Im Mund umgedreht

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Der Schmähbegriff Lügenpresse stößt auch außerhalb des rechten Milieus auf offene Ohren. Auf den Spuren seines Erfolgs.

Von der Bereicherung zur Gefahr

Noch nie gab es so viele Möglichkeiten, sich zu informieren – aber eben auch, sich zu desinformieren. Im Internet sowie vor allem in Sozialen Medien sprudeln Informationen nur so aus dem Boden – aber eben auch Fehlinformationen. Zugleich ermöglichen diese Medien andere Einblicke, die für den Journalismus und die politischen Debatten durchaus eine Bereicherung sind: Auf Blogs kann man sich andere Inputs holen, andere Blickwinkel, die den Horizont erweitern. So weckten die Neuen Medien anfangs sehr viele Hoffnungen, auch im Journalismus selbst. Die Realität sollte jedoch bald anders aussehen, denn auch rechte Gruppierungen hatten die Möglichkeiten des Internets für sich entdeckt und nutzten sie. Dazu kamen kommerzielle Anbieter, die möglichst viele Clicks generieren wollten, was wiederum auch seine Spuren im Journalismus hinterließ, der zudem selbst in der Krise steckt.

„Der Meinungskorridor war schon mal breiter. Es gibt eine erstaunliche Homogenität in deutschen Redaktionen, wenn sie Informationen gewichten und einordnen. Der Konformitätsdruck in den Köpfen der Journalisten scheint unheimlich hoch. Das Meinungsspektrum im Lande ist oft erheblich breiter.“ Diese Worte stammen nicht von einem Kommunikationswissenschafter, sondern aus der Feder des nunmehrigen deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Jakob Augstein, Herausgeber der deutschen Wochenzeitung „Der Freitag“, zitiert sie in seinem Beitrag für den Sammelband „Lügenpresse“ und kommentiert sie mit den Worten: „Irre. Ein Politiker erinnert Journalisten daran: Seid vielfältig, nehmt die Leser wahr.“ Im Zitat von Steinmeier stecken einige Elemente der aktuellen Medienkrise: Zwar bemühen sich Redaktionen, die gesellschaftliche Vielfalt auch in ihren Redaktionen zu spiegeln, sowohl was Frauen betrifft als auch MigrantInnen oder sogenannte bildungsferne Schichten. Diese Bemühungen gehen aber nur schleppend voran.

Warum dies ein Problem ist, erläutert Neverla: „Nun ist ein hohes formales Bildungsniveau im Journalismus sicherlich begrüßenswert. Aber die starke soziografische Verankerung des Journalismus in der bildungsbürgerlichen, männlichen und weißen Mittelschicht führt zu dem Verdacht, dass es zu einer Schieflage in der Berichterstattung und zu systematischen Bildstellen kommen kann.“ Diese Herausforderung ist JournalistInnen sehr wohl bewusst, und die meisten bemühen sich redlich um eine ausgewogene und fundierte Berichterstattung. Die Beiträge von Jakob Augstein, aber auch von „Spiegel“-Chefredakteur Klaus Brinkbäumer im „Lügenpresse“-Sammelband sowie viele selbstkritische Diskussionen an anderen Stellen zeugen davon. Doch sie müssen dies unter immer schwierigeren Rahmenbedingungen leisten, denn die wirtschaftliche Krise und der damit verbundene Sparkurs hat Redaktionen immer mehr ausgedünnt.

Dazu kommen die Herausforderungen der neuen Medien mit einer völlig neuen Geschwindigkeit. Dies würde eigentlich nach deutlich mehr Recherche verlangen, doch die Rahmenbedingungen machen dies oftmals schwierig. Der zunehmende Konkurrenzdruck ließ den Bedarf an Berichten steigen, die Clicks generieren. Da können Recherche und das genaue Hinterfragen auf der Strecke bleiben, und das ganz ohne manipulative Absicht. Dazu kommt die gängige Praxis der Medienwelt: „Die Orientierung der Journalisten an gängigen Nachrichtenfaktoren einerseits, verbunden mit Konkurrenzdruck andererseits, lässt eine Aufmerksamkeitsökonomie entstehen, die durch Themenzyklen und Skandalisierung gekennzeichnet ist“, schreibt Kommunikationswissenschafterin Neverla. „Die Auswahl von Themen wird dabei geprägt vom Bild der Journalisten auf die Konkurrenzmedien – wenn dort ein bestimmtes Thema auf der Agenda steht, dreht man es selbst auch weiter – und auch von Annahmen der Journalisten über Erwartungen des Publikums.“ Diese nämlich können von Medien nicht völlig ausgeblendet werden, wenn sie ihre Produkte verkaufen wollen.

Die RezipientInnenen wiederum haben durch die neuen Möglichkeiten des Internets völlig neue Zugänge. Für Neverla könnte „eine mögliche Folge daraus der generalisierte Manipulationsverdacht sein, dass man Fakten und Meinungen im Netz selbst prägen, ja sogar manipulieren kann und das nicht nur möglich ist, sondern dass sie dies auch ständig praktizieren. Das eigene Manipulationspotenzial wird also projiziert auf die journalistische Profession.“ Damit, so die Kommunikationswissenschafterin, erscheint die Annahme der „Lügenpresse“ „als schlüssige Folgerung“.

Stimmungslagen statt Fakten

Doch zurück zu RechtspopulistInnen und zur Frage, warum sie Medien so gerne als Sündenböcke missbrauchen. Für sie sind Medien Repräsentanten der „Elite“ und gerade deshalb beliebtes Ziel von Angriffen. Während sich Medienkritik sachlich mit Herausforderungen und Unzulänglichkeiten der aktuellen Medienwelt beschäftigt, ist die Erzählung von RechtspopulistInnen von einer „Anti-Faktizität“ gekennzeichnet, die Neverla folgendermaßen definiert: „Der Faktizität ‚derer da oben‘ stehen Gefühle und Stimmungslagen des einfachen, aber ursprünglichen Volkes gegenüber.“ Im aggressiver werdenden Ton im Internet finden rechte Gruppierungen – denn Pegida ist weitaus mehr als nur eine rechtspopulistische Gruppe – sowie RechtspopulistInnen einen idealen Nährboden für ihre Propaganda.

Von
Sonja Fercher
Chefredakteurin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 8/17.

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Über den/die Autor:in

Sonja Fercher

Sonja Fercher ist freie Journalistin und Moderatorin. Für ihre Coverstory im A&W Printmagazin zum Thema Start-ups erhielt sie im Juni 2018 den Journalistenpreis von Techno-Z. Sie hat in zahlreichen Medien publiziert, unter anderem in Die Zeit, Die Presse und Der Standard. Von 2002 bis 2008 war sie Politik-Redakteurin bei derStandard.at. Für ihren Blog über die französische Präsidentschaftswahl wurde sie im Jahr 2008 mit dem CNN Journalist Award - Europe ausgezeichnet.

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