Historie: Eine Republik mit gleichen Rechten

Foto (C) Sammlung Rainer Hubert ifz.
Auf Postkarten wie dieser wurden die zwei zentralen Botschaften der Republik-Proklamation verbreitet: die Gleichheit aller BürgerInnen und der Appell zusammenzuhalten, um den demokratischen Staat trotz Hunger und Arbeitslosigkeit aufzubauen.
Erstmals in Österreich erhielten 1918 ArbeitnehmerInnen gleiche Rechte in Politik und wirtschaftlicher Interessenvertretung.
Oktober 1918. Die Soldaten an der Front und die Menschen im „Hinterland“ hungerten und froren, sie hatten genug vom Krieg des Kaisers. Soldaten schlugen sich in die Wälder, um irgendwie durchzukommen. In den Städten und in der Kriegsindustrie demonstrierten und streikten die Menschen für Nahrung, Frieden und Demokratie, manche auch für eine gerechtere Gesellschaft. Auf dem Gebiet der österreichisch-ungarischen Monarchie bildeten sich neue Staaten und auch die deutschsprachigen Abgeordneten des 1911 gewählten Parlaments ergriffen die Initiative. Am 21. Oktober erklärten sie sich im Niederösterreichischen Landhaus in Wien (dem heutigen Palais Niederösterreich) zur „Provisorischen Nationalversammlung des selbständigen deutschösterreichischen Staates“. Am 30. Oktober wurde die neue, dem Parlament verantwortliche Organisation der staatlichen Verwaltung beschlossen. Unter den Abgeordneten befanden sich etliche Gewerkschafter, darunter der spätere AK-Präsident Franz Domes und Ferdinand Hanusch, der kurz darauf zum Staatssekretär für Soziales bestellt wurde.

Doch die kaiserliche Regierung weigerte sich selbst nach der militärischen Kapitulation am 3. November zurückzutreten, und Kaiser Karl ließ sich erst am 11. November dazu bewegen, auf die „Staatsgeschäfte in Österreich“ zu verzichten. Damit konnte am 12. November 1918 endlich der neue Staat proklamiert werden:

Deutschösterreich ist eine demokratische Republik. Alle öffentlichen Gewalten werden vom Volke eingesetzt. … Die politischen Vorrechte sind aufgehoben.

Gleichzeitig wurde die demokratische Wahl einer „Konstituierenden Nationalversammlung“ für Anfang 1919 angekündigt:

Das gesamte Volk, Männer und Frauen, werde zur Wahl schreiten und sein äußeres Schicksal wie seine innere Ordnung allein, frei und unabhängig bestimmen … Bürger, Bauer und Arbeiter haben sich zusammengetan, um das neue Deutschösterreich zu begründen.

Ein revolutionärer Akt, auch wenn man dem Kaiser nicht den Kopf abschlug. Was bisher undenkbar schien, wurde Wirklichkeit: gleiche Rechte für ArbeitnehmerInnen, Gewerkschaftsvertreter als gleichberechtigte „Sozialpartner“ beim Überleiten auf Friedenswirtschaft und bei der Organisation des Arbeitsmarkts im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Das alles wurde trotz katastrophaler sozialer Zustände erreicht – ein Lied nannte Wien eine „sterbende Märchenstadt“. Um das Überleben der jungen Republik zu sichern, forderte die Provisorische Nationalversammlung Solidarität ein:

Wer über Vorräte verfügt, öffne sie dem Bedürftigen! Der Erzeuger von Lebensmitteln führe sie denen zu, die hungern! Wer überschüssige Gewandung besitzt, helfe die frierenden Kinder bekleiden!

Die „Republik Österreich“, wie sie nach dem Friedensvertrag mit den Siegermächten des Ersten Weltkriegs ab 1919 hieß, schuf mit der Gleichberechtigung von ArbeitnehmerInneninteressen die Grundlage für Österreichs modernen demokratischen Sozialstaat. Sie scheiterte daran, dass das Ziel einer sozialen Demokratie von rechten Regierungskoalitionen systematisch bekämpft wurde.

Ausgewählt und kommentiert von
Brigitte Pellar
Historikerin

Dieser Artikel erschien in der Ausgabe Arbeit&Wirtschaft 9/18.

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Über den/die Autor:in

Brigitte Pellar

Brigitte Pellar ist Historikerin mit dem Schwerpunkt Geschichte der ArbeitnehmerInnen-Interessenvertretungen und war bis 2007 Leiterin des Instituts für Gewerkschafts- und AK-Geschichte in der AK Wien.

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