Irgendwer profitiert immer

Fotos (C) Michael Mazohl, Konzept & Produktion: Thomas Jarmer
Wenn anderen etwas weggenommen wird, befriedigt dies manche, die selbst vom Sozialstaat unterstützt werden. Nur warum? Und wem nützt es wirklich?
Wenn man den Profit aus angelegten Vermögen so hoch besteuert wie Erwerbseinkommen, erreicht man mehr Verteilungsgerechtigkeit in einer Gesellschaft. Ähnlich verhält es sich mit der Besteuerung von Erbschaften. Aber auch ein starkes soziales Netz verhindert das Ansteigen von Armut und sorgt für eine bessere Verteilung der vorhandenen finanziellen Mittel einer Gesellschaft.

Es sind Gesellschaften mit guter Verteilung, die funktionieren und sich positiv entwickeln

Norman Wagner, AK Wien

Es sind Gesellschaften mit guter Verteilung, die funktionieren und sich positiv entwickeln, betont Norman Wagner, Referent für Armuts- und Verteilungsfragen in der Arbeiterkammer Wien, im Gespräch mit der Arbeit&Wirtschaft. Ein Beispiel sind skandinavische Länder. „Aber auch in Mittel- und West­europa gab es über viele Jahre eine gute Verteilung – nun wird das kontinuierlich weniger.“

Gegeneinander ausspielen

Österreich schwimmt in diesem Strom mit. Die amtierende ÖVP-FPÖ-Regierung hat gerade das 2010 eingeführte System der Mindestsicherung umgebaut. Die Rückkehr zum Begriff „Sozialhilfe“ ist dabei sowohl ideologisches als auch realpolitisches Programm. Mit Slogans wie „Leistung muss sich wieder lohnen!“ werden Erwerbstätige gegen Bedürftige ausgespielt. Letztere müssen künftig mit weniger Geld als bisher auskommen.

Mit Slogans wie „Leistung muss sich wieder lohnen!“ werden Erwerbstätige gegen Bedürftige ausgespielt.

Die künftige Sozialhilfe sieht einen Höchstbeitrag vor statt wie bisher einen Mindestbeitrag, kritisiert Wagner. Man orientiert sich dabei am Ausgleichszulagenrichtsatz für PensionistInnen. Dieser liegt derzeit bei 885,47 Euro für eine alleinstehende Person. Paare bekommen um 88,55 Euro weniger als bisher, Familien mit einem Kind um 26,57 Euro, Familien mit drei Kindern um 168,24 Euro weniger als im Mindestsicherungssystem.

Weniger wert?

Doch das Spalten funktioniert auch noch auf der untersten Ebene: So wird die Mindestsicherung bei Menschen ausländischer Herkunft um rund 300 Euro gekürzt, wenn sie weder einen österreichischen Pflichtschulabschluss haben noch bestimmte Sprachkenntnisse (Deutschsprachzertifikat des Levels B1 oder ein Englischzeugnis des Levels C1 gemäß gemeinsamem Europäischem Referenzrahmen für Sprachen). Etikettiert wird das als „Arbeitsqualifizierungsbonus“. Es wird argumentiert, dass eine der Bedingungen für den Bezug der Sozialhilfe ist, dass man dem Arbeitsmarkt grundsätzlich zur Verfügung steht. Dazu brauche es entsprechende Sprachkenntnisse.

Die Regierung setzt alles daran, die Sozialkürzungen als Kürzungen bei Menschen, die weniger wert sind, zu verkaufen.

Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch

„Die Regierung setzt alles daran, die Sozialkürzungen als Kürzungen bei Menschen, die weniger wert sind, zu verkaufen“, konstatiert Alexander Pollak, der Sprecher von SOS Mitmensch. Es werde betont, dass ein großer Teil der MindestsicherungsbezieherInnen Migrationshintergrund habe, es werde von migrantischen Großfamilien gesprochen und von Geflüchteten. „Es wird damit ein Spaltungsdiskurs bedient, der suggeriert, es treffe eh nur die anderen, die Fremden, die nicht hierhergehören und nicht so viel an Leistungen verdient haben.“

Neiddebatte

Doch wem hilft es, dass die Flüchtlingsfamilie, der Asylstatus zuerkannt wurde, monatlich um Hunderte Euro weniger bekommt als das österreichische Paar mit Kindern? Das Sozialhilfe-Grundsatzgesetz führt zu keinen Einsparungen im Bereich Mindestsicherung bzw. nunmehr Sozialhilfe, betont AK-Experte Norman Wagner. Das sei den Beilagen zum Gesetzestext in der Fassung, wie er im März vom Ministerrat beschlossen wurde, zu entnehmen. Die Regierung gehe sogar von Mehrkosten aus.

Grundsätzlich werden die Ausgaben für Mindestsicherung oder Sozialhilfe gerne als hoch dargestellt, de facto ist ihr Anteil an den gesamten Sozialausgaben aber gering. 2017 betrug dieser nicht einmal ein Prozent, so Wagner. Rund eine Milliarde Euro wurde für die Mindestsicherung aufgewandt, die gesamten Sozialaufwendungen betrugen 106 Milliarden Euro.

Neid ist eine Waffe gegen das Gemeinsame, ein Instrument, um diejenigen, die sich eigentlich zusammenschließen könnten, zu spalten.

Auch die österreichische Familie, die künftig ebenfalls mit etwas weniger Geld als bisher auskommen muss, hat monetär nichts von der Diskriminierung von Menschen ausländischer Herkunft. Bedient wird hier allerdings die Emotion Neid, wie Martin Schenk von der Armutskonferenz erklärt. Der Philosoph Baruch de Spinoza habe Neid als „trübsinnige Leidenschaft“ gewertet. Sie sage „du oder ich“, aber nie „wir beide“. Neid sei eine Waffe gegen das Gemeinsame, „ein Instrument, um diejenigen, die sich eigentlich zusammenschließen könnten, zu spalten. Der Neid ist der Feind des Miteinander und der Freund der Mächtigen. Diese Verblendung, dass der Neider lieber selbst auf etwas verzichtet, als es dem Beneideten zu gönnen, schadet ihm selbst und nützt den weit Mächtigeren.“

Wem nützt also diese Neuordnung der Sozialhilfe? AK-Experte Wagner sieht „Härte gegenüber den Schwächsten in der Gesellschaft“ als Ziel. So wird der Druck erhöht, dass Menschen jegliche Art von Beschäftigung akzeptieren. Die Folge ist die Zunahme von prekärer Beschäftigung. Schenk unterstreicht diese These und verweist auf die Situation in Deutschland. „Die fatale Nebenwirkung von Hartz IV war ein riesiger Niedriglohnmarkt.“ Mindestlöhne würden so unter Druck geraten.

Disziplinierung

Das neue Sozialhilfegesetz orientiere sich am bisherigen niederösterreichischen Mindestsicherungsmodell, erklärt Wagner. Dieses sehe eine Arbeitsverpflichtung vor. Rasenpflege, Straßenkehren, Schneeräumung seien Tätigkeiten, für die MindestsicherungsbezieherInnen dort herangezogen würden – ohne Mindestlohn, ohne Kollektivvertrag, ohne Anrechnung für die Pension. Denn über die Mindestsicherung hinaus bekommen diese Menschen nichts bezahlt.

Arbeit, von der man nicht leben kann, ist das große verschwiegene Thema hinter der Debatte um die Mindestsicherung.

Martin Schenk

Das solle nun offenbar in ganz Österreich Schule machen. „Man nimmt also auf der unteren Ebene Menschen Jobs weg und verpflichtet andere, sie zu übernehmen. Hier geht es auch um die Disziplinierung von Beschäftigten“, befürchtet der AK-Experte. „Arbeit, von der man nicht leben kann, ist das große verschwiegene Thema hinter der Debatte um die Mindestsicherung“, prangert Schenk an.

Doppelt zynisch

Die Sündenbockpolitik lenkt davon ab, dass viele Menschen für weniger Geld als bisher arbeiten sollen.
Damit ist der Slogan von Leistung, die sich lohnen müsse, doppelt zynisch. Arbeit wird so billiger gemacht, was auch dazu führt, dass die Mittelschicht bröckelt und die Abstiegsängste zunehmen. „Und mit den Abstiegsängsten kommen dann auch Ressentiments gegenüber anderen“, bedauert Wagner. Damit gehe das Kalkül der Regierung auf. Die Sündenbockpolitik lenke davon ab, dass viele Menschen für weniger Geld als bisher arbeiten sollen.

Die Folgen sind verheerend, sind sich die Experten einig. „Es wird mehr und tiefere Armut in Österreich geben“, so Pollak. An die 100.000 Menschen seien zusätzlich armutsgefährdet, habe das Europäische Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung errechnet, sagt Schenk. Österreich werde insgesamt „ein kälteres Land, die Schere zwischen Reich und Arm wird weiter aufgehen. Das wird auch auf den Straßen spürbar sein“, betont der Sprecher von SOS Mitmensch.

Das unterstreicht auch AK-Experte Wagner. „Es gibt so immer weniger Möglichkeiten, dass sich Menschen über den Arbeitsmarkt in der Gesellschaft einfinden.“ Dadurch sei der sozia­le Frieden in Gefahr. „Das wird man nicht heute oder morgen spüren, aber in ein paar Jahren schon.“

Mit Peanuts abgespeist

Verschärft wird dies durch zahlreiche andere Maßnahmen der Regierung. So wird zum Beispiel die Integration bereits anerkannter Flüchtlinge Schritt für Schritt erschwert. Es gibt weniger Deutschkurse und kaum Bemühungen der öffentlichen Hand, Menschen für den österreichischen Arbeitsmarkt durch entsprechende Qualifizierung fit zu machen.

Kürzungen gibt es nicht nur im Integrationsbereich, sondern auch im Schulwesen.
Kürzungen gibt es aber nicht nur im Integrationsbereich, sondern auch im Schulwesen. Niedrige Qualifikation ist auf einem Arbeitsmarkt, in dem zunehmend nur gut Qualifizierte Erfolg haben, jedoch fatal, gibt Wagner zu bedenken. Doch auch hier gilt: Der Druck auf Erwerbstätige und Arbeitsuchende nützt vor allem der Arbeitgeberseite. Menschen in Not kann man leicht mit Peanuts abspeisen.

Online-Schwerpunkt zum Thema Mindestsicherung neu:
www.arbeit-wirtschaft.at/soziales
Informationen zu den Regierungsplänen zur
Abschaffung der Notstandshilfe:
sosnotstandshilfe.at

Von
Alexia Weiss
Journalistin und Autorin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 4/19.

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Über den/die Autor:in

Alexia Weiss

Alexia Weiss, geboren 1971 in Wien, Journalistin und Autorin. Germanistikstudium und Journalismusausbildung an der Universität Wien. Seit 1993 journalistisch tätig, u.a. als Redakteurin der Austria Presse Agentur. Ab 2007 freie Journalistin. Aktuell schreibt sie für das jüdische Magazin WINA sowie für gewerkschaftliche Medien wie die KOMPETENZ der GPA-djp oder die Gesunde Arbeit. 2022 erschien ihr bisher letztes Buch "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" (Verlag Kremayr & Scheriau).

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