Interview: Fortschreitende Normalisierung

Foto (C) Michael Mazohl
Sprachwissenschafterin Ruth Wodak über Populismus in Europa, die rechtspopulistische Politik der Angst und deren Methoden.

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Sprachwissenschafterin Ruth Wodak über Populismus in Europa, die rechtspopulistische Politik der Angst und deren Methoden.
Zur Person
Die Sprachwissenschafterin Ruth Wodak ist „Emerita Distinguished Professor for Discourse Studies“ an der Lancaster University, UK. Außerdem leitet sie ein vom FWF gefördertes, dreijähriges Forschungsprojekt „Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität – 2015“ am Institut für Sprachwissenschaft an der Universität Wien. In ihrem neuesten Buch „Politik mit der Angst. Zur Wirkung rechtspopulistischer Diskurse“ untersucht sie, wie der europäische Rechtspopulismus im Zentrum der Gesellschaft ankommen konnte. Es ist Wissenschaftsbuch des Jahres 2017.

Ruth Wodak wurde 1950 in London geboren. Die Diplomatentochter wuchs in Belgrad und Wien auf. Ende der 1960er-Jahre begann sie ihr Studium an der Universität Wien, wo sie 1974 promovierte und 1980 habilitierte. Im Jahr 1991 wurde sie als ordentliche Professorin für Angewandte Sprachwissenschaft an die Universität Wien berufen. Sie wurde mit einer Vielzahl von Preisen ausgezeichnet, im Jahr 2011 wurde ihr das Große Silberne Ehrenkreuz für Verdienste um die Republik Österreich verliehen. Sie hatte zahlreiche Gastprofessuren inne, darunter an den US-Universitäten Stanford und Georgetown.

Sie ist Mitbegründerin der kritischen Diskursanalyse, die sich mit dem Verhältnis von Sprache und Macht beschäftigt. Die Forschungsschwerpunkte der deklarierten Feministin reichen von der Identitätspolitik über Vorurteile und Diskriminierungen bis hin zum Rechtspopulismus.

Arbeit&Wirtschaft: Sie forschen seit vielen Jahren zum Thema Populismus. Haben Sie den Eindruck, dass das Adjektiv „populistisch“ heute im politischen Diskurs überstrapaziert wird?

Ruth Wodak: Ja, diesen Eindruck habe ich tatsächlich. Das Adjektiv „populistisch“ wird heutzutage völlig inflationär und oft auch als Schimpfwort verwendet, was meines Erachtens völlig falsch ist.

Im Prinzip verwendet jeder Politiker und jede Politikerin notwendigerweise einige populistische Strategien. Jede Politikerin und jeder Politiker spricht ein „Wir“ an, stellt sich positiv und die anderen negativ dar. Alle PolitikerInnen versuchen zu vereinnahmen und die jeweils bestimmte Gruppe anzusprechen. Daher reichen diese Elemente noch nicht aus, um Rechts- bzw. Linkspopulisten zu definieren.

Wie würden Sie Populismus definieren?

Es gibt sehr viele unterschiedliche Definitionen und Begriffe, die in der Wissenschaft momentan verwendet werden. Wichtig scheint mir, dass Populismus – und das gilt sowohl für Rechts- als auch Linkspopulismus – nicht als bloßer politischer Stil oder bloße Rhetorik definiert werden kann. Ganz im Gegenteil, bei Populismus handelt es sich immer um Ideologien, die eben – je nach AnsprechpartnerInnen, Öffentlichkeit und Funktion – unterschiedlich sprachlich realisiert werden.

Ist es demnach überhaupt angebracht, von einer „Sprache des Populismus“ zu reden?

Ich denke nicht, dass es eine „Sprache des Populismus“ gibt. Populismus ist in erster Linie immer eine Verbindung von Inhalt und Form, kann daher nicht unabhängig vom Inhalt analysiert werden. Was hingegen analysierbar ist, sind die Versuche von populistischen PolitikerInnen, ihre Inhalte möglichst überzeugend an „den Mann“ oder „die Frau“ zu bringen. Dabei ist die Dichotomisierung der Gesellschaft in zwei scheinbar homogene Gruppen wichtig: „wir“ und „die anderen“. „Die anderen“ gibt es sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gesellschaft.

Was ist nun das Spezifikum von Rechtspopulismus?

Rechtspopulismus vertritt einen exklusiven, ausgrenzenden Nationalismus, der bei manchen rechtspopulistischen Parteien auch an eine Blut-und-Boden-Ideologie anstreift: Es geht um die vermeintlich „echten“ Finnen, Briten, Ungarn, Österreicher. Gleichzeitig wird vehement eine Abgrenzung gegenüber den sogenannten Privilegierten, dem Establishment, den Eliten gepflogen. Diese werden je nach nationalem Kontext völlig willkürlich definiert. Und außerdem grenzt man sich gegen Fremde ab, also „Andere“, die von außen quasi in das Territorium eindringen wollen, also MigrantInnen, Flüchtlinge usw.

Demnach geht es bei RechtspopulistInnen gar nicht um soziale Schichten oder Klassen?

Richtig, es geht vielmehr um Werte sowie um eine Identitäts- und Symbolpolitik, die zur Gruppendefinition sowie zur Herstellung und Vertiefung kultureller Gräben und Spaltungen herangezogen werden. RechtspopulistInnen befürworten überdies einen autoritären Staat mit straffen Rechts- und Ordnungspolitiken und treten meist für eine konservative Familien- und Genderpolitik ein.

Vorrangig geht es ihnen um die Bewahrung des Alten. Ein gewisser nostalgischer Faktor ist nicht zu leugnen. Ihr traditionelles Familienverständnis erscheint mitunter widersprüchlich, weil sie ja gleichzeitig gesellschaftliche Veränderung anstreben. Die Veränderung, die sie meinen und fordern, ist oft rückwärtsgewandt. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Slogan von Donald Trump: „Make America great again.“ Man muss aber auch feststellen, dass nicht alle rechtspopulistischen Parteien die gleichen Ideologien und Werte besitzen. Beispielsweise ist die Gender-Politik bei skandinavischen rechtspopulistischen Parteien sicher anders – progressiver – als etwa bei der FPÖ, Fidesz, den US-amerikanischen Tea Parties oder der polnischen PiS.

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