung von Frauen und Männern, das nach einer Novelle im Jahr 2017 als „gesetzliche Abschaffung des Gender-Pay-Gap“ weltweite Aufmerksamkeit erfuhr. Darin geht es um mehr als gleichen Lohn für gleiche Arbeit: Das Ziel ist der grundlegende Ausgleich zwischen derzeit schlechter bezahlten, weiblichen Tätigkeitsfeldern und besser bezahlten, männlichen Berufen.

In dieselbe Kerbe schlägt auch das Karenzmodell: Jeder Elternteil hat Anspruch auf sechs Monate Dienstfreistellung, wobei eineinhalb Monate getauscht werden können. Außerdem ist werdenden Müttern vor dem Entbindungstermin die Arbeit nicht grundsätzlich verboten. Neun von zehn isländischen Vätern nehmen die Karenz in Anspruch (in Österreich sind es zwei von zehn), die Arbeitsmarktnachteile von Frauen im Familiengründungsalter sind gemildert, die Geburtenrate ist die höchste in Europa. Was auch an den Arbeitsbedingungen in Island liegt.

Kurze Wintertage, kurze Arbeitswochen

Ebenso bekannt aus den internationalen Medien: die Einführung der Vier-Tage-Woche. Eine Idee, die auch in Österreich immer mehr Unterstützer findet. Dahinter stecken zwei Feldversuche, die nach einer gemeinsamen Kampagne von Gewerkschaften und Zivilgesellschaft durch die Regierung der Hauptstadt Reykjavík sowie die nationale Regierung durchgeführt wurden. An einer ersten, vier Jahre laufenden Untersuchung waren ab 2015 rund 2.500 unselbstständig Beschäftigte beteiligt – mehr als ein Prozent der in Erwerbsarbeit befindlichen Bevölkerung. Ab 2017 lief eine zweite Studie mit etwa 400 Personen und einer etwa genauso großen Kontrollgruppe.

Trotz Verkürzung der Arbeitszeit wurde die Produktivität zumindest erhalten,
oft sogar gesteigert – etwa durch Optimierung und Modernisierung von Abläufen.

Die Teilnehmenden kamen aus unterschiedlichsten beruflichen Feldern, ihre Wochenarbeitszeit wurde bei vollem Lohnausgleich von den bis dahin üblichen 40 auf 35 bis 36 Stunden reduziert, ihr Arbeitsleben wissenschaftlich begleitet. Die Ergebnisse wurden Mitte 2021 publiziert und waren recht eindeutig: Die Produktivität wurde zumindest erhalten, oft sogar gesteigert – etwa durch Optimierung und Modernisierung von Abläufen. Gleichzeitig ist der vorab von Kritiker:innen befürchtete Anstieg informeller Überstunden nicht eingetreten – es wurde tatsächlich weniger gearbeitet. Stress wurde reduziert, die Work-Life-Balance verbessert und die gewonnene Freizeit sinnstiftend genutzt.

Die Möglichkeit zur Reduktion der Wochenarbeitszeit auf 36 Stunden wurde bereits in den 2019 verhandelten Kollektivverträgen implementiert und wird nun für rund 86 Prozent aller Arbeitsplätze ausgerollt. Eine tatsächliche Umstellung auf die Vier-Tage-Woche wird nur für einen Teil von ihnen erwartet, großteils rechnen die Gewerkschaften und Studienverantwortlichen eher mit verkürzten Arbeitstagen. Eine wichtige Konsequenz wird die Verteuerung von besonders langen Arbeitszeiten sein, denn solche sind derzeit noch häufig: Obwohl die maximale Wochenarbeitszeit mit 48 Stunden gedeckelt ist, war 2017 der Anteil der unselbstständig Erwerbstätigen, deren Arbeitswochen mehr als 40 Stunden dauerten, laut OECD um die Hälfte größer als in Österreich.

Allround-Paket Gewerkschaft

Dass gesellschaftliche Fortschritte, die zu internationalen Schlagzeilen führen, auf gewerkschaftlicher Initiative basieren, ist kein Zufall. Der Organisationsgrad ist der höchste aller OECD-Staaten, im Jahr 2020 waren 92,2 Prozent aller Arbeitnehmer:innen Mitglieder in einer der mehr als 200 nationalen und regionalen Vertretungen. Die Mitgliedschaft ist nicht verpflichtend, aber mit vielfältigen Vorteilen verbunden: Neben Kollektivvertragsverhandlungen, Rechtsberatung und Streikfonds – die allesamt auch den nicht organisierten Erwerbstätigen zugutekommen – bilden die Gewerkschaften eine tragende Säule des Sozialversicherungssystems.

Brillen, Zahnersatz, Physiotherapie: Werden von Gewerkschaften bezahlt oder bezuschusst. Entgeltfortzahlung über die gesetzlichen Krankentage hinaus, psychologische Unterstützung: Die Gewerkschaften springen ein. Weiters tragen sie die Kosten für Weiterbildung – vom Gabelstaplerschein bis zur Teilnahme an internationalen Fachkonferenzen – und bieten ihren Mitgliedern günstige Ferienhäuser. Was in dem Rundum-sorglos-Paket keinen Platz mehr fand, ist die betriebliche Mitbestimmung. In den Betrieben werden keine Betriebsratsgremien gewählt, sondern gewerkschaftliche Vertrauenspersonen. Diese dienen den Beschäftigten als Sprachrohr, haben aber keine Mitwirkungsrechte in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Angelegenheiten.

Carmen Fuchs, Ergotherapeutin aus Oberösterreich, im Hafen von Hafnarfjörður, der drittgrößten Stadt Islands.

Carmen Fuchs,
Ergotherapeutin aus Oberösterreich

„In Island zu arbeiten ist anders: Ich kann mir für Dinge mehr Zeit nehmen, wenn es nötig ist; kann den Stress in der Arbeit lassen und muss mir zu Hause nicht solche Gedanken über den vergangenen und den nächsten Arbeitstag machen. Man kann hier Beruf und Freizeit besser trennen“, sagt Carmen Fuchs. Die Ergotherapeutin aus Oberösterreich hat ihr Praktikum während des Studiums durch einen Zufall in Reykjavík absolviert, dann in Österreich den Berufsalltag in einer großen Rehabilitationseinrichtung kennengelernt und ist später wieder nach Island zurückgekehrt. Geplant war nur ein Jahr, geworden sind es mittlerweile acht. Sie ist in einem Tageszentrum für Langzeitrehabilitation beschäftigt, die Abläufe schätzt sie hier als unbürokratischer und eigenverantwortlicher als in Österreich ein, und sie schafft es so gut wie immer pünktlich und ohne Überstunden aus der Arbeit.

Carmen absolviert derzeit ein Master-Studium in Public Health – in tageweiser Bildungskarenz, auf die sie einen Rechtsanspruch hat. Das Altersspektrum der Studierenden kommt ihr deutlich breiter als an österreichischen Hochschulen vor: „Bei mir ging es von den Jungen, die frisch vom Bachelor-Abschluss kommen, bis hin zur Uroma, die gegen Ende ihrer aktiven Karriere noch eine Qualifikation erwirbt.“ Außerdem befindet sie sich in Elternkarenz, und darin sieht sie auch die größten Unterschiede zu Österreich: „Hier ist es normal, dass Frauen nur ein halbes Jahr zu Hause bleiben. In Österreich werden für Männer weniger Anreize zur Beteiligung an Sorgearbeit gesetzt – wenn auf das erste Kind bald ein zweites folgt, kann es schnell passieren, dass du als Frau jahrelang aus dem Arbeitsprozess fällst. Wenn Väter dagegen ähnlich lang in Karenz sind wie Mütter, kommt bei Personalverantwortlichen nicht so rasch die Überlegung auf: ‚Lieber keine Frau einstellen, die könnte ja Kinder bekommen.‘“

Sonja Kovacevic, Theaterwissenschafterin aus Kärnten, am historischen Fischfangplatz Grímsstaðavör im Westen der Hauptstadt Reykjavík.

Sonja Kovacevic,
Theaterwissenschafterin aus Kärnten

„Wer nicht aus Island ist, weiß anfangs sehr wenig über Arbeitnehmer:innenrechte und Gehalt. Es ist nicht leicht durchschaubar, wie viel du verdienen solltest und was dir sonst noch zusteht“, sagt Sonja Kovacevic. Die Theater-, Film- und Medienwissenschafterin aus Kärnten musste diese Erfahrung selbst machen – und wurde deshalb gewerkschaftliche Vertrauensperson in einem bis dahin nicht organisierten Betrieb. In Österreich hat sie unter anderem an großen und kleinen Theatern gearbeitet, als Regie-Assistentin, im Sekretariat, auch mit eigenen Produktionen. Nach Island hat sie die Teilnahme an einer Konferenz geführt, dort wurde sie von einer lokalen NGO angeworben. Zuerst nur für einen Sommer, und im zweiten Sommer blieb sie im Land – bis heute, mittlerweile zehn Jahre.

An einem weiteren Arbeitsplatz – als Schichtmanagerin und Barista in einem Café – kam es zu Problemen mit Arbeitszeiten und Bezahlung. „Ich bin mit diesen Sorgen zuerst zu den Gewerkschaften gegangen, da wusste ich noch gar nicht, dass es die gewerkschaftlichen Vertrauenspersonen überhaupt gibt. Dann haben wir Beschäftigten uns abgestimmt, um gegenüber den Arbeitgebern mit einer Stimme zu sprechen. Die anderen haben sich nicht getraut, etwas zu sagen, weshalb ich das Reden übernommen habe. Aus dieser Situation heraus wurde ich zur Vertrauensperson gewählt“, erinnert sich Sonja. Später wurde sie auch Delegierte bei einer der größten Gewerkschaften des Landes.

Zwischenzeitlich hat sie einen MFA-Titel in darstellender Kunst an der Kunstakademie Islands erworben, steht kurz vor ihrem Master-Abschluss als Kunstlehrerin und ist von ihrem aktuellen Arbeitsplatz an einer städtischen Schule in Reykjavík als junge Mutter karenziert – natürlich in zeitlicher Teilung mit dem Vater. Was die Einhaltung von Arbeitszeiten betrifft, hat Sonja im Bildungsbereich ähnliche Erfahrungen wie Carmen Fuchs im Gesundheitswesen gemacht: „Es gibt keine Überstunden. Bei einem Schulaustausch mit britischen Lehrenden haben diese von ihrer Überarbeitung erzählt – die isländischen Kolleg:innen waren davon durch die Bank entsetzt.“

Georg Ziegler, Informatiker aus Wien, vor der Hallgrímskirkja im Zentrum der Stadt.

Georg Ziegler,
Informatiker aus Wien

„Du kommst mal zwischendrin nach Österreich, und es gibt immer alles zum halben Preis, immer alles im Ausverkauf. Die ersten paar Jahre habe ich mein Einkommen immer in Euro umgerechnet und gesehen, dass es jeden Monat eine Gehaltserhöhung gegeben hat“, sagt Georg Ziegler. Der in technischer Chemie promovierte Informatiker aus Wien ist vor acht Jahren nach Island ausgewandert. Nach mehreren Urlauben sowie regelmäßigen Besuchen bei seiner Freundin, die hier ein Erasmus-Jahr verbracht hat, bekam er einen Eindruck vom Winter: „Die meiste Zeit ist es kalt und finster, aber Informatiker sollten eh kühl und dunkel gelagert werden.“ Seine eingangs zitierte Freude über den wachsenden Kaufkraftunterschied datiert auf die Jahre bis 2016, als sich die isländische Wirtschaft nach dem Bankencrash von 2008 erholte, der das Land besonders hart getroffen hatte. Vor der Krise war der Abstand zu Österreich noch größer: „Als ich das erste Mal hier war, im Jahr 2007, war alles unerschwinglich teuer.“

Die meiste Zeit ist es kalt und finster, aber Informatiker sollten eh kühl und dunkel gelagert werden. 

Georg Ziegler, Auswanderer

Die höheren Lebenshaltungskosten werden durch die höheren Einkommen mehr als aufgewogen, so auch bei Georg, der als Software-Entwickler für eine große isländische Bank arbeitet. Allerdings nimmt er wahr, dass es nicht allen so geht – trotz aller progressiver Gleichstellungspolitik: „Als weißer, heterosexueller Cis-Mann mittleren Alters ist man hier einfach privilegiert. Als Österreicher hat man einen zusätzlichen Exoten-Bonus. Es gibt latente Xenophobie, schon bei den Menschen aus EU-Staaten wird etwa zwischen Deutschen und Polen unterschieden. Und dunkelhäutige Personen haben es hier noch schwerer.“ Zudem sieht er die Sprache als Schlüssel zu gesellschaftlicher und ökonomischer Teilhabe. „Ich spreche fließend Isländisch, bin aber kein Muttersprachler – für mich wäre eine Führungsposition schwerer erreichbar als für eine hier geborene Person. Doch wenn du gar nicht Isländisch kannst und nicht großes Glück hast, dann bleiben dir nur Hilfstätigkeiten.“ Der geringst entlohnte Kollektivvertrag bringt nach Steuern monatlich umgerechnet 1.700 Euro – so viel, wie die Miete einer 60-Quadratmeter-Wohnung in Reykjavík kosten würde.

Katarina Huber,
Werbegrafikerin aus Kärnten

„Wenn man aus dem Ausland kommt, wird man immer Ausländerin bleiben. Auch wenn man schon 20 oder 30 Jahre hier ist: Bevor man die Chance hat, sich zu beweisen, wird einem weniger zugetraut“, sagt Katarina Huber. Die Werbegrafikerin aus Kärnten hat sich in Island bereits in sehr unterschiedlichen Beschäftigungsverhältnissen bewiesen. Die Natur und Kultur des Landes haben sie schon seit ihrer Jugend fasziniert, deshalb hat sie vor sieben Jahren dem Leben in Wien den Rücken gekehrt und ist auf eine kleine Insel vor der Südküste gezogen. Dort hat sie zuerst in einem Bistro gearbeitet, dann in einer Fischverarbeitungsfabrik, danach als Artdirektorin in einer großen Werbeagentur in Reykjavík, und vor Kurzem hat sie sich in der Hauptstadt als Betreiberin eines Studios für Yoga und Bodywork selbstständig gemacht.

In zwei dieser Berufsfelder hat sie den direkten Vergleich zu Österreich. In Island sei viel mehr Eigenverantwortung gefragt, nicht nur im positiven Sinn: „Im Bistro wurde ich als Kellnerin eingestellt, musste aber zusätzlich Management-Aufgaben übernehmen. Nicht weil ich explizit dazu gezwungen wurde, sondern weil die Arbeit sonst liegen geblieben wäre. In der Agentur musste man jeden einzelnen Lohnzettel kontrollieren, da sich die Buchhaltung fast immer verrechnet hat – bei den Überstunden, seltener aber auch bei den Steuern, was dann zu überraschenden Nachforderungen vom Finanzamt geführt hat. Das wäre in Österreich bei einem seriösen Unternehmen unvorstellbar – hierzulande ist das gang und gäbe.“

In der Fischverarbeitungsfabrik waren die Unregelmäßigkeiten am Lohnzettel seltener, die Arbeitsabläufe waren präzise standardisiert. Katarina hat hier Fische entwurmt, filetiert, verpackt – im Normalfall in Vollzeitarbeit, während spezieller Fangsaisonen in 12-Stunden-Schichten. Tags und nachts, ohne freie Tage, bis kein Fisch mehr da war. „Das Längste, was ich in der Schichtarbeit am Stück durchgearbeitet habe, waren fünf Wochen: Man hat dann kein Leben mehr. Man weiß aber schon vorher, wofür man unterschreibt – und für einen ungelernten Beruf verdient man wirklich gut.“

Marianne Irina Giesswein, Tourismusmanagerin aus Salzburg, nahe der Stadt Selfoss im Süden Islands.

Marianne Irina Giesswein,
Tourismusmanagerin aus Salzburg

„Unbezahlte Praktika sind illegal. Höfe dürfen nicht inserieren ‚Wir suchen jemand zum Trainieren von Pferden, für Logis und Taschengeld‘, sondern sie müssen ein Mindestgehalt zahlen“, sagt Marianne Irina Giesswein, und das Thema geht ihr nahe: Die Salzburgerin war während der Schulzeit für eine Reittour in Island und ist in den folgenden Sommern dorthin zurückgekehrt, „für den typischen Ponymädel-Job“.
Auf die Schule folgte das Studium des Tourismusmanagements und unter anderem ein Praxissemester in New York, wo eine bei Iceland Air arbeitende Freundin sie wieder mit dem Land in Kontakt brachte. Das Wetter hatte ihr gefehlt, die Pferde hatten ihr gefehlt – sie ging in den hohen Norden und ist heute, 22 Jahre später, noch immer dort. In diesem Zeitraum hat Marianne in der Tourismusbranche für Unternehmen unterschiedlicher Größe gearbeitet, in regulären und temporären Dienstverhältnissen, an der Rezeption, in Organisation und Marketing, heute hauptsächlich als Reiseleiterin. In ihrer Erfahrung ist die Branche in Hinblick auf Arbeitszeiten und Überstunden weniger prekär als in der alten Heimat: „Das wird strenger genommen als in Österreich oder auch Deutschland. Da bin ich immer erschrocken, wie lang die Leute arbeiten, wie lang ihre Anwesenheitszeiten sind.“

Als alleinerziehende Mutter hat Marianne die Gleichstellungspolitik des Landes als sehr positiv erlebt. Die nach ihrer Einschätzung besseren Betreuungsmöglichkeiten als in Österreich, gleichzeitig die geringeren Karrierefallen für Mütter: Ist das womöglich ein Grund dafür, warum es in Island viel mehr Österreicherinnen als Österreicher gibt? „Man kommt zwar nicht speziell deshalb nach Island – es ist aber etwas, woran man sich durchaus erfreut, sobald man hier ist.“ Den Grundstein dafür sieht sie bereits in der Frühgeschichte des Landes gelegt: Island wurde im Frühmittelalter von Wikingern besiedelt, die Natur war feindselig, die Anzahl der Menschen gering – es mussten alle gleichermaßen anpacken können, die Hälfte der Bevölkerung anders zu behandeln hätte zu Problemen geführt: „Das ist ganz tief in der isländischen Mentalität verankert. Die raue Natur hat die Menschen geprägt.“

Über den/die Autor:in

Markus Zahradnik

Markus Zahradnik ist der Fotograf der Arbeit&Wirtschaft, setzt unsere Interviews, Reportagen und andere Motive in Szene – und zeichnet für unsere Videos verantwortlich. Gleichzeitig ist er studierter Journalist und weiterhin inhaltlich an Wirtschaft und Gesellschaftspolitik interessiert, was sich in ausgewählten Fällen in Form von Texten niederschlägt.

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