Interview: Standortqualität ist mehr als Wettbewerbsfähigkeit

Foto (C) ÖGB-Verlag | Michael Mazoh
Christine Mayrhuber ist seit 1999 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). Ihre Schwerpunkte: Arbeitsmarkt und Genderfragen, Einkommen und Verteilung, Sozialpolitik und Wohlfahrtsstaat. 2013 wurde die Volkswirtschafterin mit dem Käthe-Leichter-Staatspreis für Frauenforschung, Geschlechterforschung und Gleichstellung in der Arbeitswelt für ihre Forschungstätigkeit zu Genderfragen auf dem Arbeitsmarkt ausgezeichnet.
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Inhalt

  1. Seite 1 - Standortqualität
  2. Seite 2 - Entwicklungspotential
  3. Seite 3 - Verbesserungspotential
  4. Seite 4 - Die Rolle der EU
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WIFO-Arbeitsmarktexpertin Christine Mayrhuber über den Unterschied zwischen Staaten und Unternehmen und die Erkenntnis, dass "Hemmschuhe" auch beflügelnd wirken können.
Zur Person
Christine Mayrhuber ist seit 1999 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). Ihre Schwerpunkte: Arbeitsmarkt und Genderfragen, Einkommen und Verteilung, Sozialpolitik und Wohlfahrtsstaat. 2013 wurde die Volkswirtschafterin mit dem Käthe-Leichter-Staatspreis für Frauenforschung, Geschlechterforschung und Gleichstellung in der Arbeitswelt für ihre Forschungstätigkeit zu Genderfragen auf dem Arbeitsmarkt ausgezeichnet.

Arbeit&Wirtschaft: In der im Februar veröffentlichten WIFO-Studie „Sozialstaat und Standortqualität“ wird gezeigt, dass eine hohe Sozialquote die Standortqualität keineswegs negativ beeinflusst. Kann man sagen: Im Gegenteil, hohe Sozialquoten wirken sich positiv auf die Standortqualität aus?

Christine Mayrhuber: Man kann zwar nicht von direkter Kausalität sprechen, aber es besteht eine sehr hohe Korrelation: Große Wirtschaftskraft von Staaten geht mit hohen Sozialstandards und hohe Sozialstandards gehen mit großer Wirtschaftskraft einher. Die Sozialstandards in Ländern mit einem niedrigeren BIP sind in der Regel auch niedriger. Ähnlich ist die Korrelation zwischen Umweltstandards und Wirtschaftskraft. Diese Verflechtungen kann man durchaus mit den zwei Seiten derselben Medaille vergleichen. Im öffentlichen Diskurs wird das eher nicht so wahrgenommen. Hohe Sozialstandards werden hier eher als Hemmschuh oder Fessel der Wirtschaft dargestellt.

Aber man kann nicht sagen, was zuerst war, die hohen Sozialstandards oder die erfolgreiche Wirtschaft?

Nein, das geht Hand in Hand. In der Studie wird eine Vielzahl von Indikatoren diskutiert: Arbeitslosen- und Beschäftigungsquote, CO2-Ausstoß, Lebenszufriedenheit, Gesundheit etc. Die Werte bei diesen Themen sind dort gut, wo eine hohe Wirtschaftsleistung besteht und umgekehrt.

Was versteht man eigentlich genau unter Standortqualität?

Der Begriff bezieht sich auf eine Region oder ein Land, im Unterschied zur Wettbewerbsfähigkeit, die sich auf einzelne Unternehmen bezieht. Wettbewerbsfähigkeit auf betrieblicher Ebene ist in der ökonomischen Theorie definiert als Produktion zu geringen Durchschnittskosten; unternehmerischer Wettbewerb forciert Innovationen und technologischen Fortschritt und kann auf diese Weise wachstumssteigernd wirken.

Faktoren wie Infrastruktur, Marktgröße oder Marktnähe sind für die individuelle Wettbewerbsfähigkeit entscheidend. Dieses Konzept kann nicht einfach auf Staaten übertragen werden, weil die Ziele eines Landes und eines Betriebes nicht gleichgesetzt werden können. Und wenn ein Betrieb nicht wettbewerbsfähig ist, dann scheidet er aus dem Markt aus. Ein Staat hingegen kann als solcher nicht aus dem Marktgeschehen ausscheiden, von der Landkarte verschwinden.

Zur Bestimmung der Standortqualität braucht es daher einen breiten Ansatz von Indikatoren in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Einkommen, Umwelt etc. Auch der Zeithorizont eines Staates unterscheidet sich von dem eines Unternehmens. Bei Unternehmen spielen Quartalsberichte eine Rolle, während bei Ländern mittel- und langfristige Ziele im Vordergrund stehen.

Staaten müssen viele unterschiedliche Interessenlagen berücksichtigen. Zielkonflikte gibt es natürlich auch auf der Betriebsebene, etwa zwischen Umweltanliegen und Expansionsplänen, doch auf der Ebene der Ökonomien sind diese Zielkonflikte noch stärker. Wir haben in der Studie aber bemerkenswerte Korrelationen gefunden. Anders als oft dargestellt, sind Sozial- und Umweltstandards keine Hemmschuhe: So können sich etwa Ökologie und Ökonomie gegenseitig beflügeln, hohe Umweltstandards wirken also nicht zwangsläufig hemmend auf die Ökonomie.

Die Europäische Kommission hat ja eigentlich schon 2001 Wettbewerbsfähigkeit um die Begriffe des hohen und steigenden Lebensstandards sowie der Gewährleistung von „Beschäftigungsraten auf einer nachhaltigen Basis“ erweitert. Dieser Ansatz ist noch nicht so weit verbreitet, oder?

Es gibt Ansätze von Wettbewerbsfähigkeitskonzepten, die „Wohlfahrtsindikatoren“ wie Gesundheit, Lebenszufriedenheit, Work-Life-Balance etc. in Zusammenhang mit Standortqualität verstärkt berücksichtigen. Die Europäische Kommission etwa hat schon vor einigen Jahren die Initiative „Beyond GDP“ gestartet, um das BIP um entsprechende Indikatoren zu erweitern. Wir haben in unserer Studie daher Konzepte einer erweiterten Wettbewerbsfähigkeit verwendet. Im (klassischen) Global Competitiveness Report, der jährlich vom World Economic Forum veröffentlicht wird, ist Österreich im oberen Mittelfeld angesiedelt. Sobald man auch Sozial- und vor allem Umweltindikatoren miteinbezieht, zeigt sich eine deutlich höhere, also sehr gute Standortqualität Österreichs.

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  1. Seite 1 - Standortqualität
  2. Seite 2 - Entwicklungspotential
  3. Seite 3 - Verbesserungspotential
  4. Seite 4 - Die Rolle der EU
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