Historie: Arbeitszeit und Klimawandel

„Unisphere“, das Wahrzeichen der New Yorker Weltausstellung 1965, Symbol des Aufbruchs zur neuen Globalisierung, aber auch für die Erfahrung aus Weltwirtschaftskrise und Weltkriegen, dass grund­legende Pro­bleme nicht national zu lösen sind. Der Klimawandel ruft dies wieder ins Bewusstsein.
(C) Ullstein-Bilderdienst Berlin (1969)
Der Klimawandel stellt die kapitalistische Gesellschaft vor ähnliche Heraus­forderungen wie einst die Folgen der Industrialisierung.
Der Kapitalismus ist auch heute flexibel genug, sich neu zu orientieren, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen.
Der Wirtschaftswissenschafter Thomas Kuczynski setzt sich immer wieder mit dem Spannungsverhältnis zwischen kapitalistischer Wirtschaft, Situation der ArbeitnehmerInnen und der Natur auseinander. Auch anlässlich der Klimakonferenz 2009 verwies er auf die Gefahr, die vom Klimawandel für das Funktionieren der kapitalistischen Gesellschaft ausgeht, und stellte sie in eine Reihe mit der Gefahr des Auseinanderbrechens der Gesellschaft durch die Ausbeutung der Arbeiterschaft in der ersten Phase der Industrialisierung. Wie damals, so Kuczynski, als die englischen UnternehmerInnen schließlich den Widerstand gegen menschlichere Arbeitszeiten aufgaben, sei der Kapitalismus auch heute flexibel genug, sich neu zu orientieren, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen:

Im antiken Griechenland, in Kleinasien und Oberitalien wurden die Wälder abgeholzt … Die Folgen ließen nicht auf sich warten. … Die Abholzung der brasilianischen Regenwälder wird sehr viel katastrophalere Folgen haben, nicht auf den Einzelnen gerechnet, sondern für die gesamte Menschheit. … Es ist nicht Unwissenheit, die die Menschen zu solchem Verhalten treibt, sondern ihre Produktionsweise, die auf den kurzfristigen Erfolg ausgerichtet ist. Das sich … abzeichnende Scheitern der Klimakonferenz von Kopenhagen wird vor allem darauf zurückzuführen sein, dass den Beteiligten die dringend notwendigen Maßnahmen zum Klimaschutz zu teuer sein werden. … Die Situation erinnert in gewisser Weise an den Kampf um den Normalarbeitstag im 19. Jahrhundert. Damals erklärten die englischen Unternehmer, dass mit einer Verkürzung der Arbeitszeit auf zwölf Stunden ihnen alle Gewinne genommen würden … Die Folgen der … Arbeitszeitverlängerung waren aber unübersehbar und so entstanden die ersten gesetzlichen Bestimmungen über den Maximalarbeitstag, und zwar nicht so sehr auf Druck der Arbeiter, sondern durch den einfachen Erhaltungstrieb der kapitalistischen Gesellschaft: … die erstmals mit dem Arbeitsgesetz von 1833 von Staats wegen verordnete Arbeitszeitverkürzung zwang die Unternehmer, den also verkürzten Arbeitstag beträchtlich zu intensivieren und über Methoden der Produktivitätserhöhung nachzudenken, erzwang auf diese Weise technischen Fortschritt.

Viele Menschen hoffen, dass durch den Kampf gegen den Klimawandel und seine Folgen fast automatisch eine gerechtere Gesellschaft erzwungen wird. Das ist nicht zu erwarten.

Viele Menschen hoffen, dass durch den Kampf gegen den Klimawandel und seine Folgen fast automatisch eine gerechtere Gesellschaft erzwungen wird. Das ist nicht zu erwarten. Als nach dem Zweiten Weltkrieg der Wiederaufbau Europas angesagt war und gleichzeitig die Vorteile der westlichen Marktwirtschaft im Kalten Krieg mit dem Kommunismus betont werden sollten, bekam der Sozialstaat seine Chance. Die Marktwirtschaft war bereit, dafür Einschränkungen ihrer Freiheit hinzunehmen, bis die Ideologie des „freien Marktes“ wieder für das Profitmachen nützlicher schien. So ähnlich dürfte es sich auch wieder im Zusammenhang mit dem Klimawandel abspielen. Für die Gewerkschaften kann das eine neue Chance sein, um dem Ziel eines guten Lebens für alle näher zu kommen, die Aufgabe, ständig wachsam zu bleiben, wird aber mehr denn je bestehen.

Ausgewählt und kommentiert von
Brigitte Pellar
Freie JournalistInnen

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 7/19.

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Über den/die Autor:in

Brigitte Pellar

Brigitte Pellar ist Historikerin mit dem Schwerpunkt Geschichte der ArbeitnehmerInnen-Interessenvertretungen und war bis 2007 Leiterin des Instituts für Gewerkschafts- und AK-Geschichte in der AK Wien.

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