Fiskalregeln: Investieren statt kürzen

Bild von einem blauen Kuchen mit gelben Sternen, der die EU-Flagge darstellen soll. Hände legen 1-Euro-Münzen auf die Sterne. Symbolbild für die Fiskalregeln.
Mit den neuen Fiskalregeln droht ein hartes Sparprogramm an falscher Stelle. | © Markus Zahradnik
Ab nächstem Jahr gelten neue Fiskalregeln. Diese legen fest, wie stark sich Mitgliedsstaaten verschulden dürfen und wie radikal sie Budgets kürzen müssen. Gewerkschaften warnten bereits im Vorfeld vor zu strengen Vorgaben.
Noch vor den EU-Wahlen haben sich EU-Kommission, EU-Rat und EU-Parlament auf eine Reform der Fiskalregeln geeinigt. Diese legen fest, wie stark sich Mitgliedsstaaten verschulden dürfen. Und wie radikal sie Budgets kürzen müssen, wenn Defizite oder Staatsschuldenquoten zu hoch sind. Diese Regeln wurden im Zuge der Pandemie, die massive öffentliche Gegenmaßnahmen notwendig gemacht hat, ausgesetzt und erst heuer wieder aktiviert. Im Vorfeld der Reform haben europäische Gewerkschaften, NGOs und einige Ökonom:innen vor den Folgen zu strenger Vorgaben gewarnt, wie sie Griechenland, Spanien und Italien in den 2010er-Jahren erlebten. Damals führte eine radikale Sparpolitik – also etwa Stellenabbau, Leistungskürzungen, Investitionsstopp, Massensteuererhöhungen und weitreichende Arbeitsmarktreformen zugunsten der Arbeitgeber:innen – zu einem beispiellosen Wirtschaftseinbruch. Die neuen, ab nächstem Jahr wirksamen Fiskalregeln sind nun zwar weniger strikt als die aktuell gültigen, sie sind aber strenger als notwendig. Das könnte Europa in eine neue „Austeritätswelle“ treiben.

Neue Fiskalregeln: So funktionieren sie

Jeder Mitgliedsstaat muss sogenannte Fiskal-Strukturpläne vorlegen, die für vier Jahre gelten. Kernstück sind Obergrenzen für das Wachstum der Staatsausgaben (abzüglich neuer Einnahmen, wie zum Beispiel Reichensteuern). Je höher die öffentliche Verschuldung, desto stärker wird das Ausgabenwachstum beschränkt und desto mehr muss jährlich „konsolidiert“ werden. Konsolidierung meint hier eine Strategie zur Verringerung der Staatsschulden. Die Länder können jedoch den jährlichen Konsolidierungsbedarf senken – sie müssen also weniger sparen –, wenn sie bereit sind, öffentliche Investitionen etwa in den Klimaschutz zu tätigen und strukturelle Reformen vorzunehmen. Dann erhöht sich die Laufzeit von vier auf bis zu sieben Jahre.

Dies klingt auf den ersten Blick vernünftig. Weil es ja dem Umstand Rechnung trägt, dass dringend notwendige Klimaschutzinvestitionen, aber auch Investitionen in die Digitalisierung ermöglicht werden sollen. Der Haken an den neuen Fiskalregeln: Der Anreiz, öffentliche Investitionen zu tätigen, bedeutet gleichzeitig, dass Staatsausgaben noch stärker beschränkt werden könnten, die nicht-investiv sind. Das sind in erster Linie Ausgaben für die sozialen Sicherungssysteme, wie für Pensionen, Gesundheit und Pflege, die steigen werden. Schließlich ist es nicht gelungen, die sogenannte goldene Investitionsregel in den neuen Fiskalregeln zu verankern. Damit hätten die öffentlichen Klimainvestitionen von den Ausgaben weggerechnet werden können.

Fiskalregeln ohne goldene Investitionsregel

Das Argument für die goldene Investitionsregel: Es ist wenig sinnvoll, öffentliche Investitionen, wie den Ausbau öffentlicher Infrastruktur bzw. eine Sanierungsoffensive für den Wohnbau, mit laufenden Steuereinnahmen zu finanzieren. Schließlich profitieren auch die späteren Generationen so wie wir heute vom U-Bahnausbau der 1970er- und 1980er-Jahre. Daher belastet es die junge Generation zu sehr, wenn sie die jetzt dringend notwendigen Zukunftsinvestitionen über Steuern finanzieren müssen. Zudem können Regierungen Fiskalregeln auch erfüllen, indem sie Steuern erhöhen – es werden ja die Netto-Ausgaben beschränkt. Gerade in Österreich wäre dies eine Alternative zum Sozialabbau, ist doch das Aufkommen aus den Reichensteuern im internationalen Vergleich extrem gering.

Abhängig vom EU-Wahlergebnis besteht die
Gefahr von Pensionskürzungen, Einschränkungen des Arbeitsrechts oder Ähnlichem.

Ein weiterer kritischer Punkt: Die EU-Kommission bekommt nun einen Hebel, um ihre Empfehlungen, die sie jährlich gegenüber den EU-Mitgliedsländern ausspricht, nun stärker durchzusetzen. Will ein Mitgliedsland weniger investieren, dann muss es nicht nur mehr öffentlich investieren, sondern auch EU-Empfehlungen verbindlich umsetzen. Ob und wie das schlagend wird, ist aus heutiger Sicht noch völlig unklar. Abhängig vom EU-Wahlergebnis besteht die Gefahr, dass sie Pensionskürzungen, Einschränkung des Arbeitsrechts oder Ähnliches verlangt, um mehr Zeit und damit einen sanfteren Kürzungspfad zu genehmigen. Den Mitgliedsstaaten bliebe dann nur die sprichwörtliche Wahl zwischen Pest und Cholera.

Wenig Spielraum

Konkret bedeuten die neuen Fiskalregeln, dass allein nächstes Jahr in der EU um rund 60 Milliarden Euro konsolidiert werden muss, wenn die siebenjährige Anpassungsperiode gewählt wird. Bei vierjähriger Laufzeit sind es sogar 94 Milliarden Euro.

Bis zum Jahr 2028 steigt der Betrag auf das jeweils Vierfache davon. In Österreich beträgt der Konsolidierungsbedarf im Jahr 2025 ca. 1,3 Milliarden Euro bei 7-jähriger Laufzeit bzw. 2,1 Milliarden Euro bei 4-jähriger Laufzeit – und zwar Jahr für Jahr zusätzlich zur bereits erreichten Konsolidierung. Gerade in schlechten Zeiten braucht die öffentliche Hand aber Spielraum, um gegensteuern zu können. Innerhalb der Fiskalregeln gibt es dafür den Mechanismus ihrer Aussetzung im Falle schwerer Verwerfungen. Das war beispielsweise im Zuge von Pandemie und kriegsbedingter Energiekrise der Fall – aber nicht, um beispielsweise in der aktuellen Wirtschaftsflaute gegen die steigende Arbeitslosigkeit regelkonform aktiv zu werden.

Es sind vor allem die großen Länder wie Italien, Spanien, Frankreich und Belgien, die hoch verschuldet sind und daher stärker konsolidieren müssen als etwa Österreich. Besonders betroffen von den neuen Fiskalregeln ist Italien. Die dortige Regierung müsste demnach in den nächsten vier Jahren aus heutiger Sicht etwa 100 Milliarden Euro einsparen – ein ökonomisch wie sozial gewagtes Unterfangen. Wenn diese Länder alle gleichzeitig kürzen, hat das besonders negative Wirkungen auf die wirtschaftliche Dynamik. Es droht ein Teufelskreis: Das schwächere oder gar negative Wachstum führt zu neuen Budgetlücken, was wiederum weitere Kürzungen nach sich zieht. Von dieser europaweiten „Austeritätswelle“ wäre auch Österreich über die Handelsverflechtungen – zusätzlich zu den Folgen der eigenen Kürzungen – betroffen.

Nationale Gestaltbarkeit

Die neuen Fiskalregeln zeigen, wie wichtig es ist, Prozesse auf EU-Ebene zu beeinflussen. Der Europäische Gewerkschaftsbund fordert schon lange die goldene Investitionsregel, aber auch einen europäischen Transformationsfonds. Dieser soll – analog zum EU-Wiederaufbaufonds – die notwendigen Zukunftsinvestitionen finanzieren, die vielfach grenzüberschreitend (z. B. Schienennetz) sein müssen. Nur so können Klimaschutz und soziale Sicherheit finanziert werden.

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Über den/die Autor:in

Helene Schuberth und Georg Feigl

Helene Schuberth leitet seit Mai 2022 das Volkswirtschaftliche Referat des ÖGB. Georg Feigl ist stellvertretender Leiter der Abteilung Wirtschaftswissenschaft und Statistik der AK Wien und Experte für öffentliche Haushalte sowie wohlstandsorientierte und europäische Wirtschaftspolitik.

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