Interview: Auch Gewerkschaften müssen global denken

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  1. Seite 1 - Internationale Gewerkschaftsarbeit
  2. Seite 2 - Internationale Projekte
  3. Seite 3 - Auswirkungen der Globalisierung
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Sophia Reisecker leitet die internationale Abteilung der GPA-djp. Im Interview mit Arbeit&Wirtschaft schildert sie die aktuellen Herausforderungen und fordert einen europäischen Rahmen für internationale Sorgfaltspflicht.

In welche internationale Projekte sind Sie aktuell eingebunden?

Ein großer Teil meiner Arbeit besteht aus der Betreuung von Europäischen Betriebsräten. Seit Mitte der 1990er-Jahre kann in multinationalen Konzernen ein Europäischer Betriebsrat gegründet werden, wodurch es zumindest Informationspflichten des Arbeitgebers gibt und der Europäische Betriebsrat zu gewissen Fragen angehört werden muss. Das ist zwar nicht vergleichbar mit Mitbestimmungsrechten, wie wir sie in Österreich haben. Durch den Europäischen Betriebsrat gibt es aber die Möglichkeit, früher zu Informationen zu kommen und globale Unternehmensstrategien besser zu verstehen und das dann auch in die eigene Strategie miteinzubetten. Es gibt in Europa an die 2.400 dieser Europäischen Betriebsräte in großen Konzernen, zum Beispiel in Banken, in der Autoproduktion oder der Metallindustrie. Wir begleiten und unterstützen sie, sowohl strategisch als auch in rechtlichen Fragen. Aktuell ist die Frage der Digitalisierung ein großes Thema.

„Französische Konzerne können in Frankreich zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie im Ausland aktiv sind und dort
Rechte verletzen.“
– Sophia Reisecker

Ein wichtiges aktuelles Projekt ist zudem die gewerkschaftliche Vernetzung im Unternehmen Amazon. Amazon ist ein internationaler Konzern, der in verschiedenste Branchen hineinwirkt und die traditionellen Gewerkschaftsstrukturen herausfordert. Amazon ist im Finanzsektor mittlerweile genauso aktiv wie in der Logistik oder im Handel.

Ein wichtiges aktuelles Projekt ist die gewerkschaftliche Vernetzung im Unternehmen Amazon.

Das bringt die heimische Wirtschaft unter Druck und stellt eine große Veränderung in der Gesamtbranchenlandschaft dar. Weil Amazon versucht, Gewerkschaften so gut wie möglich draußen zu halten, sind wir sehr bemüht, uns als Gewerkschaft zu vernetzen, Solidarität zu zeigen, wenn es an einem Standort zu Problemen kommt. Und das ist schon eine Erfolgsvariante.

Das wäre dann ein Beispiel, dass es angesichts der Globalisierung auch eine globale Gewerkschaftsbewegung braucht.

Genau. Die Probleme mit Amazon werden wir in Österreich nicht allein lösen, und selbst wenn Amazon sich dazu bereit erklären würde, sich an alle Vorschriften in Österreich zu halten und mit einem Betriebsrat zusammenzuarbeiten, ändert das nichts an der Gesamtkonzernstrategie, die destruktiv ist. Zu erwähnen wäre hier auch die Notwendigkeit einer besseren Steuerpolitik: Durch Schlupflöcher vermeidet Amazon weitgehend, in Österreich beziehungsweise Europa Steuern zu zahlen.

Österreich hat traditionell starke Gewerkschaften. In anderen Ländern werden GewerkschafterInnen verfolgt. Wo haben es ArbeitnehmervertreterInnen aktuell besonders schwer?

Seit dem Herbst ist Brasilien ein sehr schwieriges Land für die Beschäftigten. Abgesehen davon, dass der Präsident homophob und sexistisch ist, hat er auch ein klares Programm gegen Gewerkschaften. Tatsache ist, dass in vielen lateinamerikanischen, aber auch afrikanischen und asiatischen Staaten Gewerkschaftsmitglieder von Folter und Tod bedroht sind. Gewerkschaftliche Organisierung bedeutet dort nicht nur, psychischem Druck durch den Arbeitgeber ausgesetzt zu sein, sondern dass das eigene Leben bedroht ist oder die Familie mit hineingezogen wird.

Tatsache ist, dass in vielen lateinamerikanischen, aber auch afrikanischen und asiatischen Staaten Gewerkschaftsmitglieder von Folter und Tod bedroht sind.

Gewalt gegen Gewerkschaften ist aber auch anderswo auf der Tagesordnung. Das sieht man zum Beispiel in Frankreich, wo Gewerkschaftsdemonstrationen durch das Militär oder die Polizei mit harter Gewalt begegnet wird. Aber auch in Simbabwe gab es vor einigen Monaten größere Proteste, die vor allem von der Gewerkschaftsbewegung initiiert wurden, und auch hier wurde sehr hart von Staatsseite dagegen vorgegangen.

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Über den/die Autor:in

Alexia Weiss

Alexia Weiss, geboren 1971 in Wien, Journalistin und Autorin. Germanistikstudium und Journalismusausbildung an der Universität Wien. Seit 1993 journalistisch tätig, u.a. als Redakteurin der Austria Presse Agentur. Ab 2007 freie Journalistin. Aktuell schreibt sie für das jüdische Magazin WINA sowie für gewerkschaftliche Medien wie die KOMPETENZ der GPA-djp oder die Gesunde Arbeit. 2022 erschien ihr bisher letztes Buch "Zerschlagt das Schulsystem ... und baut es neu!" (Verlag Kremayr & Scheriau).

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