Intensivpatient Krisenkommunikation

Unter Kritik: die Krisenkommunikation der Regierung
Illustration (C) Miriam Mone
Warum werden seit Monaten immer wieder solche „Expert*innen“ vor den Vorhang geholt, die teils sogar krude Theorien zum Virus und dem Umgang damit verbreiten? Vertrauen in medizinische Kommunikation geht anders. Frédéric Toemboel, gesellschaftlich engagierter Assistenzarzt für Intensivmedizin am Wiener AKH, kommentiert das gescheiterte Pandemiemanagement der Bundesregierung – und was es braucht, damit die Bevölkerung mitzieht.
Ich hatte mehr Angst vor Problemen mit der Polizei als vor einer Ansteckung mit Corona“, erzählte mir letztens meine liebe Freundin A. von ihrer ungesetzlichen Silvesterparty zum Abschluss des eigenartigen Jahres 2020. Vermutlich können sich viele Menschen, die in unserem Land leben, mit diesem Satz identifizieren, transportiert er doch gut die dem Scheitern des Pandemiemanagements zugrunde liegende Tragödie.

Zur Person

Dr. Frédéric Toemboel, geb. 1990 in Wien, studierte Humanmedizin an der MedUni Wien, wo er seit Oktober 2015 an der Universitätsklinik für Anästhesie, Allgemeine Intensivmedizin und Schmerztherapie seine Ausbildung zum Facharzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin absolviert. Seit dem Studium engagiert er sich politisch: 2013-15 war er Vorsitzender der Studienvertretung Humanmedizin und Kuriensprecher im Senat an der MedUni Wien, seit 2016 ist er gewählter Sprecher der Ärzt*innen in Ausbildung am AKH Wien und gewähltes Mitglied des Betriebsrates für das wissenschaftliche und künstlerische Universitätspersonal, seit 2017 ist er gewähltes Mitglied der Vollversammlung der Ärztekammer für Wien.

Für die Bewältigung einer Jahrhundertkrise braucht es Vertrauen: Einerseits das Vertrauen der Regierung in die Menschen, dass diese sich auch ohne ständiges Säbelrasseln des Innenministers an die Regeln des Zusammenlebens halten. Und andererseits das Vertrauen der Menschen darin, dass diese Regeln des Zusammenlebens – und somit auch jene gewählten Vertreter*innen aus der Mitte des Volkes, die diese Regeln in der liberalen Demokratie machen – dem besten Interesse aller dienen. Und dass sie – im speziellen Fall einer Pandemie – auch dem aktuellen Stand der Wissenschaft folgen.

Zwar hat die Regierung zahlreiche Expert*innen in ihren Krisenstäben vereint, um sich durch die klügsten Köpfe des Landes bezüglich sinnvoller Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens beraten zu lassen. Bedauerlicherweise erfolgte die Kommunikation dieser Maßnahmen die längste Zeit ausschließlich durch Mitglieder der Regierung.

Zwar hat die Regierung zahlreiche Expert*innen in ihren Krisenstäben vereint, um sich durch die klügsten Köpfe des Landes bezüglich sinnvoller Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens beraten zu lassen. Bedauerlicherweise erfolgte die Kommunikation dieser Maßnahmen die längste Zeit ausschließlich durch Mitglieder der Regierung auf einer der Hunderten Pressekonferenzen. Dass sich diese Maßnahmen stark an den Inputs hochkompetenter Wissenschafter*innen orientierten und ein möglichst striktes Einhalten ebenjener zur wirkungsvollen Eindämmung der Pandemie führen würde, ging für Zuseher*innen verloren.

Pseudowissenschaftlicher Unsinn

Die meisten österreichischen Medien haben die Inhalte der Pressekonferenzen – größtenteils Beschränkungen des Miteinanders – wiedergegeben und kommentiert. Interessanterweise wurden anfangs kaum jene Expert*innen vor den Vorhang geholt, auf deren Beratung die Entwicklung der unpopulären, aber notwendigen Maßnahmen zurückgingen. Somit war ab dem Frühsommer 2020 die mediale Bühne frei für selbsternannte „Expert*innen“, tragischerweise zumeist mit beeindruckend klingenden akademischen Titeln und Funktionen maskiert.

Somit war ab dem Frühsommer 2020 die mediale Bühne frei für selbsternannte „Expert*innen“, tragischerweise zumeist mit beeindruckend klingenden akademischen Titeln und Funktionen maskiert.

Die Verbreitung von deren pseudowissenschaftlichem Unsinn, solange er in möglichst krassem Gegensatz zu den Maßnahmen der Bundesregierung stand, brachte Klicks und Auflage. Dieser Mangel an qualitätsgesichertem Wissenschaftsjournalismus erreichte letzte Woche in der Veröffentlichung eines fast surreal wahnsinnigen offenen Briefs der ACU Austria durch die Tageszeitungen Kurier und Österreich einen traurigen Tiefpunkt: Masken seien nutzlos und gesundheitsschädlich, die mRNA-Impfung sei nicht verantwortungsvoll geprüft worden, der PCR-Test sei nicht validiert etc. Diesen nachweislich falschen und gefährlichen Aussagen eine Bühne zu bieten ist verantwortungslos und trägt zur weiteren Verunsicherung der Bevölkerung bei.

Das Problem der Ärztekammer

Für mich persönlich besonders schmerzhaft: Die Unsichtbarkeit der Ärztekammer. Wir Ärzt*innen müssen den Menschen während dieser Gesundheitskrise deutlich beistehen, sie eben nach allen Regeln der Kunst und dem aktuellen Stand der Wissenschaft entsprechend aufklären, wie sie ihre wertvolle physische und psychische Gesundheit schützen können. Leider hat auch die Ärztekammer ein veritables Problem mit Wissenschaftlichkeit (verleiht sie doch mit ihren Diplomen nachweislich wirkungslosen Therapien wie der Homöopathie einen seriösen Anstrich). Eine der seltenen deutlich wahrnehmbaren Aktionen war die völlig jenseitige Pressekonferenz der Ärztekammer Oberösterreich, in der die Maßnahmen während der beginnenden zweiten Welle sogar mit dem Kampfbegriff „Labortsunami“, also der Behauptung, steigende Fallzahlen seien ausschließlich auf eine höhere Testfrequenz zurückzuführen, torpediert wurden.

Ich kann vollends nachfühlen, dass diese divergierenden Aussagen verschiedener Personen, die sich allesamt als seriöse Wissenschafter*innen ausgeben, fälschlicherweise wie gleichberechtigte Meinungen der Fachwelt wirken können und somit eine Orientierung unmöglich wird, auch wenn in Wahrheit hinter der einen Aussage die überwiegende Mehrheit der ernstzunehmenden Wissenschaft steht und hinter der anderen eine kleine Gruppe falsch abgebogener Querulanten im Wissenschafter*innenkostüm. Und es war genau diese Unsicherheit und Unklarheit, die dann eben dazu führte, dass Tausende Mitarbeiter*innen bei den Massentestungen vergebens auf die Massen warteten.

Aus meiner Sicht könnten wir sehr wohl wieder die Oberhand im Kampf gegen diese Pandemie gewinnen: Empowerment, Engagement und Zusammenhalt der Zivilbevölkerung fördern.

Aus meiner Sicht könnten wir sehr wohl wieder die Oberhand im Kampf gegen diese Pandemie gewinnen: Empowerment, Engagement und Zusammenhalt der Zivilbevölkerung fördern. Wir brauchen anständigen Wissenschaftsjournalismus, der bedeutsame Expert*innen vor den Vorhang holt, sowie Role Models und Peers aus der Mitte der Gesellschaft, die das Vertrauen ihres Umfelds genießen.

Die nächste Herausforderung wird nämlich sein, jene Ängste, die vor der COVID-Impfung vorherrschen und von manchen Pseudowissenschafter*innen aktiv geschürt werden, durch empathische und sachliche Aufklärung zu nehmen, um endlich unseren Weg aus dieser Krise zu beginnen. Ich bin absolut überzeugt davon, dass sich zahlreiche Pflegepersonen, Ärzt*innen und weitere health care workers bereit erklären würden, im Rahmen einer bundesweiten Informationskampagne als zusätzliche, persönlich bekannte Ansprechpartner*innen für ihr Grätzel zur Verfügung zu stehen.

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