Interview: Die 70er waren eine sehr, sehr spannende Zeit

Inhalt

  1. Seite 1 - 1968 haben sich nicht nur linke, sondern auch bürgerliche Studenten radikalisiert
  2. Seite 2 - Kreiskys Ziel war die Durchflutung der Gesellschaft mit Demokratie.
  3. Seite 3 - Europa hat auf die Krise zu spät und zu zögerlich reagiert
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Ferdinand Lacina, von 1986 bis 1995 Finanzminister, blickt zurück auf ereignisreiche Jahrzehnte und sieht die Zukunft alles andere als rosig.

Ich nehme an, der Rücktritt als Finanzminister war ebenfalls ein denkwürdiges Ereignis?

1982 war Staatssekretär Nussbaumer im Amt verstorben und da Wahlen bevorstanden, hat Bruno Kreisky mich gefragt. Ich war ja seit 1980 sein Kabinettschef. Eigentlich habe ich damals mit ein paar Monaten in der Politik gerechnet, tatsächlich war das dann sehr viel länger. Prinzipiell bin ich sowieso der Meinung, dass jeder vor und nach einem politischen Amt auch etwas anderes machen sollte. Und ich habe immer vorgehabt, den Zeitpunkt meines Ausscheidens selbst zu bestimmen.

Das Bad in der Menge habe ich nie gebraucht und mir war klar, dass man die Wertschätzung des politischen Amtes mit persönlicher nicht verwechseln darf. So war mein Rücktritt keine große Geschichte. Wenn man längere Zeit in einem Amt ist und besonders als Finanzminister, dann muss man oft Nein sagen. Am Anfang wird das noch als Teil der Rolle akzeptiert, später nehmen das viele persönlich. Auch die Gewerkschaft war manchmal nicht zufrieden mit mir, insbesondere als der BAWAG riskante Geschäfte untersagt wurden.

Das ist wahrscheinlich sehr häufig so, dass die Menschen mit dem Finanzminister nicht sehr zufrieden sind, oder?

Vielleicht sind die Österreicher masochistisch – man ist eigentlich gar nicht so unbeliebt als Finanzminister. Ja, die ÖVP hat sich beschwert, dass ich mich in alles einmische. Natürlich muss man sich als Finanzminister in alles Mögliche einmischen und trifft auf Widerstand. So hat zum Beispiel Innenminister Blecha vor den Budgetverhandlungen in den Medien angeprangert, dass die Polizeihunde hungern müssten. Verteidigungsminister Lichal ist einmal mit 30 Offizieren bei mir aufmarschiert und hat sechs Milliarden Schilling mehr Budget für das Bundesheer verlangt – wobei das Bundesheer damals vergleichsweise mehr bekommen hat als heute.

Ein weiteres bedeutsames Jahr war 2008.

Europa hat auf die Krise zu spät und zu zögerlich reagiert. Im Fall Griechenland ist die europäische Solidarität verletzt worden. An der griechischen Krise haben letztendlich viele verdient: Banken, AnlegerInnen und Staatshaushalte der Euro-Länder. Griechenland ist in der Zwischenzeit verelendet. Heute ist Italien zwar hoch, aber vor allem im Inland verschuldet. Trotzdem möchte ich mir die wirtschaftlichen und politischen Folgen einer akuten Krise dieses Landes nicht ausmalen. Die alarmierendste Folge der Krise ist der Trend zu rechtspopulistischen Antworten auf Probleme – das reicht vom Brexit über Trump bis nach Italien. Und bei uns unterscheidet sich der Wahlverein Kurz, die ÖVP, kaum mehr von der FPÖ. Man muss schon einen guten Magen haben, um optimistisch zu sein.

Welche Lehren lassen sich aus der Krise ziehen?

Ideen zur Einschränkung der Finanzwirtschaft gibt es viele und bereits länger, etwa die Finanztransaktionssteuer oder auch die Aufteilung der Banken in jene, die Spareinlagen annehmen und Kredite vergeben und jene, die riskante Finanzgeschäfte tätigen. Für die Harmonisierung von Körperschaftsteuern in der EU sehe ich keine Chance, weil das einstimmig beschlossen werden müsste. Im Gegenteil, so sagt ja beispielsweise der irische Finanzminister, die 13 Milliarden, die Apple mir an Steuern hätte zahlen müssen, die will ich gar nicht. So machen Irland und andere Steueroasen Standortpolitik.

Foto (C) Christian Fischer
Ich selbst habe da auch einiges gelernt. Ich habe zum Beispiel damals der Elektri­zitäts­wirtschaft wirklich geglaubt, dass es ohne Hainburg nicht geht und davor hieß es, ohne Zwentendorf geht’s nicht. Und siehe da, es geht doch.

Österreich hat ja jetzt auch bald das Standort-Entwicklungsgesetz …

Die Regierung will eben unter allen Umständen eine Politik für die großen Unternehmen machen, deshalb werden Umweltorganisationen behindert. Sicher ist es sinnvoll, dass bei manchen Projekten Entscheidungen schneller fallen. Aber andererseits hängt die Zukunft Österreichs nicht davon ab, dass die dritte Piste des Flughafens Wien möglichst schnell gebaut wird. Ich selbst habe da auch einiges gelernt. Ich habe zum Beispiel damals der Elektrizitätswirtschaft wirklich geglaubt, dass es ohne Hainburg nicht geht, und davor hieß es, ohne Zwentendorf geht’s nicht. Und siehe da, es geht doch, ohne dass wir übermäßig viel Strom importieren müssen. Es ist einfach so, dass die Lobbys viel, ja zu viel Macht haben. Natürlich nicht nur in Österreich, sondern etwa auch in der EU sind ja wesentlich mehr Lobbyisten für Industrie und Wirtschaft als für Gewerkschaften oder NGOs tätig.

Was ist wichtig für die Zukunft Österreichs?

Fast 50 Prozent der Österreicherinnen sind teilzeitbeschäftigt, auch weil es zu wenig Kinderbetreuung gibt. In Deutschland droht Altersarmut, bei uns sind die Pensionen zwar höher, aber sie kann auch hier ein Problem werden. Ich kann mich erinnern, dass wir mit Johanna Dohnal den Bundesländern eine Kindergarten-Milliarde angeboten haben. Die haben geantwortet – übrigens nicht nur die ÖVP-dominierten Bundesländer –, dass sie das nicht brauchen. Das kommt selten vor, dass Länder Geld vom Bund ablehnen.

Ein zweiter wichtiger Punkt ist die Bildung, die in Österreich noch immer vererbbar ist. Ich will nicht behaupten, dass die Ganztags- oder Gesamtschule die Allheilmittel sind, aber das wäre ein wichtiger Ansatz. Und eigentlich beginnt es ja schon im Kindergarten. Ich bin jetzt keineswegs dafür, dass dort schon das Leistungsprinzip herrschen soll. Aber eine Pädagogin für 20 bis 25 Kinder: Wie soll das gehen? Wir müssen sehr aufpassen, dass sich das Bildungssystem nicht genauso wie das Gesundheitssystem in zwei Klassen aufteilt.

Darf ich Sie zum Abschluss noch um einen Buchtipp bitten?

Der Falter-Chefredakteur Florian Klenk und Konrad Pesendorfer, Chef der Statistik Austria, haben ein Buch geschrieben: Zahlen, bitte! Interessanterweise hat Markus Marterbauer vor einigen Jahren ein Buch mit dem gleichen Titel veröffentlicht (Zahlen bitte! Die Kosten der Krise tragen wir alle, Deuticke 2011), das ich auch sehr empfehlen kann.

Von
Astrid Fadler

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 9/18.

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